Für seine Yamaha XS 650 E komponierte Markus seine eigene Note. Die Transformation eines Biotops zur Fahrmaschine
Einen depperten Traum mit Tonnen von Hirnschmalz und geopferter Lebenszeit in Metall zu formen, ist eine vollkommen gesunde Reaktion, wenn man dadurch einen Biotop zerstören kann. Blühte diese Yamaha XS 650 SE doch wundersam im Garten seines Schwagers, bis Markus Schinninger sie aus ihrem friedlichen Dornröschenschlaf riss, jäh zerteilte und knallhart zurück in den Asphaltdschungel warf. Eine solch meditative Naturalskulptur, von Moos bedeckt und Efeu umrankt, zu missachten und dem Gesetz der Straße auszuliefern, ist eine ehrenwerte Handlung, deren innere Gerechtigkeit nur wahrhaft Erleuchtete wie in unserer benzingesalbten Gemeinde fühlen.
XS-Motor als Schönheitsideal
Schon als 16-Jähriger hatte der Wiener das Licht gesehen, mit dem KTM und Puch seine Heimat erhellen. Als Schönheitsideal jedoch den fernöstlichen XS-Motor im reifenden Kleinhirn, wuchs mit ihm die Idee eines Custombikes mit Starrrahmen. Von der Richtigkeit seiner Idee zeugten Jünger in babylonischer Vielfalt, vor allem im anglikalen Raum von Neuseeland bis Kalifornien, wie zum Beispiel die Heckumbausätze von TCB Choppers.
Die himmlische Erlösung aus aller quälenden Sehnsucht versprach eines Tages der Anblick einer alten Triumph Thunderbird mit Nabenfederung. »So könnte das doch gehen«, dachte sich Markus. Doch der größere Kopf des österreichischen Amtsschimmels dachte gar nicht dran: »So geht das nicht.« Der Zivilingenieur, wie die gottgleiche Macht in der Alpenrepublik heißt, kann eine solche technische Rückrüstung nicht typisieren.
Yamaha mit Monofederbein
Dennoch wäre der Einklang von Wunschbild und technischer Anforderung a deo datus möglich, steht er doch schon lange in vielerlei Handbüchern geschrieben, von Softail-Harley bis Honda Shadow. Also erschien Markus die Cantilever-Federung mit Monofederbein am Firmament. Und wie stets im Kampf für das Gute, erwies sich die Familie als Stütze des Gemeinwohls: Für ein Opfergeld von 500 Euro gab des Schwagers Garten die 30-jährige Japanerin frei.
»Nach Jahren in der Natur sah sie grauslich aus«, bezeugt der Idealist glaubhaft. Umso erstaunlicher wirkt da der kühle Glanz ihres Herzens heute, das quasi durch die Methoden der Wissenschaft gereinigt wurde. »Ein Freund ist Archäologe. Wir haben im Archäologischen Institut die Geräte zum Säubern der Fundstücke genutzt, um den Motor schonend wieder tageslichttauglich zu machen.« So ist der Twin komplett überholt, doch bis auf eine elektronische Zündung formal unverändert.
Notwendige Sachkenntnis
Ganz im Gegensatz zum Fahrwerk natürlich. Als Kfz-Meister mit zehn Jahren Lehrtätigkeit an einer Kraftfahrzeugschule hat Markus die notwendige Sachkenntnis für diesen völligen Umbau, zusätzlich unterstützt vom Technikprofessor, der selbst Motorradrennen fuhr. Los ging’s in alter Väter Sitte am traditionellen Zeichenbrett und führte mit den erforderlichen Berechnungen zu entsprechenden Rahmenlehren und schließlich zur durchschlagenden Tat.
Dabei ist vom original Rahmen nicht viel geblieben, im Grunde nur der Lenkkopfbereich mit vorderen Unterzügen. Selbst die Motoraufhängungen sind teils geändert. Das Zentralfederbein ist eine Einzelanfertigung von Wilbers. Mit dem neuen Gerüst erschien der Teufel im Detail: »Für das Drumherum, wie eine neue Lage von Hauptbremszylinder oder Batterie, habe ich noch mal genauso lange gebraucht, wie für die Rahmenkonstruktion.« Rund 1500 Arbeitsstunden stecken schließlich in dem Projekt, und grade für die Kleinigkeiten sind Spezialisten wie Rüdiger Paustian hilfreich.
Yamaha Embleme im Stil der ersten XS1
Aus seinem XS-Shop stammen beispielsweise die Embleme im Stil der ersten XS1 von 1969, die den schlanken Tank dieses frühen Softchoppers zieren, der 1979-83 als »Special« oder »US Custom« die New Wave der 1980er vorbereitete. Mögen auch Chopper nun kein ungewöhnlicher Anblick mehr sein im Straßenverkehr, so kontrollieren die Kiberer doch gern, ob mit der Schinninger-XS alles hoheitlich korrekt ist. »Da staunen sie gelegentlich, doch bislang waren alle nett«, lächelt der Komponist weise. Über 15.000 km ist er inzwischen tourniert und nimmt erste sichtbare Gebrauchsspuren in Kauf. »Ich hab’s zum Fahren gebaut, nicht für die Vitrine.«
Statt also hinter Gartenmauern in Meditation zu versinken, ist ihr vorgeburtliches Wesen der Mobilität wiedererweckt, und die ewig junge Yamaha tanzt Walzer in den Straßen Wiens.