Heute im Bremsencheck, der Urvater aller Verzögerer: Vorhang auf und Applaus für die Trommelbremse

Spätestens als das Pferd durch motorisierte Antriebskonzepte ersetzt wurde, mussten sich Ingenieure über geeignete Bremssysteme Gedanken zu machen. Ein Ergebnis dieser Überlegungen war die Trommelbremse. In den 1920er Jahren löste sie die Außenbandbremse ab. Ab 1926 schließlich wurde sie von sämtlichen Motorradherstellern als Vorderradbremse eingesetzt. Sie kann, wenn es um die reine Bremsleistung geht, gegen heutige moderne Scheibenbremsen nicht anstinken. Aber sie punktet immer noch durch Einfachheit und Wartungsarmut.

Trommelbremse am Motorrad – Aufbau und Funktionsweise

Es gibt Simplex-, Duplex- und Doppelduplex-Bremsen. In ihrer Grundkonstruktion lassen sie alle sich auf eine einfache Formel herunterbrechen: Bremsbeläge innen, Trommel außen. Wir behandeln hier ausdrücklich nur die mit Seilzug betätigten Trommelbremsen. Jene mit hydraulischer Ansteuerung kommen beim Motorrad nicht zur Anwendung. Schauen wir uns zunächst einmal an, wie eine Simplex-Trommelbremse am Vorderrad aufgebaut ist.

Während man an der Trommel selbst (oben) nicht erkennt, ob eine Duplex- oder Simplex-Ankerplatte für Verzögerung sorgt, sprechen die Bremsbeläge (unten) eine klare Sprache. Diese sind aus einer Simplex Bremse, daran zu erkennen, dass beide Beläge in einer Lagerung sitzen und sich auch einen gemeinsamen Bremsnocken teilen

Am Lenker befindet sich der Handbremshebel. Er betätigt einen Bowdenzug. Dessen äußere Hülle stützt sich am unbeweglichen Teil des Hebels ab. Der Innenzug ist am beweglichen Bremsgriff selbst arretiert. Der Bowdenzug führt nach unten zum Vorderrad, dort stützt sich die Außenhülle des Zuges in einer Nut auf der sogenannten Bremsankerplatte ab. Die wiederum ist mit einer Momentstrebe gegen das Mitdrehen beim Bremsen am Tauchrohr der Gabel befestigt ist. Der Innenzug ist in einen beweglichen Hebel eingehängt. Dieser Hebel verbindet sich per Verzahnung mit einer Welle, die ins Innere der Bremstrommel führt und an ihrem Ende in einen rechteckig geformten, leicht abgerundeten Bremsnocken ausläuft. Am Bremsnocken liegen nun flächig die Enden der beiden Bremsbeläge an. Diese befinden sich in der Trommel selbst. Und die kreist letztlich, wenn der Bremshebel am Lenker betätigt wird.

Vom Hebel auf die Nocken

Über den Innenzug wird die Bewegung des Handbremshebels auf die Welle mit den Bremsnocken übertragen. Dieser dreht sich und spreizt dadurch die beiden Bremsbeläge auseinander. Die stemmen sich mit aller Gewalt gegen die rotierende Bremstrommel und bringen diese schlussendlich zum Stehen. Ähnlich wie bei der Scheibenbremse gilt auch hier: Je größer die Trommel, analog zur Scheibe, desto besser die Bremswirkung.

Die Simplex-Trommelbremse

Bei dieser Form der Trommelbremse, der Simplexbremse, werden die Beläge konstruktionsbedingt durch einen gemeinsamen Bremsnocken gespreizt, es gibt also immer einen auflaufenden und einen ablaufenden Bremsbelag. Der Auflaufende ist der, dessen vordere Kante, aus Sicht des drehenden Rades, vom Bremsnocken gegen die Trommel gedrückt wird. Aufgrund der Rotation wird dieser zusätzlich noch gegen die Reibfläche gepresst. Es entsteht durch die Keilwirkung nach außen eine Selbstverstärkung der Bremse. Der Ablaufende hingegen stemmt sich nicht gegen die drehende Trommel, sondern schwimmt brav wie ein toter Fisch mit dem Strom. Den Löwenanteil der Bremswirkung übernimmt der auflaufende Bremsbelag, dessen Belagstärke natürlicherweise auch schneller abnimmt als die des arbeitsscheuen Kollegen Herrn Ablauf.

Duplex-Bremse

Das muss doch besser gehen, dachten sich pfiffige Ingenieure und entwickelten die Duplexbremse, bei der, nomen est omen, für jeden der Bremsbeläge ein eigener, drehbarer Nocken zuständig ist. Die Beläge werden also beim Betätigen der Bremse nicht nur auf einer Seite auseinandergedrückt, sondern expandieren quasi beidseitig. Hierdurch gibt es, da beide Bremsbacken mit ihrer vorderen Kante die Trommel ins Visier nehmen, zwei auflaufende, und damit effektiver arbeitende Bremsbeläge. Der arbeitsscheue Kollege wurde einfach wegrationalisiert. Rationalisierung bringt allerdings nicht nur Vorteile mit sich. Der Arbeitsaufwand, den es braucht, eine Duplexbremse sauber einzustellen, ist deutlich höher als bei der einfachen Simplex. Einmal gut justiert kann sie natürlich mehr eingebrachte Bremsenergie an das Rad weitergeben, ihr Wirkungsgrad ist höher. Wie aber stelle ich meine Duplex ein, damit sie zuverlässig bremst, jedoch gleichzeitig weich einsetzt, ohne zu beißen?

