Ja, auch ein japanisches Motorrad kann einem ans Herz wachsen. Joe und seine Yamaha XVS 1100 haben fast zwanzig gemeinsame Jahre auf dem Buckel – dabei ist sie nicht mal das einzige Pferd im Stall.

Drei Bikes nennt Joe sein Eigen, dreimal völlig verschieden, aber alle tiefschwarz. »Die einzige Farbe, die da in Frage kommt«, grinst der Österreicher. Seit dreißig Jahren fummelt er schon an allen möglichen Motorrädern rum, 2017 krönt er seine Leidenschaft mit einem echten Komplettaufbau.

Harley-Highnecker und BMW-Scrambler

Aus gebrauchten Teilen baut er sich einen Highnecker mit Harley-Evo-Motor, ganz im Westcoast-Chopper-Style. Ein Jahr vorher hatte er schon eine BMW zum Scrambler umgedengelt, »die taugt gut, um mit meinem Honda-Transalp-Kumpel auch etwas abgefuckte Wege zu erkunden.«

Angeschafft wurde die Yamaha bereits 1999 und direkt zum Dragstyler umgebaut. Bequem war das nicht – erst knapp zwanzig Jahre später sollte sich das ändern

Und dann ist da noch die Yamaha XVS, brandneu gekauft 1999 für 9.000 Euro – und für noch mal so viel Kohle radikal zum Dragstyler umgestylt. Allein, bequem war die Karre nie. Tiefe Sitzposition, breiter Lenker, kein schönes Hineinlümmeln ins Bike, sondern harte Arbeit. Und so sind Harley und BMW am Zug, die Yamaha wird nur noch zum Putzen rausgeholt, Joe spielt mit dem Gedanken, sie zu verkaufen. Aber, es kommt anders – und Joes Tochter ist daran nicht ganz unschuldig.

Sons of Anarchy ist der Auslöser

Es ist ein ewiges Gequengel, mit dem die Jüngste ihren Vater nervt, sie will unbedingt einen Netflix-Anschluss. Irgendwann gibt Joe nach – und hängt prompt selbst vorm Bildschirm. Die amerikanische Fernsehserie »Sons of Anarchy« ist der Grund, und vor allem die Bikes darin.

Knapp vierzig Teile am Bike wurden schwarz gepulvert, über zehn schwarz lackiert. Unnötig zu erwähnen, dass auch die restlichen Bikes in Joes Fuhrpark allesamt nur eine Farbe haben

»Die fand ich eigentlich zum Kotzen«, sagt Joe, »diese Dynas mit steilen Gabeln, ewig langen Risern, Dragbars, fragwürdigen Lampenmasken und der hohen Sitzposition – wie Pferde auf dem Kinderkarussell.« Und doch, irgendwas fasziniert, Würgereiz und Coolness-Faktor halten sich bei Joe die Waage.

Yamaha XVS 1100 – Gewünschte Lümmelhaltung

»Das muss doch irgendwie besser gehen.« Und so wird der Gedanke an einen Bagger ebenso verworfen, wie der, die Yamaha zu verkaufen. Die Eckdaten sind schnell festgelegt: Um die gewünschte Lümmelhaltung zu ermöglichen, soll ein Mini-Apehanger her, dazu ein Solositz, Lampenmaske und mitschwingender Heckfender. »Fand ich früher richtig scheiße, genauso wie Apehanger übrigens auch, aber Geschmack ändert sich wohl mit der Zeit«, erklärt Joe.

Mitschwingender Heckfender, Einzelsitz, Lampenmaske und der Mini-Apehanger mit innen verlegter Elektrik sind die auffälligsten Veränderungen am Motorrad

Zunächst zerlegt er die komplette Gabel, baut Lenker, Armaturen, Halterungen, Abdeckungen und mehr ab und frönt seiner Leidenschaft für schwarze Farbe. Am Ende werden fast vierzig Teile schwarz gepulvert und über zehn schwarz lackiert. Auch die Anpassungen von Halterungen für die Harleymaske, den Scheinwerfer, den No-Name-Sitz, den Kennzeichenhalter und anderes verschlingt einiges an Zeit.

Yamaha XVS 1100 – Weg mit unnötigem Zierrat

Zum Glück ist Kumpel Friedl zur Stelle, er hat schon für Joes frühere Bikes diverse Laserzuschnitte angefertigt. Die gesamte Elektrik kommt raus und wird neu verlegt, vorn wandern die Kabel in den Mini-Ape. Um die Front zusätzlich von unnötigem Zierrat zu befreien und zwei im Fahrtwind baumelnde Züge einzusparen, wird der Gas-Rückholzug weggelassen und der Choke von der linken Lenkerarmatur zum Luftfilter nach unten verlegt.

Es mag Leute geben, die über einen Chopperumbau auf Basis eines Japancruisers immer noch schmunzeln. Joe ist das egal, »denn es muss MIR gefallen.« Außerdem hat so ein Reiskocher nach wie vor einiges auf der Haben-Seite. Eine gutmütige Langlebigkeit zum Beispiel – auf die nächsten 20 Jahre

Wieder sind ein paar Tage weg. »Man glaubt kaum, wie viel Zeit man für Kleinigkeiten investieren kann«, Joes anvisierte Bauzeit von einem Monat ist da längst überschritten. »Scheinwerfer nicht zu hoch, nicht zu tief, nicht zu weit hinten oder vorn, jede mögliche Montageposition von hinten gucken, von vorn gucken, von schräg gucken, von unten gucken. Die bessere Hälfte fragen, was sie davon hält und den Hund beobachten, wie der guckt«, Joe muss selbst lachen.

Semiprofessioneller Selbstversuch beim Lackieren

Ebenfalls einiges an Zeit fließt in den Heckumbau. Die alten Struts werden abgeflext und neue, kleine direkt auf der Schwinge angeschweißt. Damit der Fender sich perfekt ans Rad anschmiegt ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Daraus resultierende notwendige Teillackierungen an der Schwinge und Rahmen erledigt Joe in einem semiprofessionellen Selbstversuch.

M-Blaze: Die kleinen Blinker von Motogadget fügen sich nahtlos in die saubere Optik ein

Den Fender selbst fertigt er aus einem CCE-Rohling. Unterhalb des Sitzes befindet sich eine Unmenge an Technik wie Kraftstofffilter, Zündbox, Kabelbäume und dergleichen, die ordentlich abgedeckt werden muss. Zu diesem Zweck schafft Joe eine Kydex-Platte an. Dieser thermoplastische Kunststoff wird auch zum Bau von Messerscheiden und Waffenholstern verwendet und ist extrem kratzfest. Die Platte wird in Form geschnitten und mit einem Heißluftföhn eingepasst. 

Kein reines Putzobjekt mehr

Tatsächlich kommt Joe am Ende seinem Ziel verdammt nahe. »Ich wollte das Bike so aufbauen, dass man nicht sofort sieht, was serienmäßig ist und was alles umgebaut wurde. Keines der Teile sollte sich besonders hervorheben, sondern einfach nur harmonisch und clean wirken, als ob es schon immer so gewesen ist.« Am Ende ist er mit seinem Ergebnis zufrieden – und die Yamaha hat ihr Dasein als reines Putzobjekt endgültig hinter sich.

 

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.