Hans A. Muth ist einer der angesehensten Fahrzeugdesigner der Welt. 1965 begann er seine Karriere als Designer bei Ford, 1971 wechselte er zu BMW, um dort als Chefdesigner die Verantwortung für das Interieur- und das Motorrad-Design zu übernehmen. 1980 ging Muth für zehn Jahre nach Japan, heute bildet er unter anderem Design-Nachwuchs aus. Zuletzt sorgte die von ihm gestaltete Suzuki »Fatmile« für Aufsehen. Wir baten ihn, uns seine Sicht auf die Customszene mitzuteilen.

Zunächst zolle ich meinen tiefsten Respekt und meine Bewunderung der grenzenlosen Phantasie, Ideenvielfalt und dem handwerklichen Können, nicht zu schweigen von dem Invest an Geduld, Zeit und Geld. Denn dazu gehört ja als Basis aller Aktivitäten der Erwerb einer Maschine.

Ein wahres »Two-wheeled Facebook«

Auch bewundere ich den Mut zu den individuell-kreativen Offenbarungen und der öffentlichen Zurschaustellung der eigenen Auffassungen in Geschmacks- und Designfragen: Der bekannte Psychoanalytiker Sigmund Freud hätte seine wahre Freude daran. Es ist ein wahres »Two-wheeled Facebook«. Der generelle Unterschied zu den Tätigkeiten eines professionellen Designers und eines Customizers besteht darin, dass der Erstere seine Kreativität vorgegebenen Erfordernissen unterordnen und anpassen muss. Seien es die fahrzeugtechnischen Grundanforderungen, der Erfüllungen von Vorstellung des Vertriebs und Marketing sowie den generellen Ansprüchen und Zielsetzungen zu Qualität, Markteinfluss und Position des Herstellers.

Hans A. Muth – »Das Unmögliche möglich machen«

Der Customizer hingegen baut anhand eines solchen Produktes auf, ohne jegliche kreative Einschränkung oder Rücksichtnahme auf all die ständig fordernden und mahnenden erhobenen Zeigefinger, die eine Entwicklung heutzutage in zunehmender Art begleiten. Der »Eine« denkt für Alle, der »Andere« nur für sich selbst … das Unmögliche möglich zu machen hingegen vereint beide. Customizing läuft bei mir unter dem Kürzel »streasing«, welches für »strip-replace-and-style« steht, denn vor jedem Customizing steht zunächst wohl das Motto »Weniger ist mehr.« Die Kreativität des Industriedesigners und die Umsetzung in Serienprodukte fokussiert sich voll auf das vorgegebene Käufersegment, soll zum einen Erwartungen erfüllen, zum anderen Wünsche erwecken. Den Customizer interessiert wohl ein solches Produkt nur als potentielle Basis und Ausgangspunkt zur Verwirklichung seiner eigenen Vorstellungen von Form, Farbe und Ausstattungen, seien es struktureller oder motorischer Art. Also, erste Handlung »Strip-down.« 

»Kennst du das Land, wo die Ninetten blühen?«

Die Customszene wächst zunehmend, hat ihre eigenen Events und Kommunikationsbotschafter in Form engagierter Magazine. Auch die Motorradhersteller wittern inzwischen hier neue grüne Wiesen und stimmen sich langsam darauf ein. BMW als Beispiel bietet mit seinem Modell »R nineT« eine spezielle Basis zum persönlichen streasing, unter dem Motto: »Kennst du das Land, wo die Ninetten blühen?« Inwieweit sich da von den individuellen Auffassungen die Werksdesigner oder Marketingstrategen beeinflussen lassen, bleibt wohl offen, denn nicht alles, was da so als dreidimensionales Output auf den Messen präsentiert wird und die Magazinseiten füllt, ist mit dem heutigen Verständnis von ästhetischem Design vereinbar. Die entscheidende Frage dazu ist die Motivation: Customizing als Selbstverwirklichung und kreativer Egotrip oder als freier, individueller Beitrag zu einer Produktoptimierung zum Thema motorisiertes Zweirad. Der Unterschied ist klar nachvollziehbar: Hier das Kunstobjekt, da das Fahrobjekt, 

Hans A. Muth – »Mensch/Maschine-Philosophie«

Bestimmende Zielsetzung in all meinen eigenen Motorrad-Design-Beiträgen war die von mir selbst erstellte »Mensch/Maschine-Philosophie«, sprich, die ergonomische wie formale Integration des Piloten mit der Maschine: Der Pilot als Teil des Ganzen. Bei Custombikes hingegen erscheint der Schöpfer und zugleich Biker auf dem ihm zugeordneten, spärlichen Plätzchen eher als kurzfristig geduldeter Gast, was wohl eher auf ein »taming the Beast«, als auf genussvoll erlebtes Biken schließen lässt?

 

Garage21