Ein VW-Bus, ein paar Mopeds, ein Haufen Skatedecks und 1000 Kilometer – Zeit genug, um herauszufinden, wie der Franzose Nicolas Pigeyere mit seiner Firma EMD zu einem ziemlich stilprägenden Mann der europäischen Customkultur wurde.

Nicolas hat Mut und Weitsicht bewiesen, als er im Alter von 25 Jahren die seit 1975 bestehende Schlosserei »Sarl Estevez« kaufte. »Ich wollte etwas Eigenes haben«, erzählt uns der Diplom-Maschinenbauingenieur sechzehn Jahre später, als wir auf dem Weg an die Küste sind. Es muss ziemlich hart für den in Paris aufgewachsenen Nicolas gewesen sein, nach Lozère zu kommen.

EMD – Esteves Motorcycle Design

Das Department hat lediglich 76000 Einwohner bei 5167 Quadratkilometern – willkommen in der am dünnsten besiedelten Region Europas. Hier ist man stolz auf die Käseproduktion, und darauf, Hotspot für Motorradtourismus zu sein. Innerhalb von dreißig Minuten ist man hier an der Ardèche, der Gorge du Tarn oder den Cevennen, Traumrouten für Biker. Trotzdem waren Motorräder nicht das Thema der Firma, als Nicolas anfing. Vielmehr schaffte er es, Sarl Estevez zu einem führenden Betrieb in der Metallverarbeitung zu machen.

Mit dem »Spindle«-Rahmen machte Nicolas das erste Mal auf sich aufmerksam. Der besteht nämlich nicht aus den sonst üblichen Rohren, sondern aus Stahlplatten. Für das neue Betätigungsfeld hatte der Franzose extra die Firma »EMD« gegründet. Hier zeigt er übrigens, wie prima ein Skatedeck als Sissybar fungieren kann

Unter anderem beliefert die Firma den größten Stahlproduzenten Europas und andere Großkonzerne. Nicolas beschäftigt sechzehn Mitarbeiter, das Firmengebäude auf einem 6000-Quadratmeter-Areal ist von der Autobahn A75 aus zu sehen. Das alles ist eine hübsche Geschichte, aber wir haben uns natürlich aus einem anderen Grund mit Nicolas getroffen, denn schließlich baut der Mann mit seinen Leuten extrem angesagte Motorradteile dort, wo andere nur Käse machen. Alle seine Parts sind made in Frankreich und Nicolas ein Motorradmann mit Leib und Seele.

Alle EMD-Parts sind »Made in France«

2010 baute der Franzose unter dem Label »EMD« (Esteves Motorcycle Design) die Spindle, ein Motorrad, das einen Rahmen aus Platten hatte anstatt den sonst üblichen Rohren. Der Spindle-Rahmen wurde bereits mehrfach ausgezeichnet und in Showwinnern verbaut. Nicolas hatte Blut geleckt, nicht zwanghaft am Bauen von Motorrädern, sondern am Entwickeln und Produzieren von Teilen. »Gussteile sollten es werden, 2012 fingen wir mit dem Formenbau an«, erzählt er.

Gut an den EMD-Bikes zu erkennen sind die Ribbed-Cover, hier am Beispiel einer Evo-Sportster mit entsprechendem Rockercover. Die gerippten Teile werden in Frankreich designt und produziert, auch im Auftrag von anderen. Für die kalifornische Firma The Speed Merchant fertigt EMD ein komplette Produktlinie für Triumph-Modelle

Das erste Produkt war ein Rockercover für die Evo-Sportster, es war zugleich das erste Produkt der »Ribbed Cover«-Linie, die EMD weltweit schnell bekannt machen sollte. Seit zwei Jahren hat EMD sogar eine Dependance in Malibu in den USA. Teile für Harley und Triumph stehen ganz oben auf Nicolas’ Zettel, auch für BMWs R nineT werden klassische Gussteile angeboten. Dazu liefert EMD Teile für namhafte Customizer wie Riverside Motorcyles, Odyssey, El Solitario und andere.

Jeder große Aftermarket-Anbieter hat heute EMD-Parts im Programm

Anfang 2016 kamen außerdem die Brands CustomRR und Republique Racing dazu und fließen mit ins EMD-Brand ein. Neben Nicolas Pigeyere (Design, Produktion) zählen noch Francis Velledon (Marketing) und Nicolas Prokl (Prototypenbau, Endkontrolle, Versand) dazu. Der Laden läuft prächtig, jeder große Aftermarket-Anbieter hat heute EMD-Parts im Programm. Eine ziemlich schöne Story, die uns Nicolas da erzählt, aber warum sitzen wir eigentlich in einem Bus, der uns vom Headquarter der Firma direkt an den Strand von Biarritz bringt?

Gemeinsam mit Star-Customizer Bertrand Dubet entstand dieses Bike auf Basis einer Harley-Davidson Dyna. Natürlich ist es veredelt mit hauseigenen Parts, die Blecharbeiten stammen vom talentierten Ludovic Gaag. Das Bike wurde im Rahmen des Treffens in Punta Bagna für eine Tombola verlost

Weil EMD zwischenzeitlich ein weiteres Baby zur Welt brachte. In der Tradition der Kustom Kulture spielen Skatedecks eine nicht unwesentliche Rolle. Immerhin kommt der Skatesport wie das Customizing in seinen Ursprüngen aus Südkalifornien. Und wo lässt sich in Europa die Mischung aus Skate-, Surf- und Motorradkultur besser genießen als an der französischen Atlantikküste. Und so ist mit der Firma »Playzur« ein weiterer EMD-Sprößling in Biarritz zu Hause. Hier, wo alles noch eine Ecke cooler ist und das Mopedfahren mindestens genauso lässig wie im Languedoc.

»Irgendwann packt es eben doch jeden«

Wir stellen Bus und Motorräder ab, die Skatedecks auf und genießen die Sonne. Nicolas hat sich für die Promotion von Playzur etwas Besonderes ausgedacht, hat die Skatedecks als Teile in Motorräder integriert. Seine Jungs steigen auf die Karren und heizen über die Küstenstraße. Später werden sie in einem Skatepark die neuen Decks von einer Bande Kids testen lassen. »Kulturen vermischen sich«, sagt Nicolas, »es ist doch cool den Jungen einen Anfang zu geben, warum also nicht auf einem Skateboard. Später werden sie sich vielleicht Mopeds bauen, wer weiß. Ich bin ja auch vom normalen Metallbaubetrieb zum Teilehersteller geworden. Irgendwann packt es eben doch jeden.« 

Info | estmd.com

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.