Die Idee war es, den alten Flat-Track-Geist in die Gegenwart zu übertragen. Entstanden ist ein Motorrad, das man in seiner klaren Eleganz nicht alle Tage zu sehen bekommt – eine Harley-Davidson Sportster von besonderem Format.

Geht es im Bereich der Coolness um Typen, Bikes und Veranstaltungen, ist es längst kein Geheimnis mehr, dass sich unsere niederländischen Nachbarn nicht nur auf den Bau von Windmühlen und den Anbau von Gemüse und Tulpen verstehen, sondern auch auf Zweiradebene vielseitig zu überzeugen wissen. So wird auch Ruben Segers dem aufmerksamen CUSTOMBIKE-Leser längst kein Unbekannter mehr sein. Unter dem Namen »Wing Palace« firmiert er mit seinem Workshop im grenznahen Uden. Für seine, in aufwändiger Handarbeit gefertigten Teile und Motorräder, wird ihm vielerorts vollste Anerkennung zuteil.

Rubens Herz schlägt für Motorräder der 30er- und 40er-Jahre

Wer den rührigen Niederländer in seiner Werkstatt besucht, wird schnell feststellen, dass hier auf hohem Niveau an nahezu allem geschraubt wird, was zwei Räder hat. Ob der Kunde einen klassischen Chopper oder Bobber oder einen coolen Cruiser auf der Basis eines amerikanischen, japanischen oder europäischen Eisens wünscht, spielt für Ruben eine eher untergeordnete Rolle. Bei den eigenen Vorlieben sieht’s da schon anders aus. Rubens Herz schlägt vor allem für Motorräder der 30er- und 40er-Jahre. Wobei er sich bemüht, zwar die Patina eines alten Teils zu erhalten, gleichzeitig aber die technischen Anforderungen an zuverlässige Motorräder zu erfüllen.

Zwar ging es Ruben bei diesem Aufbau vor allem um den Spaß am Bauen und der Umsetzung eigener Ideen, dennoch sind Leistung und Fahrbarkeit erstaunlich gut. Trotz der großen Räder mit ihrem groben Profil entpuppt sich die Sportster nämlich als agiler Spaßgarant

So ist auch dieser Aufbau ein Grenzgänger zwischen altem Handwerk und zeitgemäßer Technik. Nachdem Ruben im Kundenauftrag einige Bikes auf der Basis seiner Winghead-Motoren auf die Räder gestellt hatte, steht ihm fürs dieses Projekt der Sinn nach Abwechslung. Dabei übt die schmale Linie der alten Flatracer und Boardtracker eine besondere Anziehungskraft auf ihn aus. So entsteht die Idee, ein Bike auf schmale 21-Zöller zu stellen.

Harley-Davidson Sportster mit Eigenbau-Rahmen

Bei der Suche nach geeigneten Rädern stößt er schließlich auf diese satten 23-Zöller. Mit deren Einsatz hatte Honda in den 80er-Jahren den Versuch unternommen, sich einen geländetechnischen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Rubens Würfel sind gefallen. Da Zuverlässigkeit außerdem auf der Agenda weit oben steht, entscheidet sich der Holländer für das Evolution-Aggregat einer Harley-Davidson Sportster als Antrieb. Den Rahmen dafür muss er allerdings erst noch bauen. Und wenn das sowieso schon gemacht werden soll, dann doch bitte so schön trickreich wie möglich.

Multitalent: Verschmälert, tiefergelegt und abgeteilt für Öl und Sprit, wird der ehemalige Fat-Bob-Tank auch noch zum Tachogehäuse

Die Elektrik in den Rahmen zu verlegen, dürfte dabei eine Übung sein, die in vielen Garagen inzwischen zum Standard gehört. Ungewöhnlicher ist da schon, dass der Holländer einen Teil seines Rahmens als Ölreservoir vorsieht, »zumal die stilsichere Unterbringung eines Öltanks eh immer so eine Sache ist«, wie er erklärt. Noch mehr Öl bunkert Ruben im vorderen Drittel seiner linken Tankhälfte. Das handgefertigte zweiteilige Spritgefäß wird über einen Verbindungsschlauch über die rechte Tankseite befüllt. Dagegen kann die Herstellung des Lenkers und die Formgebung des hinteren Fenders als eine der leichteren Übungen betrachtet werden. Das Vorderrad wird der Linie folgend von einer modifizierten Springergabel aus der Knuckle-Ära in der Spur gehalten.

Honda-Frontwheel für die Harley-Davidson Sportster

Leider fordern ausgerechnet die geplanten Honda-Räder einiges an Gedankenschmalz und Folgekosten, bis sie Rubens Vorstellungen entsprechen. Was sich beim Vorderrad mit einem leichten Eingriff in die Achsaufnahme regeln lässt, sieht hinten deutlich schlechter aus. Die Anzahl der Speichen im Honda-Original vertragen sich schlicht nicht mit den Speichenaufnahmen der Harleynabe. Es führt kein Weg dran vorbei, eigens eine spezielle 23-Zoll-Felge anzufertigen, um die Optik der alten Harley-Trommelbremse im Heck beibehalten zu können.

Einfallsreich: Ein Ringschlüssel aus Chrommolybdänstahl übernimmt die Bremsabstützung am Hinterrad. Sicherungsdraht aus dem Rennsport soll ein unbeabsichtigtes Lösen der Muttern verhindern

Nachdem die technische Seite des Bikes eindeutig geklärt ist, kann Ruben bei der optischen Ausreizung beherzt ins Altteile-Regal greifen. »Wirklich kultige Teile findest du in Katalogen sowieso kaum. Da krame ich doch lieber in den alten Kisten oder stelle das entsprechende Teil wenn nötig selbst her.« Im Falle seines Racers nutzt Ruben zum Beispiel einen Satz alter Ringschlüssel, um daraus die benötigten Bremsanker zu fertigen. Und auch die Batterie, deren Sitz er unter das Getriebe des Sportster-Motors verlegt, bekommt keine 08/15-Halterungen verpasst. Sie wird nun von der Ölwanne einer alten Honda CB 500 an ihrem Platz gehalten. Der Riemenantrieb muss seinen Platz zu Gunsten einer schmaler bauenden Kette räumen.

Der Auspuff wandert auf die linke Fahrzeugseite

Den Platz, den der fehlende Öltank spart, wird genutzt, um die Auspuffrohre in kunstvoller Kurvenführung auf die linke Seite zu verlegen. Als alles so ist, wie Ruben es sich vorgestellt hatte, wird der Racer in ein dezentes orange-cremeweißes Lackkleid getaucht und mit einem feinen Schriftzug und sparsamen Linien im Stil der 30er-Jahre versehen. Seinen ersten großen Auftritt hatte das Bike dann im Rahmen der Big Twin Show in Rosmalen. Um zu zeigen, was das Bike fahrtechnisch kann, treffen wir uns auf der Bahn eines ausgedienten Velodromes am Niederrhein. Der perfekte Ort, um Rubens Dutchman-Racer in Szene zu setzen.

Info |  wingpalace.nl

 

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