Eigentlich hatten wir an dieser Stelle ein Interview geplant … am Arsch. Ein Tag, an dem gar nichts funktionierte, oder eben alles. CUSTOMBIKE auf Hausbesuch bei Liedermacher Hans Söllner.
Eine Meinung zu haben bedeutet in unserer Zeit, 140 Zeichen tippen zu können, Bio-Hühnchen zu essen und einen Klappenauspuff zu fahren, um die Sorge über das Phonmessgerät der Rennleitung vergessen zu können. Wir können es uns also zu Hause auf der Couch bequem machen, den Dingen ihren Lauf lassen und unser Netflix-Abo voll auskosten. Und politische Zustände, ach, wen interessieren die schon? Oder man steht auf, wie Hans Söllner, 67 Jahre alt und definitv nicht zur Sofafraktion gehörend – gelernter Kfz-Mechaniker und Koch, seit Jahrzehnten als Liedermacher auf kleinen und großen Bühnen unterwegs.
Ob vier Akkorde ausreichen, die Welt zu verändern?
Ein Konzertbesuch beim Hans macht immer ein bisschen Hoffnung. Da stehen die alten 68er-Revoluzzer neben Röhrenjeans-Hipstern und Zivilpolizisten. Für einen Moment kommt dann das Gefühl auf, die Revolution doch irgendwie greifen zu können. Ob vier Akkorde ausreichen, die Welt zu verändern, sei dahingestellt. »Aber versuchen kann man es«, sagt Hans, »das ist nichts anderes als wie mit Motorrädern.«

Tatsächlich hatte unser Besuch bei Hans Söllner nämlich eigentlich einen zweirädrigen Hintergrund, denn für Musikkritik gibt es deutlich kompetentere Magazine. Über die sozialen Medien hatte ein Freund unseres Hauses entdeckt, dass Hans seinen alten BMW-AME-Chopper über Ebay verkaufen wollte und uns so auf die Spur gebracht. Naiv wie wir manchmal sind, schreiben wir Hans via E-Mail an und erhalten kurz später von seinem Management einen Termin geschickt. Wir fahren aufs Land, Hans empfängt uns mit einem Lächeln, »kummt rei.«
Hans Söllner redet wie ein Wasserfall, Fragen machen keine Sinn
Ab da nahm der Tag eigenwillige Züge an. Eigentlich hatten wir geplant, ein journalistisch fundiertes Interview über Motorräder zu führen. Doch schnell wird klar, das funktioniert hier nicht. Hans Söllner redet wie ein Wasserfall, das übliche Frage- und Antwort-Spiel macht hier keinen Sinn. Und so können wir am Ende nicht mehr tun, als die Stimmung im Hause Söllner einzufangen und einen kleinen Ausflug in die Motorradwelt des bayrischen Künstlers zu wagen.

Da wäre zum einen die BMW, wegen der wir gekommen sind. Ein in die Farben der Rastafari gekleidetes Kulturgut, fast exakt in dem Zustand, in dem sie Hans einst hat aufbauen lassen. Gehegt, gepflegt und vor allem bewegt über all die Jahre, denn ja, »es darf auch mal um mehr als um Lackierung und Hubraum gehen«, erklärt Hans mit Blick auf das Relikt in seinem alten Familienhäuschen, neben Kühlschrank, Gitarren und selbstgebrautem Bienenfeuer.
Hans Söllner: »Das Motorrad muss immer einsatzbereit sein«
Doch es gibt noch mehr Motorräder im Hause Söllner. Die Eisenkopf-Sportster und die Familien-BMW. Dieser 250er liegt alle Zweiradaffinität des Bayern zu Grunde, sie war sein erstes Bike, »wie die erste Liebe und, nebenbei, auch aus derselben Zeit«. Das Motorrad muss immer einsatzbereit sein, immer funktionieren, »da hängen sehr viele Erinnerungen dran«. Ganz anders die Sporty, »ein gar zickiges Ding«, wie Hans zugibt. Nach dem Winter einfach so starten, um durch die bayrische Landschaft zu plötten, ist damit unmöglich.

»Und das Schrauben ist gar nicht mehr so mein Ding. Ich kann es zwar, aber oft fehlt mir die Zeit und die Lust, ständig an den alten Böcken zu schrauben. Das ist schon viel Aufwand«. Ein Grund, warum wir unter seinen Zweirädern auch was Neues entdecken – eine Sportster 883, einfach Knopf drücken und los. Weniger wartungsintensiv und störungsfreier, denn wie gesagt, das Schrauben, das nervt auch ihn manchmal, den »guadn Mechaniker«.
»Freiheit ist ein Gefühl, sie findet im Kopf und im Herz statt«
Und gerade als wir beginnen wollen, noch mehr über die Motorräder zu erfahren, fängt Hans Söllner an, über Freiheit zu sprechen. Und wir hören zu und lernen, Freiheit findet nicht nur auf dem Motorrad statt. »Die Liebe zur Freiheit spüre ich auch auf dem Fahrrad, auf der Gartenbank beim Bienen beobachten oder in einem Cabrio. Denn Freiheit ist ein Gefühl, sie findet im Kopf und im Herz statt. Dort muss sie entstehen, dort kann sie wachsen«.

Die Marketinggurus, auch der Motorradszene, erzählen uns gerade heute gern, dass wir das eine Teil brauchen, jenes Bike, diese eine Jeans, damit wir frei sind. »Nein, es ist die Stunde, die du an deinem Motorrad schraubst oder in der ich Musik mache, sinnvoller als eine Stunde beim Therapeuten. Alles, mit dem du dich im Leben umgibst, sind nur Bausteine, die das große Ganze entstehen lassen.«
»Um Freiheit zu spüren, muss sie wehtun«
Und bei Kaffee und Honiglikör, als wir die Motorräder längst vergessen haben, haut der Hans noch einen raus: »Um Freiheit zu spüren, muss sie wehtun. Nur dann ist sie echt und wahrhaftig.« Er meint es ernst, egal, ob er auf der Bühne steht oder einem überforderten Schreiberling einen Hausbesuch gestattet.
