Norton ist gerettet: Die indische TVS Motor Company hat den insolventen britischen Motorradhersteller Mitte April für 16 Millionen Pfund übernommen. Für Norton-Fans eine gute Nachricht, für britische Rentner ein Albtraum …
Bis vor Kurzem glich das Leben von Stuart Garner einem Traum. Obwohl er die Schule mit 16 Jahren ohne Abschluss verlassen hatte, schaffte er es binnen weniger Jahre im Feuerwerksgeschäft zum Selfmade-Millionär. Mit Übernahme der amerikanischen Norton Motorsports Incorporation holte Garner die britische Traditionsmarke 2008 ins Mutterland heim, nachdem die Marke seit den 80er Jahren durch unzählige Hände und mehre Kontinente gegangen war. Für knapp eine Million Dollar hatte er damals die Namensrechte und die Konstruktionspläne eines Commando-Klons mit lausigem 960er Zweiventil-Twin bekommen.
Garner hauchte Norton neues Leben ein
2010 kam die Commando 961 SE mit stark überarbeitetem Twin aus britischer Produktion auf den Markt. Garner schaffte es tatsächlich, der Marke neues Leben einzuhauchen, Belegschaft und Modellpalette wuchsen. Als neue Firmenzentrale hatte Garner die noble Donington Hall gekauft und eine moderne Produktion auf 45.000 Quadratmetern in Hastings House in unmittelbarer Nähe aufgebaut. Man entwickelte einen bärenstarken V4-Racer, fuhr wieder erfolgreich bei der TT mit und präsentierte 2018 zwei sehr erfolgversprechende 650er Scrambler die 2019 auf den Markt kommen sollten.
Ein paar Milliönchen reichen nicht …
Doch daraus wurde nichts, Garner hatte sich verzettelt. Der Schritt vom Kleinserienhersteller, der ein paar hundert Fahrzeugen pro Jahr zusammenschraubt zu einem wirklich ernsthaften Motorradproduzenten ist ein gewaltiger. Die Kosten für Entwicklung, Produktion, Marketing und Vertrieb steigen exorbitant – da reichen ein paar Milliönchen nicht, dazu braucht es eine Kapitaldecke die dicker ist als die alten Mauern der Donington Hall. Außer Triumph – und seit der Übernahme durch Polaris auch Indian – ist keine Marke wirklich erfolgreich wiederbelebt worden. Vielleicht mag man noch MV Agusta dazuzählen, aber die Italiener werden ja auch mit unschöner Regelmäßigkeit weiterverschachert.
Fördergelder und Crowdfunding
Egal, zurück zu Norton. Geld wurde in all den Jahren natürlich nicht wirklich verdient. Stattdessen sammelte Garner mehrere Millionen Pfund Fördergelder von der britischen Regierung und per Crowdfunding ein, ließ Anzahlungen für Motorräder ins Unternehmen fließen, die nie ausgeliefert wurden und verscherbelte am Ende noch die Rechte und die Produktionsanlagen des 961er Twins nach China. Richtig übel sind allerdings Vorwürfe, wonach Garner in einen Skandal um Pensionsfonds in Höhe von 14 Millionen Pfund verwickelt sein soll. Der »Guardian« berichtet, dass ein Großteil des Geldes der drei Norton-Fonds (die tatsächlich Commando, Dominanter und Donington heißen) nicht wie versprochen sicher angelegt wurde, sondern zu einem Großteil in das Unternehmen geflossen sind.
Der Standort Donington bleibt erhalten
Ende Januar dieses Jahres war Norton schließlich zahlungsunfähig, der Schuldenberg soll bei mehr als 30 Millionen Pfund liegen, ein Insolvenzverfahren wurde eröffnet. Potentielle Kaufinteressenten hatten bis Ende März Zeit, ein Übernahmeangebot abzugeben. Den Zuschlag erhielt nun die indische TVS Motor Company – für umgerechnet 18,5 Millionen Euro. Das ist insofern eine gute Nachricht, als dass man davon ausgehen kann, dass Norton jetzt richtig durchstartet. Der TVS-Konzern ist ein Industrie-Schwergewicht mit einem jährlichen Umsatz von knapp neun Milliarden Dollar und baut unter anderem für BMW die kleinen 310er Modelle für den Weltmarkt. Die Inder haben bereits angekündigt, die Belegschaft zu übernehmen und am Standort Donington festzuhalten und schnellstmöglich die Produktionsanlagen für die 650er-Modelle aufzubauen. Die schlechte Nachricht für die britischen Rentner: Die Inder müssen die Schulden aus den Pensionsfonds nicht begleichen.
Info | nortonmotorcycles.com
Carsten Heil, hat die typische Zweiradkarriere der 80er-Jahre-Jugend durchgemacht: Kreidler Flory (5,3 PS), 80er-Yamaha DT und mit achtzehn dann die erste 250er Honda. Nach unzähligen Japanern über Moto Guzzi ist er dann schließlich bei Rohrrahmen-Buell gelandet. Seit 1992 mit Fotoapparat und Schreibgerät in Sachen Kradkultur unterwegs.