Die Indian FTR ist kein echter Flat-Tracker, sondern eher ein nacktes Sportmotorrad. Wer mit ihr trotzdem etwas Dreck fressen mag, kann zur neuen Rally-Version greifen. Streetfighter hingegen können die S-Version mit ein paar Handgriffen anschärfen.

Was für eine Schmach: Vier Jahrzehnte dominierte Harley-Davidsons XR 750 die AMA Grand National Flat-Track-Championship. Von Scott Parker über Kenny Coolbeth bis Jared Mees frästen sich amerikanische Driftlegenden mit der XR höchst erfolgreich durch die Ovale und bescherten der Company einen Ruf wie Donnerhall. Ab 2017 sollte die Erfolgsgeschichte mit der wassergekühlten XG 750R fortgeschrieben werden, die bereits im Vorjahr mit mäßigem Erfolg einige Male an den Start ging. Zeitgleich stieg der wiederbelebte Erzrivale Indian in die Serie ein und schnappte sich mit Jared Mees den erfolgreichsten Harley-Piloten der vergangenen Jahre. Ergebnis: Mees fuhr mit der FTR 750 alles in Grund und Boden und holte für Indian die Meisterschaften 2017 und 2018 und musste sich 2019 nur ganz knapp Briar Bauman – ebenfalls auf FTR – geschlagen geben. Ein üble Schlappe für Milwaukee und ein imagetechnischer Volltreffer für Indian.

Die S-Version bietet ein voll einstell­bares Fahrwerk, drei Fahrmodi, Traktionskontrolle und weitere Farboptionen. Die Rally gibt’s nur in Titanium-Smoke. Keine Fahrmodi für alle Wetterlagen und auch beim Fahrwerk gibt’s nichts einzustellen. Egal, es passt. Die gesparte Kohle ist wohl besser in Zubehör investiert, das die Großseriensünden ausradiert

Ziemlich schlüssig also, dass Indian 2019 eine FTR für die Straße auflegte. Die Konsequenz des Racers erreicht die 1200er allerdings nicht mal annähernd. Flat-Track-Fans, die aufgrund der von Indian vorab gezeigten Concept-Studie schon auf einen reinrassiges Sportgerät gehofft hatten, mussten sich erst mal ein paar Tränchen aus dem Knopfloch wischen: Die Serienversion hatte nicht das typische Flat-Track-Heck im Storz-Style, keine hochgelegten Dualshots und überhaupt auf dem Weg zur Serie einiges an durchtrainierter Sehnigkeit eingebüßt. Statt einer knackig-schmalen Sitzbank gab’s nun halt ein komfortables Plätzchen, das auch für XL-Ärsche passt. Papi will mit Mami hintendrauf sonntags ja auch gern mal zur nächsten Eisdiele kurven. Da kommt es einfach schlecht, wenn sich zartes, eisgekühltes Zitronenaroma mit dem Gestank verbrannten Fleisches mischt, weil Mutterns Oberschenkel Bekanntschaft mit hochgelegten Abgasröhren gemacht hat.

Horden von Homologationsbeamten mit hungrigen Mäulern

Alles nachvollziehbar, schließlich soll die FTR sich ja verkaufen und nicht nur ein paar Flat-Track-Freaks glücklich machen. Dazu kommt dann halt noch das Elend, wenn Horden von Homologationsbeamten mit hungrigen Mäulern und scharfen Zähnen über diese leuchtend grüne Wiese der Möglichkeiten ziehen und allerhand braune Stoppeln in Form von Katzenaugen und Tankentlüftungsfiltern in der Größe eines 1-Liter-Tetrapacks hinterlassen.

Im Vergleich wirkt die Rally schon fast bieder

Und doch lässt uns der Anblick der Indian nicht kalt. Erst recht, wenn sie ein wenig aufgehübscht wurde, wie im Fall der hier gerittenen Wunderkind-FTR, die als S-Version schon von Haus aus fein ausgestattet ist. Die Breisacher Zubehörspezialisten haben ein reichhaltiges Programm an Parts entwickelt, das der Maschine zu einem stimmigeren Outfit verhilft. So sorgen unter anderem kleine LED-Blinker, gefräste Brems- und Kupplungshebel, eine einstellbare Sportfußrastenanlage und Lenkerendenspiegel für mehr Style und Funktionalität. Der verbaute Endtopf von AC-Schnitzer ist zwar nicht für die FTR homologiert, sorgt aber für einen bassigen Klangteppich, der das Fahrerlebnis reichlich intensiviert.

