Drei Italiener quetschen einen 130-PS-Alfetta-Motor in einen Mopedrahmen und erschaffen mit der Alpha Centauri ein betörendes Monstorrad. 

Wenn es darum geht, schräge Motorradkreationen jenseits ausgetretener Wege zu bauen, liegen die Customizer südlich der Alpen sicherlich auf einem der vordersten Plätze: Form vor Funktion, das können sie da unten auf dem Stiefel. Da wird dann auch gern mal der Motor eines italienischen Vierrad-Klassikers in ein Motorradfahrwerk gesetzt. Nun ist es nicht so, dass das etwas gänzlich Neues wäre. Gerade in Deutschland sind schon der selige Friedel Münch und seine ab 1966 stattfindende »Zweckentfremdung« des NSU-Prinz-1000-TT-Vierzylinders zur Legende geworden.

Um die 130 PS Leistung ans Hinterrad zu bringen, bedienen sich die Erbauer eines Kettenantriebs, der über eine im Rahmen verankerte Zwischenwelle gelenkt wird

Aber einen passenden Motorradrahmen um Alfa Romeos Zweiliter-»Alfetta«-Treibsatz zu bauen, ist eine echte Herausforderung. Das Ergebnis wirkt wie ein Ufo, und zu alldem trägt es gar einen Schuss Harley-DNA in sich. Christian Morelli und das Team von »Freesound Customs« steckten mehr als eintausend Stunden Arbeit in ihr Projektbike, das nur auf den ersten Blick – die lange Springergabel verleitet zu diesem Eindruck – wie ein Chopper aussieht. Beim näheren Hinsehen erkennt man viele Details und Merkmale, die eigentlich viel besser zu einem Dragster passen. Schon der Begriff Sitzposition beschreibt die sprichwörtliche Lage des Fahrers auf dem Sattel nur unzutreffend.

Alpha Centauri – Die Springergabel ist nicht gerade ein Kurvenfeger

Tatsächlich liegt der Pilot eher auf dem handgefertigten, teils mit Lederpolster überzogenen, Tank die Füße auf hinten positionierte Alu-Sportrasten gefaltet und die Arme gestützt auf eigens dafür montierte ledergefütterte Metallstützen rechts und links des Tanks. Der M-Lenker erinnert mehr an einen Boardtrack-Racer als an ein Sportbike – zumal auch die lange Springergabel nicht gerade ein Kurvenfeger ist. Der Rahmen ist handgefertigt, abgestimmt auf die Bedürfnisse von Triebwerk, Primärantrieb, Getriebe und jene Zusatzaggregate, die zum Bertrieb des Vierzylinders unvermeidlich sind.

Zwei Stoßdämpfer für die Gabel plus ein Hydraulik-Zylinder sind zur Dämpfung der Fuhre notwendig

Teile eines ausgeschlachteten Yamaha-Drag-Star-Cruisers wurden beim Aufbau verwendet – wer genau hinsieht, erkennt noch die Aufnahmebohrungen für die vorverlegte Fußrastenanlage in den vorderen Rahmenrohren. Das kurze Heckteil ist integraler Teil des Rahmens. Die besondere Konstruktion des Lenkkopfs erlaubt eine Verstellung des Lenkkopfwinkels: Damit kann der Street Dragster auch zum echten Chopper werden, allerdings verbunden mit einer signifikanten Erhöhung des Schwerpunkts, denn weder Motorgehäuse noch Kurbelwelle sind von ihrer Herkunft auf Leichtbau ausgelegt.

Alpha Centauri – Fahrkomfort war keine Vorgabe

Der radikale Dragstyle-Look verlangte nach einem starren Heckteil, was auch mögliche Veränderungen an der Vorderfront erleichtert – Fahrkomfort war ganz offensichtlich keine Vorgabe bei der Entwicklung des Monsters. Und im Mittelpunkt steht sowieso der Motor. Ob es der 2000-Kubik-Reihenvierzylinder wert ist, ans Tageslicht gezerrt zu werden, können letztlich nur die Erbauer beantworten. Denn der eigentliche Zweck des wassergekühlten Aggregats, bereits 1972 als 1800-ccm-Version eingeführt, war es, zuverlässig und kraftvoll unter einem Blechkleid beschützt zu werken, umgeben von jenen Bauteilen, die ihn mit Zündfunken, Öl und Kühlwasser versorgen.

Die Position der Fußrasten verrät es, der Fahrer sitzt weit nach hinten gestreckt auf dem Alfabike

Umso schwieriger war es, die zum Betrieb des Motors notwendige Hardware unterzubringen, denn die Raumvorgaben der Autokonstrukteure waren natürlich völlig andere als bei einem Motorrad. Als zweckmäßige Art der Beatmung taugen zwei Dell‘Orto-Doppelvergaser, der serienmäßige Zündverteiler verblieb an seinem Stammplatz. Was auf den ersten Blick nicht auffällt, aber dennoch bemerkenswert ist: Das vordere Rahmendreieck ist nicht durch einen Wasserkühler verschandelt!

Der Blick auf den Vierzylinder-Block bleibt völlig frei

Dort, wo moderne Motorräder durch immer höher geschraubte Umwelt- und Emissionsgesezte von mehr und mehr Zusatzaggregaten dominiert werden, bleibt der Blick auf den Vierzylinder-Block und seine Auspuffstutzen völlig frei. Die Gehäusebeschichtung mit schwarzem Schrumpflack erweitert die Kühloberfläche des wuchtigen Motorblocks um einiges. Auch die Drehung des Motors mit den Auspuffkrümmern in Fahrtrichtung half.

