Auch in diesem Jahr muss aus allseits bekannten Gründen Europas größtes Dragracing-Event – die Nitrolympx – leider ausfallen. Erst im August 2022 gibt’s wieder die volle Ladung verbrannten Gummis auf dem Hockenheimring. Trösten wir uns bis dahin mit einem Blick zurück.

Die Nitrolympx gibt es mittlerweile seit 35 Jahren und selbst in den »Kinderschuhen«  dachte man, dass das Limit längst erreicht ist. Weit gefehlt – Jahr für Jahr erdachten die Tüftler neue Wege, um weitere Hundertstel und Tausendstel Sekunden aus ihren Maschinen zu »quetschen«. Am Beispiel der Super Street Bikes zeigen wir euch, wie das möglich ist. 

Drag Racing – Mehr als ein bisschen geradeaus fahren

Obwohl man beim Drag Racing recht oft Rennfahrzeuge mit einem etwas »nostalgischen Look« sieht, sollte sich niemand zu der Fehleinschätzung hinreißen lassen, dass es genügt, einmal einen Haufen alter Ersatzteile zusammenzuklöppeln, um ein bisschen geradeaus zu fahren.

Die Super-Street-Bike-Klasse verzichtet auf Wheelie-Bars und Slicks. Gefahren wird mit handelsüblichen Motorradreifen

Diese Geräte sind einem dauernden Leistungs-Update unterzogen und jedes Team versucht, die gesammelten Erfahrungen so schnell wie möglich in eine Balance aus »Mehr Speed, weniger Zeit« umzusetzen. Die Rennmaschinen sind also einem ständigen Wandel unterzogen.

Nitrolympx – NOS-Schalter als Selbstzerstörungsknopf

Hier haben wir den seltenen Glücksfall ein Super-Street-Bike des letzten Jahrtausends quasi aus dem »Dornröschenschlaf« zu holen, und mit einem »State of the Art-Bike« der heutigen Zeit zu vergleichen: In den 1990ern war Lachgas das probateste Mittel für die effektive Zeitenjagd. Ab der zweiten Hälfte dieser Dekade war »Der Stahl« mit seinem Konstrukteur/Fahrer Rudi Thurmayr aus Essenbach bei Landshut ein gefürchteter Gegner an der Ampel. Lachgas-Steuerungssysteme waren damals noch nicht erfunden, und so wurde der NOS-Schalter oft zum Selbstzerstörungsknopf.

Kurz vorm Start wird der Hinterradreifen mit einem Burnout auf Temperatur gebracht, um für den richtigen Grip zu sorgen

Es galt die Regel: Drückst du zu spät, holt dich der Gegner, drückst du zu früh, holt dich der Teufel. Soll heißen: Man musste einen gewissen »Grundspeed« aufbauen, um den »GO-juice« zuzugeben, tat man das zu früh, stand man mit dem Bike entweder senkrecht oder peitschte wild und quer über die Bahn. Drückte man zu spät, mutierte der erwartete »Kick in the Ass« zum lahmen Rückenwind.

Nitrolympx – Top-Bikes mit Eigenbau-Starrrahmen

Die Fahrwerke waren bei den Top-Bikes Starrrahmen-Eigenkonstruktionen ohne jede Federung, die zusammen mit den Karosserieabgüssen reglementbedingt »die Form des zugrundeliegenden Motorrades wiedergeben mussten«. Um die Fuhre irgendwie am Boden zu halten, schraubten manche Teams bis zu fünfzehn Kilogramm Blei auf die Vorderachse. Für die maximale Auflagefläche riskierten einige Fahrer einen Druck von 0,1 bar am Hinterrad. 

Drag Racing ist Motorsport, bei dem es neben dem fahrerischen Können und der schnellsten Reaktionszeit in erster Linie darauf ankommt, das Fahrzeug bis ans absolute technische Limit zu tunen. Zum Einsatz kommen dabei – je nach Klasse – Turbos, Kompressoren, Betankung mit flüssigem Sprengstoff, Lachgas und vieles mehr

Thurmayr war einer der Ersten, die ab 1997 mit selbst programmiertem Data-Recording (drei Sensoren) und einer Möglichkeit zur Lachgasdosierung experimentierten. Ende der 90er Jahre wurden dann in den USA Steuerungen für das »Spaß-Gas« entwickelt, und die Zeiten purzelten. In der hier abgebildeten Konfiguration erreichte »Der Stahl« im Jahr 2000 eine Zeit von 8,447 Sekunden auf der Rico-Anthes-Quartermile des Hockenheimrings und wurde damit der letzte deutsche NitrOlympX-Gewinner dieser Klasse. 

Paradigmenwechsel: Lachgas raus – Turbo rein

Ab 2005 kam es zu einem echten Paradigmenwechsel: Lachgas raus – Turbo rein! »The Joker« und sein Erbauer/Fahrer Thomas Granica aus Neckarwestheim vollzogen diesen Systemwechsel sehr erfolgreich. Inzwischen dominieren Suzuki Hayabusas die Klasse und die Fahrwerke sind mit einer traktionsfördernden Hinterradfederung ausgestattet. Datarecording ist heute ein absolutes Must-have und »The Joker« muss nach jedem Lauf Rechenschaft über zwölf verschiedene Parameter ablegen. Zwischen den Rennläufen sehen die Bikes teilweise wie Patienten auf einer Intensivstation aus: überall Kabel, Schläuche und Laptops – alles »speederhaltende Maßnahmen«. 

»The Joker« Technische Daten: • Basis: Suzuki Hayabusa GSXR 1300 • Baujahr 2000  • Umbau Turbo 2007  • Umbau »Gen2« 2008 – 2009  • Gewicht: 200 kg fahrfertig  • Body: Catalyst komplett mit Glasfaser laminiert  • Fußrasten/Bremshalter: Eigenbau  • Auspuff und Tank: Eigenbau und poliert  • Rahmen: gewichtsreduziert, gekürzt und geändert

Diese gestiegene Professionalität führte dann auch zur Anerkennung der ehemaligen »Freak-Bikes« durch die FIM (Fédération Internationale de Motocyclisme), samt der Aufnahme in den prestigeträchtigen European-Drag-Racing-Championship-Kalender. Thomas Granica raste in der hier gezeigten Konfiguration in 7,410 Sekunden über die NOX-Quartermile. Eines der erklärten Ziele von Thomas und seinem Team ist die Beendigung der deutschen Siegesdurststrecke auf seinem Home-Track.

Nitrolympx – Rasante Entwicklung

Diese beiden Bikes waren beziehungsweise sind in ihrer Epoche die deutschen Rekord-Halter. Dass zwischen ihren Bestmarken, die immerhin mehr als eine Sekunde auseinanderliegen (was im Drag Racing Welten sind), nicht einmal zehn Jahre liegen, verdeutlicht, wie rasant die Entwicklung hier vorangeschritten ist. Was sich nicht geändert hat, ist das Herzblut, mit dem die Rennfahrer und ihre Teams damals und heute bei der Sache waren und sind.

Info | nitrolympx.de

 

 

Christine Calwer