Acht Monate dauerte der Aufbau dieses ungewöhnlichen Motorrades mit Jawa-Herz – acht Monate und vier Jahre. Denn es brauchte zwei Anläufe, bis der Eigenbau-Zweitakter endlich bereit für die Straße war.

Customizing kennt viele Gesichter. Dranschrauben und losfahren, Lowbudget oder Highend, machen lassen oder alles selbst bauen, Letzteres im Grunde schon kurz vor der Königsdisziplin. Die erreicht, wer alles, vom Motor bis zum Fahrwerk, mit seinen eigenen Händen erschafft. Wenn es dazu noch auf der Basis eines ungewöhnlichen Urpsrungsbikes entsteht, sind wir im Schrauberhimmel angekommen. Ob das Ergebnis uns am Ende gefällt oder nicht, ist dabei beinahe egal, denn es geht um die Sache, die Kunst, das Handwerk.

Ultraschmal, wie es bei Boardtrackern üblich ist, wurde auch die Jawa gebaut. Das typische Räng-Däng-Däng kommt aus Fishtail-Endtöpfen

Paul Kuijs aus Holland hat es diesbezüglich weit getrieben, doch bevor wir das mächtige Räng-Däng-Däng aus den Fishtails zu hören bekommen, müssen wir erst mal Kaffee trinken und sprechen: Über eine ungewöhnliche Leidenschaft zu tschechischen Motorrädern. Denn tatsächlich ist Pauls Karre eine von kaum einem Dutzend Jawas, die wir in diesem Magazin schon gezeigt haben. Zu selten wird die Traditionsmarke als Basis für Custombikes genutzt. »Zu Unrecht«, wie Paul sagt, »die Kisten haben echt Potenzial.«

Jawa Eigenbau mit Teilen von verschiedenen 350ern

2014 hatte er die Idee, einen Boardtracker auf Jawa-Basis zu bauen, »keine Ahnung warum, die Idee war plötzlich.« Auf zahllosen Teilemärkten und übers Internet trägt er Teile zusammen, bei vielen wie der später verwendeten Lampe oder dem Rücklicht kennt er die Herkunft nicht. Andere sind klar als Produkte aus Tschechien zu erkennen. Verschiedene Typen der Jawa 350 gab es, von allen verbaut Paul Teile an seinem Motorrad, vor allem in Bezug auf den Zweitakt-Antrieb. Der entsteht aus Zylindern, Kolben, Köpfen und Krümmer der diversen Jawa-350-Typen. Und der Bau des Motors ist längst nicht alles.

Im Aufbau ist schon einiges zu erkennen, vor allem die großen, schmalen Räder und der Tank, der tief auf dem Rahmen aufliegt und schon mit dem Ausschnitt überm Zylinderkopf versehen ist

Für sein Fahrwerk besorgt sich Paul einen kleinen Fünfzigerjahre-CZ-Rahmen mit Plunger-System, also Geradewegfederung. Er entscheidet schnell, dass ein starres Heck besser passen würde. Entsprechend baut er das Heck um. Außerdem schweißt er eigene Motorhalterungen für die Aufnahme des Zweitakters. Auch der Federsattel kommt in dieser Phase schon dazu, außerdem die großen 21-Zoll-Räder, die er aus Naben, Speichen, Felgen und alten Trommelbremsen selbst baut. Und er zerschneidet einen Tank, baut ihn zeitgenössisch wieder auf.

Das Jawa-Projekt verschwindet für drei Jahre in einem Seecontainer

Das Spritgefäß liegt sehr tief und langgestreckt auf dem Oberrohr auf, die typischen Ausschnitte für die Zylinderköpfe bekommt er außerdem. Tatsächlich hatte das Projekt zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2015 viel Fahrt aufgenommen, bis persönliche Gründe Paul dazu zwingen, den Bau vorläufig einzustellen. Der gesamte Inhalt seiner Werkstatt samt dem Jawa-Projekt verschwindet in einem Seecontainer, dessen Tür drei Jahre lang verschlossen bleibt. Erst im letzten Jahr findet die Wiederbelebung statt, Paul kann sich ein Haus mit zwei Garagen kaufen.

Im Lenker liegen alle wichtigen Züge sowie der Gashebel

»Im November 2018 kam der Elektriker, um den Sicherungskasten in meiner Werkstatt anzuschließen«, erzählt er, »es war der Tag, an dem ich endlich zur Arbeit an der Jawa zurückkehrte.« Ein paar große Arbeiten stehen ihm noch bevor, er will zum Beispiel die Gabel selbst bauen. Die Blattfeder kommt dabei aus einem alten Lastenfahrrad, die Holme lässt er auf Maß anfertigen. Die obere Gabelbrücke und die beiden Kipphebel unten an der Gabel sind selbst entworfen, werden in einem Metallbaubetrieb eigens angefertigt.

JAWA Eigenbau mit nahezu unsichtbaren Details

Im letzten Schritt beginnt damit die Erarbeitung der Details, die nahezu unsichtbar sind. So werden alle Kabel durch den Rahmen gezogen. Der Lenker hat einen innenliegenden Gasgriff und die umgedrehten Hebel ermöglichen es, auch Gas-, Brems- und Kupplungszüge durch den Lenker zu ziehen. Für Zündung und Stromversorgung setzt Paul auf ein MZ-B-System, die Zündspule findet ihren Platz in einer Eigenbau-Box direkt unterm Tank. Am Ende steht nur noch die Lackierung an, die ebenfalls selbst ausgeführt wird.

Nicht standardmäßig: Der Einbau der Trommelbremsen kostete einiges an Hirnschmalz und Messarbeiten

Pauls Boardtracker ist tatsächlich ein Motorrad, das fast ausschließlich aus Teilen entstand, die er auf Swap-Meets erstand oder noch rumliegen hatte. Konsolen, Halterungen und Distanzstücke baut er selbst, eine dafür angeschaffte Drehbank und der Bandschleifer erweisen sich dabei als gute Helfer. Die Jawa avanciert damit zum Lowbudget-Einzelstück und keineswegs zum letzten Bike, das Paul bauen will. »Ich habe aus dem Projekt einiges gelernt. Das kann ich direkt anwenden, wenn ich die Jawa Perak, die hier noch rumsteht, aufbauen werde. Die braucht nämlich einen neuen, schnellen Motor.«

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.