Trommelbremse: Wartung und Pflege

Auch hier vorab der wichtige Hinweis: Arbeitet an Bremsen bitte nur, wenn ihr es könnt. Wenn nicht, helfen die Fachwerkstatt oder der erfahrene Schrauberkumpel sicher gern. Es gibt selbst zentrierende Systeme (BMW/5), die dafür sorgen, dass beide Bremsbeläge gleichmäßig stark und zum selben Zeitpunkt an die Arbeit gehen. Bei den meisten Duplextrommeln hingegen ist der zweite, indirekt betätigte Nocken, über eine einstellbare Gewindestange auf Druck oder Zug mit dem direkt vom Bowdenzug angelenkten Nocken verbunden. Da ein solches Konstrukt einem gewissen Spiel unterliegt beziehungsweise immer etwas flexibel ist, bietet es sich an, den zweiten Nocken ein klein wenig vorzustellen, um ein gleichmäßiges Ergebnis zu erzielen. Andererseits hat gerade eine Duplexbremse wegen ihrer beiden auflaufenden Beläge eine gewisse, mitunter sogar unangenehme Bissigkeit beim ersten Zupacken, die sich nach langer Standzeit oder nach Regenfahrten durch die in der Bremstrommel entstandene Korrosion noch verstärkt. Es könnte also auch sinnvoll sein, die Beläge kurz nacheinander zum Dienst zu schicken und damit die Dosierbarkeit der Bremse zu erhöhen.

Ein wenig experimentieren führt meist zum gewünschten Ergebnis. Neuen Belägen kann man ihre Beißwut auch austreiben, indem man die vordere Belagkante mit einer Fase versieht. Apropos Beläge, die regelmäßige Kontrolle der Bremsbeläge, und dies betrifft alle drei genannten Trommelbremstypen, versteht sich von selbst. Erstens erzeugt Stahl auf Stahl zwar prima Funken und macht lustige Geräusche, die Bremswirkung hingegen geht in den Keller, und das ist nicht zum Lachen. Zweitens, und diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen, kann es bei zu weit abgefahrenen Belägen zu einem Verklemmen des Bremsnockens zwischen den Belägen und damit zum Blockieren des Rades kommen.

Kein gutes Szenario

Kurz erklärt: Der Bremsnocken dreht sich und schiebt durch seine Form, rechteckig mit leicht abgerundeten Ecken, die Belagflächen nach außen, die Bremswirkung setzt ein. Sind nun aber die Beläge extrem heruntergebremst, kann sich der Nocken weiter drehen, als es dem Fahrer lieb ist, verkeilt sich zwischen den Bremsbelägen und die Bremse löst nicht mehr – bei voller Fahrt kein wünschenswertes Szenario. Also, Bremsbeläge regelmäßig checken! Einige Bremsen haben kleine In-spektionsfenster, durch die man die Beläge kontrollieren kann. Bitte nicht immer nur am Handhebel das größer werdende Spiel ausgleichen, lieber einmal das Rad ausbauen und nach dem Rechten sehen. Dabei kann man dann auch den nächsten wichtigen Servicepunkt abarbeiten, das Schmieren aller beweglichen Teile.

Fett an der richtigen Stelle

An den Drehpunkt des Handbremshebels und die Zugaufnahme gehört Fett, der Bowdenzug selbst läuft mit etwas Öl wieder schön geschmeidig und die Bremsbeläge bekommen auch ihr Fett weg … häh? Richtig gelesen! Natürlich fetten wir nicht die Reibflächen, sondern nur die Gleitflächen, an denen die Nocken anliegen und die Drehpunkte der Beläge auf der gegenüberliegenden Seite. Da Bremsen im Betrieb sehr heiß werden können, ist es wichtig, kein normales Fett zu nutzen. Dieses würde sich verflüssigen und in unerwünschte Bereiche vordringen. Keramik- oder auch Kupferpaste sind hier die Mittel der Wahl. Hauchdünn mit einem feinen Pinsel auf die entsprechenden Stellen aufgetragen, sorgen sie dafür, dass die in den Bremshebel eingebrachte Kraft auch verlustarm zu Verzögerung führt. Die Leichtgängigkeit der Nockenachse(n) in der Bremsankerplatte kann mit einem hitzefesten Graphitfett sichergestellt werden.

