The Twins: Nach einem halben Jahrhundert Rennsport blieben in einer ehemaligen Scheune bei Mönchengladbach nicht nur viele Erinnerungen und jede Menge Pokale zurück, sondern auch Unmengen Teile und reichlich Know-how.

Backsteinromantik im niederrheinischen Tiefland. Wirtschaftsgebäude mit Patina rahmen den ungepflasterten Hof inmitten des verträumten Weilers zwischen alten Baumbeständen und Pferdekoppeln. Idyllische Ruhe. Meistens. Immer wieder, seit einem halben Jahrhundert schon, wird sie brutal unterbrochen. Dann werfen die umliegenden Mauern das Explosionsgetöse von Verbrennungsmotoren zurück, spielen damit so lange Pingpong, bis selbst der kundigste Nachbar Twin oder Single kaum mehr auseinanderhalten kann.

Vater Konrad betrieb Motocross-Gespannsport

Mehr als zwei Zylinder hat es im Leben von Jürgen Knübben nie gegeben. In unmittelbarer Nachbarschaft ist er groß geworden, seit frühester Kindheit bis Mitte der 90er hat er zwischen März und November hier aber kaum ein Wochenende verbracht. Seit Anfang der 60er Jahre betrieb Vater Konrad Motocross-Gespannsport – ernsthaft. Das ganze Leben der Familie – neben Jürgen zwei Brüder, zwei Schwestern, die Mutter und Onkel – war streng darauf ausgerichtet.

Jürgen Knübbens Spezialität sind die Motoren, das Customizen – wie hier an diesem hübschen Tracker – überlässt er anderen

Sie war das Team im Hintergrund, wenn der „Werksfahrer“, wie sie den Vater nannten, um Ehre und Pokale fuhr und 1974 schließlich IMBA-Europameister wurde. Er war es auch, der beim Bauern nebenan eine erste Garage anmietete: als Stauraum und als Platz zum Schrauben.

Jürgen wurde Spezialist für die Norton-Manx-Motoren

„Klar war das für mich als Junge cool. Doch alles hat seinen Preis. Wir haben für den Sport alles gegeben, Zeit, Geld, Tag und Nacht. Während meine Kumpel auf ihren Mofas die Gegend unsicher machten, hab ich das Gespann meines Vaters gewienert.“ Was reichlich untertrieben ist, schließlich kümmerte er sich schon bald auch um die Mechanik. So wurde er Spezialist für die Norton-Manx-Motoren, die sein Vater nicht nur fuhr, weil sie stark waren. Mit hohen Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen passten sie auch zu seinem unspektakulären, immer aber sauschnellen Fahrstil.

Sohn Jürgen (links, mit Mütze) entbrannte nicht nur für den Sport, sondern auch für die Technik. Norton Commando und Yamaha XS sind seine Spezialgebiete

1977 begann Jürgen selbst mit dem Gespannsport, trug mit seinem alten Herrn auf der Strecke manches Scharmützel aus, fuhr wie er Unmengen von Pokalen ein – und entwickelte sich in der Folge auch zum intimen Kenner von Yamahas XS-650-Motor, mit dem er in seine Motorsportkarriere gestartet war. Seit Mitte der 70er hatte sich der englischste aller japanischen Twins nicht nur in den Gespannen der Knübbens einen Stammplatz erkämpft – nicht zuletzt wegen seines Tuningpotenzials, das bis zu einem Liter Hubraum hinaufreicht.

Die Vergaser kann er im Schlaf einstellen

„Einen Prüfstand brauch ich nicht. Ich weiß, wie ich den Dingern Beine mache“, sagt Jürgen. Er kennt alle Schwachpunkte, weiß, wo man anpacken muss. Zuerst hört er sich den Motor an. Die Vergaser kann er im Schlaf einstellen, in Sachen Gemischbildung genügt ein Blick aufs Kerzenbild. Und geht’s an die Mechanik, haben die Twins – ganz gleich, ob aus Japan oder merry old England – auch keine Geheimnisse mehr vor ihm.

Der Gespannsport war Familiensache (Konrad links im Bild mit Startnummer D1)

Seine Spezialität ist die Umrüstung der Kurbelwelle des echten Paralleltwins von null Grad Hubzapfenversatz auf 277 Grad, wofür die Originalwellen umgeschweißt werden. Das schärft den ohnehin ausgeprägten Motorcharakter mit einer Laufcharakteristik à la V-Twin und obendrein mehr Drehmoment, der Druck der umhergeschaufelten Luftmassen im Kurbelgehäuse verteilt sich dann besser.

Neues Betätigungsfeld: Veteranenserien

Nach zwei Dekaden Rennerei entschied Jürgen Mitte der Neunziger, die Jagd nach WM- und DM-Punkten endlich dranzugeben und widmete sich fortan den neu entstandenen Veteranenserien, die gerade wegen ihrer Motorprotagonisten von Norton, Triumph und Yamaha Publikumslieblinge wurden.

Das Lager ist prall gefüllt. So prall, dass Jürgen auf Wunsch auch komplette XSen aufbaut

So kamen über die Jahre Unmengen von Norton- und Yamaha-Rohstoffen zusammen. Bei der einen Garage, die Konrad einst angemietet hatte, war es ohnehin nicht lang geblieben. Nach und nach breiteten sich die Knübbens in dem ungenutzten Gebäude aus, rund zweihundert Quadratmeter belegen sie heute.

The Twins: XSen in allen erdenklichen Erscheinungsformen

Der Mund steht schon offen, da hast du die Schwelle noch gar nicht überschritten. Aufgereiht auf Boden und Hebebühnen präsentieren sich XSen in allen erdenklichen Erscheinungsformen zwischen Serie und Custom. Wer über Türen, Winkel und Stiegen weiter ins Domizil vordringt, bekommt einen Eindruck davon, wie viel Material hier noch lagert.

An Pokalen mangelt es nicht unter dem Dach der Twins MG. Konrad sammelte sie ab Anfang der Sechziger, Jürgen zog ab Mitte der Siebziger nach

»Viel zu viel, das muss mal weg«, entschied sich Jürgen eines Tages und begann, für interessierte Abnehmer Motoren aufzubauen oder zu tunen. Auch Komplettmotorräder baut er auf – serienmäßig. Die Customizerei überlässt er anderen. Nach und nach entwickelten sich seine Aktivitäten vom Geheimtipp zum Sammelpunkt von Gleichgesinnten.

The Twins: Wer was drauf hat, hat leicht tauschen

Ein Fankreis, der 2014 schließlich in der Gründung von The Twins MG gipfelte und immer noch im Aufbau ist – MG wie Mönchengladbach, das nur ein paar Kilometer weit entfernt liegt. Seitdem trifft man sich am Samstag zum Klönen, Schrauben, Fachsimpeln und zum Fahren. Und manchmal auch für neue Bau- oder Renovierungsmaßnahmen im ausgedehnten Twin-Reich. Jürgen ist Fan des Naturalientauschs. Wer was drauf hat, hat eben leicht tauschen.

Info | the-twins-mg.de

 

 

 

Guido Kupper
Redakteur bei CUSTOMBIKE

Guido Kupper, fährt praktisch seit seiner Geburt in grauer Vorzeit Motorrad, hat mit dem Schreiben aber erst angefangen, als er schon sprechen konnte. Motorisierte Zweiräder hat er nur acht Stück zur Zeit, Keller und Garagen sind trotzdem voll. Sein letztes Ziel im Leben: Motorrad fahren und mal nicht drüber schreiben