In einer Zeit, in der Sex als sicher und Motorradfahren als gefährlich galt, macht ein langhaariger Harleyfahrer den Schritt in die Selbstständigkeit – Zassel’s Custom Bikes ist geboren

1980 ist es amtlich. Die westdeutsche Regierung macht Ernst, will ihre Sicherheitsbestrebungen unter Druck durchsetzen: Motorradfahrer haben nun mit Geldstrafen zu rechnen, wenn sie weiterhin ohne Helm fahren. Das ist lästig, aber unerheblich für Volker Schloss und seine Kumpel – die Vorderpfälzer Biker haben kein Ohr für dieses Thema. Und erst recht nicht, dass die »Mopeds« ab jetzt achtzig Kubikzentimeter Hubraum haben dürfen. Volker fährt Harley. Und steht auf Dragracing, wie er und befreundete Biker es privat und meist ohne Erlaubnis immer wieder durchziehen. Hauptberuflich arbeitet Volker derzeit bei der Panzerinstandsetzung im rheinland-pfälzischen Germersheim. 

Schwerpunkt Kraftrad

Im pfälzischen Landau geboren, gibt eine Lehre als Kfz-Mechaniker – mit Schwerpunkt Kraftrad – Volker die Richtung vor. Seine Bundeswehrzeit absolviert er danach an diversen Standorten, immer in der Instandhaltung. Der unausweichliche Kontakt mit US-Soldaten wird ihm zur puren Inspiration. Nicht deren stoppelige Frisuren, eher die dicken Schlitten und vor allem die Motorräder der Amerikaner begeistern ihn in der Zeit.

Eine Sportster war Zassels erste Harley-Davidson und er nutzte sie damals auch mal beim Dragracing

Seine erste Harley kauft sich der Zweiundzwanzigjährige gleich Anfang der Achtzigerjahre. Er wird zu »dem Mann« in der Region Vorderpfalz, an den sich junge Typen vertrauensvoll wenden, wenn ihr Motorrad rumzickt oder gar nicht mehr will. Mit Motorrad und Zelt unterwegs kriecht Volker einmal morgens aus seiner Stoffhütte und wird wegen seiner zerzausten, »zasseligen« Haare aufgezogen. Der Spitzname Zassel bleibt, wird zu seinem Synonym. 

Frühe Hotspots einer Szene

Natürlich schaut der Pfälzer sich um, wer in der Gegend sonst noch mit Choppern und amerikanischen Motorrädern rummacht. Drüben, über dem Rhein, im baden-württembergischen Huttenheim, soll es Hotspots geben, Treffpunkte einer Szene, die gerade am Wachsen ist. In der »Bier Pinte« ist 1981 immer Highlife. Da steht neben den Hondas und Kawas auch mal eine gechoppte Triumph oder eine umgebaute Harley vor dem Lokal. Besitzer Hubs – bürgerlich Hubertus Nees –, der Betreiber der Pinte, ist bekannt wie ein bunter Hund.

Zassels Mannschaft fand man früh auf Messen wie auf einerCustom Car & Bikeshow in der Karlsruher Schwarzwaldhalle, veranstaltet von Tom’s Chromeshop.

Er führt in Linkenheim, nähe Karlsruhe, einen der allerersten süddeutschen Chopperläden. Der Laden ist Anlaufstelle für Harley- und Chopperfans landauf, landab – auch für Zassel. Mit der Übernahme eines weiteren Gasthauses will Hubs seinen Traum – die Auswanderung nach Portugal – forcieren. Und genau in diesem Lokal, dem »Rappen« in Steinweilers Nachbarort Rohrbach, hat Zassel ein Gespräch, das für ihn richtungsweisend wird.

Zassel’s Custom Bikes – einst eine Triumph-Vertretung

Hubs redet auf den jungen, Harley fahrenden Kfz-Mechaniker ein. Er bekniet ihn, die Panzerinstandsetzung bleiben zu lassen, und stellt ihm stattdessen die Übernahme seines Choppershops nebst Werkstatt in Aussicht, denn längst schraubt der Pfälzer in seiner Freizeit nicht mehr nur für sich. Auch die Motorräder von Freunden werden in der Garage seines Elternhauses repariert und umgestaltet. Das sind Japaner und BMWs, Triumphs oder Harleys – die Marke spielt noch keine so große Rolle und obwohl Zassel kurzzeitig sogar Triumph-Vertreter ist – bis die britische Firma damals dichtmachen muss –, stehen immer häufiger Fahrer von US-Twins vor der Tür. Mit Hubs’ Angebot würde sich ihm die Möglichkeit bieten, richtig loslegen zu können. 1984 ist Zassel so weit umzuziehen. 