Trommelbremse, gern mal rostanfällig

Des Weiteren sind noch alle Teile der Bremse auf Korrosion zu untersuchen, insbesondere die Federn, die für den Rückzug der Bremsbeläge nach erfolgtem Ausrücken zuständig sind, und die Gleitflächen sowohl auf der Nockenachse als auch an den Bremsbelägen selbst. Rostige Federn bitte austauschen, die Gleitflächen des Nockens mit Schmirgel glätten. Die danach aufgebrachte Keramikpaste verhindert erneutes Rosten und hemmt auch den Verschleiß. Korrosion in der Trommel entsteht nur nach längerer Standzeit oder bei Laternenparkern, die häufig Regen ausgesetzt sind. Mit Schleifpapier entfernen oder in ganz schlimmen Fällen ausdrehen (lassen). Bei regelmäßig genutzten und mit einem Minimalaufwand an Wartung und Pflege bedachten Bremsen sollten diesbezüglich eigentlich keine Probleme auftreten.

Auf der Insel wird elegant verzögert: Alte Triumph-Bremse mit offener Lufthutze und selbst zentrierendem Betätigungsmechanismus. Unten ist gut zu erkennen, dass der direkt vom Bowdenzug angelenkte Nocken einer Japan-Duplex über eine einstellbare Gewindestange mit dem zweiten, indirekt betätigten Nocken verbunden ist

Die Trommel selbst unterliegt auch einem gewissen Verschleiß. Dieser ist zwar geringer als der der Bremsbeläge, bei Dauerläufern und Fernreisemotorrädern hat die Trommel dann aber doch irgendwann ihr Verschleißmaß erreicht und muss ausgetauscht werden. Dieses Maximalmaß ist innen in die Trommel eingeprägt. Messen könnt ihr es ohne teure Messgeräte, indem ihr euren alten Zirkel aus Schulzeiten bemüht, diesen bis an die Wandungen der Trommel heranspreizt und dann den Abstand zwischen den beiden Spitzen messt. Für irgendwas muss das Zeug doch gut gewesen sein!

Das Doppelduplex-Prinzip

Die aus dem Rennsport stammende und vor allem bei italienischen Klassik-Racern anzutreffende Doppelduplex übrigens funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Bei ihr befinden sich allerdings auf beiden Radseiten jeweils eine Duplexbremse, die sich gemeinsam eine große Bremstrommel teilen. Das Rad wird also von vier Bremsbelägen mit eigenen Bremsnocken angegangen. Bauartbedingt ist es hier noch notwendig, die beiden Seiten der Bremse zu synchronisieren beziehungsweise über Waagebalkenkonstruktionen in Einklang zu bringen. Da diese Bremse ziemlich schwer wiegt, bremstechnisch oftmals ruppig agiert und recht wartungsintensiv ist, ist ihr praktischer Vorteil gegenüber der Duplex umstritten. Alles zuvor Geschriebene gilt für sie gleichermaßen, logischerweise bedarf sie des doppelten Aufwandes.

Umbau und Tuning

Sträflich vernachlässigt wurde bisher die umwerfende Ästhetik dieser archaischen Entschleuniger. Eine riesige Grimeca-Doppelduplex-Trommelbremse beispielsweise oder auch die Duplexbremse der Honda CB 250 K sind einfach geil anzusehen. Hier liegt sicherlich der Wunsch begründet, eine solche Bremse ins eigene Customprojekte zu implantieren. Komplette Vorderräder samt Duplexbremse sind in den einschlägigen Kleinanzeigen noch ab und an zu finden. Sprecht aber vorm Umbau mit dem TÜV. Gerade bei älteren Modellen kommt man da meist zusammen.

 

Carsten Bender

Schwieriger wird es, wenn ihr einen modernen leistungsstarken Boliden, der ab Serie mit Scheibe oder gar Doppelscheibe ausgeliefert wurde, umrüsten möchtet. Ein Veto vom Graukittel ist hier zu erwarten. Aber natürlich wollen wir eure Kreativität diesbezüglich nicht bremsen. Im Gegenteil, gerade wir als Custommagazin sehen sauber gebaute und durchdachte technische Lösungen mit ästhetisch ansprechenden Ergebnissen besonders gern. , Gerade, wenn altes Material frisch interpretiert wird, freuen wir uns.

In diesem Sinne, mit trommelnden Grüßen (kurios, denn der Typ ist tatsächlich Schlagzeuglehrer von Beruf)
Carsten

 

Carsten Bender
Freier Mitarbeiter bei CUSTOMBIKE

Jahrgang 1969, stammt aus Hagen, Westfalen, dem Schmelztiegel der Kulturschaffenden und Wiege des kreativen Journalismus. Seit 2018 ist Carsten Bender freier Mitarbeiter beim CUSTOMBIKE-Magazin. Sein erstes motorisiertes Zweirad war eine Honda CB 50. Seitdem gingen über neunzehn Motorräder durch seine Hände. Von Zweiventiler-BMWs über Hondas Goldwing bis hin zu leichten Einzylinder-Crossern sowie Motorrädern mit Baujahren aus den Siebzigern und Achtzigern. Seine Honda CB 250 G schaffte es im CUSTOMBIKE-Leserwettbewerb 2014 auf den zwölften Platz. Im darauffolgenden Jahr belegte er mit seinem Honda-XL 500S -Umbau den zweiten Platz und musste sich nur knapp gegen den späteren Sieger geschlagen geben.