Warum steckt einer hunderte Arbeitsstunden und viel Geld in den Aufbau von Nischenmotorrädern? »Ich kann einfach nicht anders«, sagt Swen Weber. Nach Simson Schwalbe und Spatz präsentiert er seinen neuesten Streich auf AWO-Basis – eine Simson 425 T. Es verschlägt uns die Sprache – mal wieder.

An einem Donnerstag meldet sich Swen Weber bei uns: »Ich habe es wieder getan.« Der dritte schrille Vogel aus der Hand des Sanitär-Installateurs steht kurz vor Fertigstellung, noch ein Tag bleibt ihm dafür, inklusive Probelauf. Der erste Roll-out der 425er Simson ist für die zwei Tage später stattfindende Bikeshow beim jährlichen Jokerfest von Harleyhändler Thunderbike geplant.

Erste Computerzeichnungen der Simson 425 hatten wir bereits gesehen

Freilich, wir wussten, dass Swen an etwas Neuem tüftelt, erste Computerzeichnungen hatten wir bereits gesehen. Aber jetzt muss es doch schnell gehen: Unser Reporter Frank schwingt sich am Freitagnachmittag auf seine BMW und hangelt sich durch den gigantischen Feierabendverkehr des Ruhrgebiets, wird geblitzt und angehalten, schafft es aber doch pünktlich auf den schmuddeligen Hinterhof zu Swens industrieromantischer Halle. Ein paar Kleinigkeiten müsse er noch machen, erklärt Swen, aber das ginge schnell und es sei ja noch früh.

»Die Linien müssen stimmen«, das oberste Augenmerk bei Swens Umbauten. Alle seine Projekte »zeichnet« er zunächst per Photoshop auf dem Computer vor

Die größte Hürde ist neben dem Einbau von Batterie und Vorderrad die Fertigstellung eines Messingblechs zum Abschluss der eleganten Seitenverkleidung. »Lief das Teil denn überhaupt schon mal?«, fragen wir. »Ja klar, wir haben es mal auf der Bühne angeworfen, bevor es komplett zerlegt wurde«, antwortet der ewig optimistische Schrauber. Weitaus optimistischer als wir, wenn wir so auf das nicht fertige Projekt schauen und die Namenswahl für sein Projekt bedenken. Ein Motorrad »Icarus« zu nennen ist nämlich eine gewagte Tat.

Fast nichts an der Simson 425 T ist Serie, dennoch wurde kaum Zubehör verbaut

Der gleichnamige Mann, der in der Sage mit Flügeln von dem Turm sprang, in dem er gefangen war, stürzte ab, weil die Flügel sich lösten. Er wollte zu hoch hinaus, schlug die Warnung seines Vaters Daidalos in den Flugwind, kam der Sonne zu nah, die Wachsverbindungen zwischen den Federn schmolzen. Er stürzte ins Meer, der Leichnam wurde auf der Insel Ikaria beigesetzt. Unsere Bedenken teilt Swen nicht, der Name wäre mystisch und außerdem hätte es früher in der DDR einige Busse des ungarischen Herstellers Ikarus gegeben, »die fuhren wie ’ne Eins«. Um Verwechslungen zu vermeiden, nahm er immerhin noch das vornehmere »C« in den Namen. Aber egal jetzt, lasst uns über das Bike sprechen. Während Swen nämlich hochkonzentriert und zügig arbeitet, verschaffen wir uns einen Überblick.