Nur wenige Motorrad-Spezialisten dürften in der Lage sein, den verbauten Motor auf Anhieb zu identifizieren, obwohl der Vierzylinder in größeren Stückzahlen produziert wurde als die meisten in Motorrädern verbauten Triebwerke. 130 PS aus einem 2000-Kubik-Vierzylinder ist eine respektable Hausnummer, besonders für das Jahr 1977, als die Zweiliter-Version des Alfetta auf der Motor Show Genf vorgestellt wurde

Das reicht aber bei Weitem nicht, einen wassergekühlten Vierzylinder trocken zu betreiben. Eine andere Lösung musste her. Die kam in Form eines Wasserkühlers aus einem 600er Fiat, der in den freien Raum zwischen Getriebe und Hinterrad – unter dem Sitz eingepasst wurde und nahezu unsichtbar seine Arbeit vollbringt. Forciert wird die Kühlluftzufuhr durch einen wuchtigen Trichter auf der rechten Motorseite, schwarz lackiert, damit er sich unauffällig in die Motorbaugruppe einfügt. Die dazu gehörenden Wasserschläuche sind dagegen deutlich zu sehen.

Alpha Centauri – Der Keilriemen-Antrieb wurde amputiert

Nicht unbedingt die schönste Lösung, allerdings eine zwingende Notwendigkeit, um den Motor am Leben zu erhalten. Viel Arbeit und Gehirnschmalz stecken in der Verteilung der anderen Zusatzaggregate: Der sonst an einem Automotor arbeitende externe Keilriemen-Antrieb für Wasserpumpe und Lichtmaschine wurde amputiert. Stattdessen füttert eine elektrische Wasserpumpe den Kühlkreislauf und die Lichtmaschine sitzt harleylike im Antriebsstrang, der folglich auch in weiten Teilen aus einer 1340er Evolution der 90er Jahre stammt.

Wenn man als Motorradfahrer mit diesem Motor in Kontakt kam, war er meist unter der Haube eines Streifenwagens verborgen, nutzten doch auch italienische Polizeikräfte ihn ausgiebig. Während es bereits Motorrad-Eigenbauten mit dem Alfa-Romeo-Boxer- oder -V6 Motoren gibt, ist »Alpha Centauri« wahrscheinlich der einzige Versuch, den wassergekühlten Reihenvierzylinder aus seinem Blechkäfig zu befreien und in einem Motorrad zu präsentieren

Auf der Primärseite ist dies natürlich ganz besonders deutlich, der wuchtige Harley-Primärkasten ist kaum zu übersehen. Und wer einen genauen Blick auf das Kupplungscover wirft, erkennt eine ziemlich freche Kombination aus Harleys »Bar & Shield«-Logo und der gekrönten Schlange aus dem Alfa-Romeo-Markenzeichen. Weder der Primärantrieb noch das Fünfgang-Evo-Getriebe haben ein Problem mit der zu verarbeitenden Leistung.

Ziemlich knifflig, die 130 PS ans Hinterrad zu bringen

Um die bis zu 130 PS ans Hinterrad zu bringen, bedient man sich eines Kettenantriebs, der über eine im Rahmen verankerte Zwischenwelle gelenkt wird. Welle und Ritzel sitzen dort, wo sich an einem konventionellen Fahrwerk der Schwingendrehpunkt befindet. Der Getriebeausgang wird durch diesen Trick mit dem Hinterradritzel ausgerichtet, die zweite Kette läuft hinter den Rahmenrohren. Dank Kettenschlössern ist das alles einfach ein- und auszubauen. 

Christian Morelli (rechts) und das Team von »Freesound Customs«

Zahlreiche Details der Maschine sind aus Holz gefertigt – eine Reminiszenz an die Inneneinrichtung des 1978er Alfetta-Upgrades, bei dem die Instrumentenkonsole von gebürstetem Aluminium in simuliertes Holz geändert wurde. Bei »Alpha Centauri« ist nichts simuliert – das Holz ist echt. 

Typisches Alfa-Röhren aus offenen Krümmern

Bei seiner Premiere auf der Bikeshow des Biker Fests in Lignano Sabbiadoro verriet das typische Röhren des Alfa Romeo aus offenen Krümmern, wenn das Monster zum Leben erweckt wurde. Kaum einer konnte sich daran satthören, stets war das Monstrum von Menschen umringt  – obwohl rundherum eines der größten Customevents Italiens tobte.

 

Horst Rösler
Freier Mitarbeiter bei

Diplom-Ingenieur Horst Rösler ist Jahrgang 1960 und unter seinem Nicknamen »Motographer« seit Jahren einer der wahrscheinlich meistveröffentlichten Bildjournalisten in Sachen Custombikes auf Harley-Davidson- und V-Twin-Basis. Als Plastikmodellbauer seit jungen Jahren, schrieb er von 1979 bis 2009 zunächst als freier Mitarbeiter, später dann als Redakteur für Motorräder für die Fachzeitschrift »Modell Fan« und von 1980 bis 1985 für das Motorradmagazin »Visier«. Seit 1992/93 ist er freiberuflich für deutsche und internationale Custombike-, Harley-Davidson- und Motorradmagazine tätig. Horst ist ein Szene-Urgestein und es gibt wohl kaum ein Event auf diesem Planeten, wo er nicht anzutreffen ist. Sei es als Organisator für Bikeshows oder als Fotograf unter anderem für die AMD World Championship von 2004 bis 2010. Als der »Motographer« ist er weltweit auf verschiedenen Harley-Events unterwegs und spezialisiert auf Randthemen oder zunächst kaum beachtete Newcomer der Customszene. Das bestmögliche Bildmaterial bereitzustellen gehört ebenso zu seiner Passion wie die intensive Suche nach Originalquellen, Zeitzeugen und die Zuordnung von Motorrädern in ihren geschichtlichen Hintergrund, wobei er nicht nur auf Custombikes beschränkt ist.