Einmal im Jahr lädt der wohl beste Motorradfotograf der Welt, Michael Lichter, ausgewählte Motorräder samt ihren Erbauern zu einer eigenen Show ein. Im Rahmen der Rally in Sturgis gibt es dabei für diese besondere Ausstellung jedes Mal ein eigenes Motto, beispielsweise ausschließlich schmal gebauten Motorräder, also Skinny Bikes. Die besten Exponate zeigen wir euch hier.

Leicht, schlank, die Ausstrahlung einer gewissen Ruhe – und damit das komplette Gegenteil zu Motorrädern, die gern mal über 400 Kilo wiegen, mit 26-Zoll-Rädern glänzen und dicke Koffer tragen. »Bagger sind gerade hier in den USA immer noch extrem beliebt, da polarisier ich doch gern mal und stelle ihnen die ganz schlanken Motorräder gegenüber«, erklärt Michael Lichter den Gedanken hinter seiner Ausstellung mit dem Namen »What’s the Skinny«. 

The Survivor Digger – ist ein echtes Relikt und wurde einst von Rennfahrer Sam »Slidin‘ Sammy« Satterley pilotiert. Das Motorrad ist ein echter Survivor und wurde in dieser Form in den 1960er-Jahren gefahren. Der heutige Besitzer Dan Rognsvoog hat lediglich den Motor aufgefrischt, ansonsten aber die historische Integrität des Motorrades bewahrt

Es mag etwa fünfzehn Jahre her sein, als die schlanken Bikes sich ihren Platz in der Welt der Custombikes zurückeroberten. Vorher waren sie fast völlig verschwunden, wenige fuhren schlanke Chopper, dagegen waren Breitreifenmanie, ausladende Fender, bullige Tanks und breite Lenker das Maß der Dinge – dicke Hose bestimmte das Business. Nicht schlimm, denn nach wie vor soll jeder bitte genau das bauen, was er möchte. Trotzdem, schlanke, reduzierte Bikes bleiben faszinierend. »Sie erreichen mit weniger oft mehr«, sagt dann auch Szenefotograf Lichter, »und kleinere Motoren, weniger Platzbedarf und weniger Gewicht bedeuten auch eine andere Art des Fahrens, erfrischend, unterhaltsam, eine völlig andere Ästhetik.«

Skinny Bikes – »Schlanke, reduzierte Bikes bleiben faszinierend«

Nun, das mit den flinken Fahrten unterstreichen wir zwar nicht so ganz – vor allem beim Blick auf den ein oder anderen Chopper hier sind wir von diesem angeblichen Attribut nicht überzeugt, aber das mit der Ästhetik ist ein wahres Wort. Dabei sind skinny Bikes wahrlich nichts Neues. Die ersten Motorräder zu Beginn des 20. Jahrhunderts, oft basierten sie auf Fahrrädern, waren extrem schlank. Der erste Motorradsport tat sein Übriges. Für die klassischen Racer beim Boardtrack bedeutete skinny nämlich zugleich schnell, und schnell wollten sie alle sein.

Von »Abnormal Cycles« aus Italien stammt dieser handgefertigte Speedway-Racer rund um einen EInzylinder-NSU-Motor und ohne Bremsen, Beleuchtung oder Elektronik

Je weniger Gewicht, je reduzierter, desto höher die Chancen, Sekunden beim Rennen rauszuholen, das ist bei Sprintrennen heute kaum anders. Die Gewichtszunahme von Motorrädern begann in den 30er Jahren. Zum Vergleich, eine Harley Knuckle von 1936 wog schon satte fünfzig Kilo mehr als eine JD, Baujahr 1928. Nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 50er Jahren ging das Aufrüsten weiter. Motorradtouren wurden immer beliebter, »Full Dresser« sollten den Wunsch nach Komfort befriedigen. Vollfederung, große Sättel und Kotflügel, Windschilde und Satteltaschen bedeuteten immer schwerere Motorräder, die Bagger waren geboren.