Viele Teile sind mit 24-Karat-Gold überzogen

Wie nicht anders zu erwarten, hatte er an der Simson AWO 425 T von 1957 ganze Arbeit geleistet. So gut wie nichts an dem Motorrad ist Serie oder aus dem Zubehör. Und wenn doch, wurde es bis zur Unkenntlichkeit verändert. Gehen wir es mal von vorn bis hinten durch. Räder wurden auf 21 Zoll neu eingespeicht, die Trommeln, Motordeckel und viele andere Details von Bastian Groba graviert. Die beschichtete Gabel ist eine Trapezgabel aus dem Hause DKW, Baujahr 1935. Der Rahmen wurde in der Mitte geteilt, das hintere Teil durch eine starre Eigenanfertigung ersetzt. Gelenkt wird mit einem breiten Beachbar-Lenker. Die Griffe und Armaturen sind Eigenbau. Faszinierend dabei vor allem der Gasgriff, der über einen Hebel eine Wippe betätigt, die wiederum am Gaszug zerrt. Alle Hebel sind gefräst, blattvergoldet und poliert. Die Schutzbleche vorn und hinten haben eine Sicke, sie stammen von den Seitenteilen einer Schwalbe.

Alle Blecharbeiten an der Simson 425 hat Swen selbst gemacht

Alles, was goldig glänzt, ist vergoldet oder aus Messing. Für die Vergoldung zeichneten die Mannen von Revoli Bochum verantwortlich. Alle Blecharbeiten, Schutzbleche und die Verkleidung hat Swen selbst gemacht. Die Tankverzierung und auch der Solositz gehen auf die künstlerische Freiheit von Katharina von der Eiche zurück. Die Sitzhalterung ist aus einer Skateboardachse mit Türgriffenden entstanden. Jörg, der Dreher, war für die Rasten verantwortlich.

Hinten wurde um zwölf Zentimeter verlängert und ein starres Heckteil gebaut

Wir kommen kaum hinterher in der Betrachtung der unglaublichen Details, verlieren uns in diesem Motorrad, es ist einfach ein Wahnsinn. Und wir wissen schon jetzt, der Platz auf den Heftseiten wird kaum reichen, alles zu beschreiben. »Mist, mir fehlen noch dreißig kleine Schrauben für das Messingabschlussblech vor der Verkleidung«, reißt uns ein fluchender Swen aus unseren Gedanken. Reporter Frank reagiert sofort, stürzt sich mit der BMW erneut in den pulsierenden Verkehr, der Baumarkt das Ziel. Punkt neunzehn Uhr ist er mit den Schrauben zurück.

Loctite muss die Federn des Fluggeräts zusammenhalten

In der Zwischenzeit hat Swen mit dem Dremel unzählige Ausfräsungen an der Blechkante vorgenommen. Der Mann arbeitet unermüdlich, wirklich gut organisiert, schnell und sehr präzise. Das Blech wird montiert, das Vorderrad eingesetzt und unser Frank darf stolz als Erster Probe sitzen. Wir lachen, sind entspannt und stellen fest, dass der Seitenständer zu lang ist. »Bleib mal kurz sitzen«, grinst Swen, »das geht schnell.« Wir hören ihn im Hintergrund fräsen, sägen, trennen, entgraten – Punkt acht montiert er den nun passgenauen Seitenständer. Das Motorrad ist bereit für die Probefahrt – verdammt, passendes Benzin fehlt.

Von der originalen Awo sind kaum mehr als der Motor und das Vorderteil des Rahmens übrig

Ein Kumpel ist schnell alarmiert, bringt einen Kanister vorbei. Die Kiste wird befüllt und angekickt. Es bollert angenehm, das Motorrad schüttelt und rüttelt sich, unterbrochen durch ein paar Fehlzündungen. Aber einige Schrauben lösen sich direkt und von ganz allein. Wir blicken uns an, denken sofort das Gleiche: Icarus. Hier muss Loctite die Federn des Fluggeräts zusammenhalten, keine Frage. Nach der Einstellung der Kupplung und dem Nachziehen einiger Schraubverbindungen kommt es gegen 22 Uhr an diesem Abend zum ersten Tiefflug. Für die Bühne bei Thunderbike muss es vorerst reichen. Und wie es reicht.

Best of Show – klare Sache

Einen Tag später rollt Swen auf seiner Icarus auf den Hof der Harleyschmiede. Die anderen Bikeshowteilnehmer betrachten das Gefährt und streichen anerkennend jede Hoffnung auf den Siegerpokal. Best of Show für Swen, klare Sache. Der Vogel ist gelandet.

 

Frank Bick