Andernorts wird das Kennzeichen scheinbar in Steinplatten gemeißelt

Ein Volltreffer ist auch der flache Streetbike-Lenker, der den Bezug zum Vorderrad ebenso wie die Silhouette deutlich verschärft. Der seitliche Kennzeichenhalter ersetzt den unsäglichen, vier Kilo schweren Stahlbügel, der das Serienheck aller FTR-Modelle verunstaltet. Es geht das Gerücht um, dass in manchen Ländern das Kennzeichen in Steinplatten gemeißelt wird und der Bügel deshalb so ausladend sein muss. Zugegeben eine mäßig schlüssige Erklärung, aber bislang konnte uns noch niemand eine bessere geben.

2017 stellte Indian die grandiose FTR 1200 Concept vor. Auf dem Weg zur Serie hat sie einiges an durchtrainierter Sehnigkeit eingebüßt

Und wie fährt sich die FTR so? Nun ja, different. Was aber zuvorderst an der Besohlung liegt: Serienmäßig ist die Indian nämlich eher mittelmäßig gut bereift. Toll aussehen tun die Gummis ja und auch in Sachen Trockengrip ist der bei Sumitomo in den USA gefertigte Dunlop-Pneu DT (wie Dirt Track) 3 ein verlässlicher Partner. Über Längsrillen allerdings schlingert er wie eine Nussschale im Sturm und führt auch in tiefer Schräglage etwas schwammig. Und auch ohne Rillen im Asphalt schwimmt die FTR bei hohem Speed auf der Autobahn trotz bockstabilem Fahrwerk immer leicht. Vielleicht mit ein Grund, warum bei 193 km/h abgeregelt wird? Bisher ist die Auswahl an Straßenreifen in den eher ungewöhnlichen Dimensionen mehr als überschaubar, ­Alternativen sind rar.

Im Sport-Modus greift der Rutschverhinderer deutlich seltener ein

Die Kombi aus Fahrwerks­geometrie, 19 Zoll vorn und 18 Zoll im 150er-­Format hinten, über 230 Kilo vollgetankt und besagten ­Dunlops ist kein Plug-and-Play. Die FTR wirkt mit Serienbereifung erst mal beweglich, will in den engen Ecken dann aber doch aus dem Ruder laufen und in Wechselkurven herrisch gemaßregelt werden. Die Dunlops liefern kein rechtes Vertrauen, zudem regelt die Traktionskontrolle im Standardmodus am Kurvenausgang ständig den Dampf raus. So wenig Grip? Nein, es muss an der Programmierung liegen: Im Sport-Modus greift der Rutschverhinderer deutlich seltener ein. Ans Handlingverhalten gewöhnt man sich nach und nach. Werden die Radien weiter, wird’s einfacher. Dann liegt die FTR wie festgenagelt in der Kurve, die Fahrwerksabstimmung gelungen, die Lenkerkon­trolle gut, die Schräglagenfreiheit unamerikanisch üppig.

Breiter Lenker, bequemer Sitz, nach hinten orientierte Rasten, superschmalziger Twin-Tritt aus tiefsten Drehzahlen: souverän, bequem, füllig fühlt sich das alles an

Die Basis stimmt also und nicht ohne Grund hat die Wunderkind-FTR die unharmonischen Dunlops abgestreift und auf Pirellis Scorpion Rally umgerüstet. Schier unglaublich, wie die italienischen Gummis der Indian ihre Zickigkeit nehmen. Trotz leichten Stollenprofils sind Schräglagenschwammigkeit und Highspeed-Schwimmen weitgehend eliminiert. Bon! Das hat auch Indian selbst spitzbekommen und ihre neue Rally-Version auf die Pirelli-Pneus gestellt. Mit dieser sind wir zur Wunderkind-Zusammenkunft nach Breisach im äußersten Südwesten der Republik gefahren – einmal längs durch den Schwarzwald.