In den 60er Jahren wurde es auch in den USA wieder schlanker

Doch auch die schmalen Bikes waren dadurch nicht gänzlich verschwunden, rennsportaffine Serienbikes oder die englischen Cafe Racer waren ihre Vertreter. Mit dem Kult um die Chopper, der in den 60er Jahren in Kalifornien seinen Anfang nahm, wurde es auch in den USA wieder schlanker. Stilvolle, dünne Chopper tauchten auf Bikeshows auf, die Bay Area Digger wie die von Arlen Ness waren dabei die dünnsten von allen. Arlen war stolz auf seine gestreckten, leichten Jim-Davis-Rahmen aus dünnen 5/8-Zoll-Rohren, seine schmalen Reifen, seine darauf abgestimmten Tanks und Fender. Mit dem vorläufigen Niedergang des alten Chopperkultes in den 80er Jahren wurde der Weg allerdings wieder frei für fettere Bikes. 

Nichts an der »Bloody Knuckle« ist wirklich Knucklehead. Der Motor ist ein moderner Nachbau von S&S, der Rahmen ist ein geschmälertes Shovelhead-Fahrwerk in Kombination mit eigenem Heckrahmen

Die Räder, Motoren und Karosserien von Custombikes wurden immer größer, sodass bis zur Jahrtausendwende breitbereifte Chopper und Bagger die Szene beherrschten. Doch während die Aftermarket-Hersteller darum buhlten, jedes Jahr noch größere Räder und Reifen auf den Markt zu bringen, braute sich im Untergrund etwas zusammen. Dünne, in der eigenen Garage gebaute Motorräder, basierend auf alten Modellen, tauchten Mitte der 2000er Jahre wieder auf. »Es wird der Absturz der US-Wirtschaft gewesen sein, der den Fokus wieder darauf lenkte«, ist sich Michael Lichter sicher, »jeder musste den Gürtel enger schnallen und sich wieder überlegen, was an einem Motorrad wirklich wichtig ist: Rahmen, Räder, Motor, Gabel, Lenker – braucht es mehr?«

Skinny Bikes – »Das ist schon verdammt sexy«

Und tatsächlich steckte eine neue Energie in diesem schlanken Stil der Gegenkultur, zumal diese Bikes am Anfang wirklich eher für »Go« als für »Show« gebaut waren. Der faszinierendste Blick, den ein Fotograf wie Michael auf ein schlankes Motorrad haben kann, ist übrigens der von hinten. »Diese Ansicht auf das Bike mit den schmalen Reifen, einer ganz klaren Linie, den schlanken Getrieben, nichts steht nach außen weg und der Lenker ist kaum breiter als der Tank. Das ist schon verdammt sexy.«

Hawke Laws heist aktuell der US-König der Extremchopper. Seine »Azureus« mit Eigenbau-Rahmen entstand rund um einen Shovelhead-Motor, dessen Ventiltrieb komplett frei liegt. Die Gabel ist »40 Inch Over«, hat also eine Überlänge von knapp über einem Meter

 

Kombiniert mit Details, die Persönlichkeit und Stil des jeweiligen Erbauers widerspiegeln, mit besonderen Handschaltungen, Armaturen oder Motorhalterungen sowie mit zum Style geplanten Lackierungen haben sich schlanke Motorräder ihren Platz in der Customwelt zu Recht zurückerobert. Und das finden wir tatsächlich sehr schön. Kombiniert mit Details, die Persönlichkeit und Stil des jeweiligen Erbauers widerspiegeln, mit besonderen Handschaltungen, Armaturen oder Motorhalterungen sowie mit zum Style geplanten Lackierungen haben sich schlanke Motorräder ihren Platz in der Customwelt zu Recht zurückerobert. Und das finden wir tatsächlich sehr schön.

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.