Auch Musiker und andere Künstler zählen zu Zassels Kundenstamm, er selbst spielte als Bassist bei der NOS-Band

Seine Kunden haben anfangs Probleme, Zassels neues Schrauberdomizil zu finden, das auf seinen Namen als Kfz-Meisterwerkstatt eingetragen ist – Schloss Motorrad GmbH. Werkstatt und Shop liegen weit nach hinten versetzt in der Lieferantenzufahrt eines P&Q-Supermarktes. Und Wegweiser? Wenn es sowas überhaupt gibt, muss man auch diese suchen. Quasi als Starthilfe und Anlernzeit will Hubs vorerst noch mit im Gebäude bleiben, seine Paintjobs weitermachen und auch selbst noch den ein oder anderen Deal zu Ende durchziehen.

Entwicklungshelfer in der Grenzregion

Er tut es – macht weiter – parallel zu Zassel. Und das in derselben Halle. So verzögert sich Hubs’ in Aussicht gestellte Umsiedlung nach Portugal im gleichen Maße immer wieder, wie sich Zassels Ruf als verlässlicher Monteur und Geschäftspartner verfestigt. Seine Kundschaft kommt von überall her, auch immer häufiger über den Rhein, aus dem Elsass und der Pfalz, wo es dank Zassels Bemühungen bald scheint, als wäre jedes dritte Motorrad eine Harley. Gerade für die Grenzregion zum Elsass spielt Zassel erfolgreich Entwicklungshelfer. So schafft er es, dass die ehemals als ärmlich geltende Vorderpfalz zum Chopper- und Harley-Wonderland wird und gleichzeitig gewinnt er Kunden aus Baden-Württemberg und Hessen dazu. 

Auf seinem Chopper waren der Schlafsack und die Zahnbürste oftmals alles, was Zassel mit auf eine Party nahm

Gut drei Jahre bleibt er in Linkenheim. Doch Zassel zieht es zurück in die südpfälzische Heimatgemeinde. Mittlerweile gibt’s dort, nach Um- und Ausbau der elterlichen Scheune, ausreichend Platz für Werkstatt und Shop. Sogar so viel, dass auch noch der Airbrush-Künstler Manfred »Manne« Gelmar einen eigenen Wirkungsbereich findet. Im August 1987 eröffnet »Zassel’s Harley Shop«, in der Kirchstraße 18 in Steinweiler, die Tore.

 Die jährliche Glühweinparty bei Zassel’s Custom Bikes ist legendär

Zur Eröffnungsparty stehen Kundenbikes aufgereiht vor dem Anwesen, leicht erreichbar am Ortseingang. Zassels nun jährlich stattfindenden Werkstatt- und Glühweinpartys werden legendär. Aber vor allem seine Umbauten: Hauptsächlich entstehen sie jetzt aus Harleys. In dieser Zeit will die normale Kundschaft längere Schwingen für die Tieferlegung von Big-Twin-Harleys, wofür er speziell ausgelegte Federbeine im Programm hat.

Die Stammmannschaft im vorderpfälzischen Steinweiler meistert Reparatur, Fabrikation, Montage, Post- und Onlineversand

Und weil sich die Sportster ungebremster Beliebtheit erfreut, gibt’s auch dafür Rahmenumbauten mit choppertypisch tieferer Sitzhöhe. Die Triumph-Fraktion bleibt nicht unversorgt: Für die Paralleltwins besorgt Zassel englische Starrrahmen von John Reed, der damals noch unter Uncle Bunt’s firmiert. Die Zusammenarbeit endet, als Reed in die USA auswandert und zum Chefdesigner von Custom Chrome aufsteigt. In den frühen Neunzigern muss Volker den Firmennamen von „Zassel’s Harley Shop“ in »Zassel’s Custom Bikes« ändern.

Das Harley-Diktat

Er hat sich dem Diktat Harley-Davidsons zu beugen, wie viele seiner Zeitgenossen, die keine offiziellen Vertretungen betreiben.  Neben zeitgenössischen Harley-Umbauten schraubt Zassel einen Dragster zusammen, mit 2,2-Liter-Harman-V-Twin-Motor, für die Dragraces in Godramstein, die er zusammen mit Ducati Weiss und dem Engländerspezialisten Achim Ertel organisiert. In der »BIKERS live!« (dem Vorgänger der CUSTOMBIKE) erfahren die Leser von den »Pälzer Power Partys«. Zassel hat seine Firma fest verankert.