Die Rally-Version der Indian FTR kann wild und gechillt

Die Rally ist nichts anderes als eine Basis-FTR mit kleinem Windschild, zwei Zoll höherem Lenker, rauchiger Farbkombination und besagter Pirelli-Bereifung. Leicht angescrambelt also, mit einem Schuss Enduro-Spirit. In jedem Fall aber ein zuvorkommender Landstraßenfeger, der über etwas weniger Schärfe als die S-Version verfügt und damit auch für gechillte Fahrer eine gute Wahl ist. Im Prinzip eine Alternative für BMW-GS-Fahrer, die nicht ganz so dick auftragen möchten …

Seitlicher Kennzeichenhalter, zweiteiliger Kettenschutz aus Aluminiumblech

Auch wenn das Rally-Fahrwerk nicht einstellbar ist – es passt. Ein guter Kompromiss aus Verbindlichkeit und Komfort, mit dem es sich prima leben lässt. Entscheidend für die Freude am Fahren ist jedoch das souverän agierende Aggregat. Dieses basiert zwar auf dem 1200er der Scout, wurde der neuen Stoßrichtung aber umfassend ­angepasst. Die Schwinge ­lagert nun im verstärkten Motorgehäuse, ­ansonsten hieß es: Raus mit der Axt und runter mit der Schwungmasse! So ist der 60-Grad-V2 ein quirliger Geselle geworden, dreht und drückt bis über 8 000/min munter. Nur auf den letzten 1000 Umdrehungen geht ihm etwas die Puste aus. Zapplig wie die etablierte Power-Twin-Konkurrenz von Ducati oder KTM ist er nicht, seine Cruiser-Herkunft steckt ihm immer noch ein bisschen in den Pleueln. Schon ab 2 000/min läuft er rund und spült bald seine 120-Newtonmeter-Woge geschmeidig und doch mit Verve gen Hinterrad. Mit fünfzig Sachen im vierten Gang ohne Kettengezerre durch die Stadt – kein Problem. Ab mittleren Drehzahlen spürt man ihn über die Kontaktflächen rau schwingend schuften.

Der V-Twin der Indian FTR braucht ein paar Kilometer …

Den Kaltlauf haben sie allerdings nicht gut hinbekommen. Zwar springt der Twin spontan und zuverlässig an, stirbt aber beim ersten zarten Zupfer am Hahn direkt wieder ab. Bis er die Gasbefehle sauber annimmt, dauert es ein paar Kilometer. Immerhin ist die Rally in puncto Mapping auf dem neuesten Stand. Die verzögerte Gasannahme und das Konstantfahrruckeln unseres letztjährigen Dauertesters sind ihr fremd. Das entsprechende Update gibt’s beim Freundlichen.

Ob Umbau oder Serie – die FTR ist ein richtig gelungenes Möppchen

War noch was? Ja, für amerikanische Verhältnisse ist das Finish der FTR richtig gut. Mit kleinen Einschränkungen – Kabelan­schlüssen, deren Ummantelung gern einen Zentimeter vor ­Anschluss endet beispielsweise. Und dass der unter dem Sitz verlaufende Tank sich nur mit zarter Zapfhand füllen lässt. Und der Blinkerschalter idiotisch klein geraten ist. Peanuts …

Für fleischigen Punch im Euro-4/5-Zeitalter braucht’s Kompromisse

Dass man vom herrlichen Antrieb trotz Gitterrohrrahmens vor lauter Kühlergedöns und Verblendungen kaum was zu sehen bekommt, ist schade. Aber wer dermaßen fleischigen Punch im Euro-4/5-Zeitalter will, muss eben Kompromisse eingehen. Und das ist keine Schande …

Info | indianmotorcycle.de | wunderkind-custom.com

 

Carsten Heil, hat die typische Zweiradkarriere der 80er-Jahre-Jugend durchgemacht: Kreidler Flory (5,3 PS), 80er-Yamaha DT und mit achtzehn dann die erste 250er Honda. Nach unzähligen Japanern über Moto Guzzi ist er dann schließlich bei Rohrrahmen-Buell gelandet. Seit 1992 mit Fotoapparat und Schreibgerät in Sachen Kradkultur unterwegs.