Im Juni 2024 wird Zassel’s Custom Bikes die 40 Jahre seit Bestehen offiziell voll haben, Herzlichen Glückwunsch schon mal

Sein Fokus liegt jetzt ganz auf US-V-Twins. Dafür bietet er jetzt Komplettumbauten mit TÜV, dazu Motor- und Getriebeüberholung mit Garantie, Chopperumbauten, TÜV-Abnahmen, Verchromen, Sonderlackierungen und Zubehör aller großen Hersteller an. Und er greift die Möglichkeit auf, eigene TÜV-geprüfte Rahmen in Softail-Bauart für Harley-Motoren und V2-Motor-Derivate diverser Zubehörhersteller zu bauen und anzubieten. Im Gegensatz zu den Produkten der – noch wenigen – anderen Custom-Rahmenhersteller, die auch mit Prüfgutachten aufwarten können, setzt Zassel’s Custom Bikes bei der Anfertigung der Rahmenbauteile komplett auf aktuellste CNC-Technik. Der Umbau auf doppelte Scheibenbremsen für aktuelle H-D-Springergabeln ist derzeit nur eine seiner Spezialitäten. 

Die Customszene im Wandel

Deutschlands Chopper- und Custombike-Kosmos befindet sich nun im Wandel. Harleys werden besser verfügbar, die Käuferschicht wird älter und somit häufig auch finanzkräftiger. Wer sich noch mit Japanchoppern abgibt, wechselt jetzt auf ein »Original« oder muss sich abwertende Bemerkungen gefallen lassen. Mit der »Custom Performance« wird erstmals in Sinsheim eine Custommesse abgehalten, im Folgejahr nach Mannheim verlegt und findet schließlich in den Messehallen in Bad Salzuflen einen dauerhaften Standort. Zassel ist immer dabei. 

Zweimal Blues Brothers, dann war es passiert. Durch den Film kam Zassel zur Musik

Er schwimmt jetzt ganz vorn mit, bietet neben den Rahmen komplette anschraubfähige Kotflügel für diverse Modelle aus eigener Fertigung, ist auf allen angesagten Händlertagen und Custom-Shows mit eigenem Stand sowieso vertreten. Die Dealershows der großen Kataloganbieter, speziell deren Aftershowpartys, bringen ihn auch als Musiker häufig auf die Bühne. Weil sich auch unter seiner Kundschaft Musiker und andere Künstler befinden, kommt es zur Anfrage der deutschen Heavy-Metal-Legende »Trance«, ob er für ein Plattencover einen Langgabel-Panhead-Chopper zur Verfügung stellen kann.

Breitreifen in den Neunzigern

Für Zassel kein Problem, obwohl solche Chopper zu der Zeit in der Szene weniger gefragt sind. Tagesgeschäft der 1990er Jahre sind zunehmend Breitreifenumbauten. Speziell dafür entstehen in eigener Regie alle möglichen Teile aus Alu und Stahl. Für die immer breiter werdenden Hinterreifen bietet Zassel alles an: vom Versatzritzel bis zur speziellen Schwinge. Die eigene Rahmenproduktion bleibt dabei lange Zeit Basis für komplette Custombikes.

Als Harley-Schrauber ist Zassel bis heute eine absolute Größe im Südwesten der Republik

Allerdings zeigt sich irgendwann, dass sich die Vielfalt der Kundenwünsche durch die mittlerweile stark angewachsene Auswahl an TÜV-geprüften Rahmen anderer Hersteller genauso gut und auch wesentlich flexibler verwirklichen lässt. Und als Volker merkt, dass das Gros der Biker sowieso eine Harley-Davidson will, lässt er den eigenen Rahmenbau ganz auslaufen. Dafür vergrößert sich seine eigene Zubehör-Produktlinie. Die ZCB-Teile sind primär auf originale Harleys zugeschnitten. Sein Team passt sie den jeweils neuesten Modellen und Trends an. Topseller sind seit Jahren Zassels Schutzbleche für Vorder- und Hinterrad.

40 Jahre im Geschäft

2024 kann »Zassel’s Custom Bikes« vierzigjähriges Bestehen. Als Stammmannschaft zeigen sich seine langjährigen Mitarbeiter Sepp, Hans Peter, Dirk (alias Otto) und Zirp, die in Steinweiler über die Jahre auch halfen, an die zwanzig Azubis auszubilden. Auch Zassels Sohn Stefan ist heute im Betrieb. Internet und Online-Handel ist ein Posten mit immer noch wachsendem Stellenwert. Telefonische Bestellungen nimmt der Boss meist persönlich entgegen.Neben der eigenen ZCB-Linie sind Ersatz- und Zubehörteile von Arlen Ness bis Zodiac erhältlich. Und immer wieder bringen Zassels USA-Reisen trotz Restriktionen in der Einfuhr gebrauchte Harleys in die Pfalz, die er mit gutem Gewissen seinen Kunden anbieten kann. Teilweise finden sich dadurch über fünfzig seriennahe Harleys und Showbikes im Ausstellungsraum. Zassels traditionelle Glühweinparty, jeweils am Samstag des letzten Januarwochenendes, ist immer noch ein großer Bikermagnet in der kalten Jahreszeit.

 

Smalltalk, Fachsimpeln und Livemusik

Die Veranstaltung bietet nicht nur die Möglichkeit, mal hinter die Kulissen zu schauen und dabei auf den Hebebühnen die neuesten Umbauten in diversen Stadien der Fertigstellung zu bewundern, Zassel räumt auch seinen Lackierern, Lederkünstlern, Sattlern und Klamottenhändlern Platz ein, um sich gebührend vorstellen zu können. Das Fachsimpeln mit Freunden und Mitarbeitern ist allgegenwärtig, der Smalltalk mit Kumpeln wird nur von der Livemusik unterbrochen.

Samals, als Chopperpartys noch wild und frei war

Obwohl der Altersquerschnitt der Besucher weit über fünfzig Jahren liegt, haben körperliche Wehwehchen in den Gesprächen keine Dominanz. Hier drehen sich die Gespräche um alte Zeiten, um Harleys und um die anzufahrenden Ziele im Sommer. Es wird brechend voll, auch draußen im Hof und auf der Straße davor. Immer wieder kommen wir ins Gespräch mit Gästen. Warum wir nicht längst mal wieder eine Story über Zassel’s Custom Bikes im Heft hatten, will einer von uns wissen … hmm, ja, das fragen wir uns auch!

Zassel im Interview:

CB: Kannst du uns die Szene in den Achtzigerjahren beschreiben, was bedeuteten Harleys damals in Deutschland und was verlangte die Kundschaft zu der Zeit?
Volker: Da es zu der Zeit mit der Ersatzteilbeschaffung noch nicht so gut lief und fast alle Oldtimer fuhren, wurde mehr Wert darauf gelegt, die Bikes am Laufen zu halten. Was nicht immer einfach war, da die Zuverlässigkeit mit den heutigen Modellen nicht zu vergleichen ist. Die Kunden waren zum Glück sehr geduldig, was die Dauer der Reparatur angeht.

Wie kamst du zur Musik. Was spielst du und in welchen Bands warst oder bist du dabei?
Ich habe mir zweimal »Blues Brothers« angeschaut und dann war es passiert. Ich war Mitgründer der NOS-Band und spielte als Bassist.

Zassel in seinem Laden in Steinweiler

Könntest du heute noch mal von vorn beginnen – was würdest du anders machen wollen?
Um ehrlich zu sein, ich würde es genau so wieder machen …

Legst du den Fokus mehr auf die technischen Seiten eines Bikes oder auf Form und Design?
Natürlich auf beides. Ein Bike sollte heutzutage immer gut aussehen und trotzdem gut fahrbar und technisch auf höchstem Niveau sein.

Ein Bike sollte gut aussehen, gut fahrbar und technisch auf höchstem Niveau sein

Welcher Custom-Baustil liegt dir am meisten am Herzen?
Da bin ich nicht festgelegt, da sich das mit der Zeit ständig ändert. Allerdings ist es mir sehr wichtig, unsere eigene ZCB-Produktlinie dabei einzubinden. 

Wie siehst du die Szene heute, und wie ist ZCB darin platziert?
Die Szene hat sich sehr positiv entwickelt und wächst ständig weiter. Ich finde es toll, dass viele der alten Kunden und Biker im Alter wieder auftauchen, nochmals einsteigen und sich ein Bike zulegen. Außerdem spüren wir deutlich, dass auch das Interesse jüngerer Leute zunimmt. Es fällt auf, dass in den letzten Jahren immer mehr Frauen selbst fahren und sich ein Motorrad zulegen.

Info | Zassel Custom Bikes 

 

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