Ein ausgefallenes Custombike bauen als Beweis der eigenen Fähigkeiten? Künstler und Allroundtalent »Von Dutch« hatte 1966 mit seiner XAVW anderes im Sinn.

Ein ganzes Wochenende soll die Party damals gedauert haben. Kenneth »Von Dutch« Howard und sein Neffe Richard »Dick« Betts hatten sie gemeinsam geschmissen. Es war um eine Wette gegangen und jeder der beiden hatte die Vorgaben des Wettstreits erfolgreich erfüllen können: Innerhalb eines Jahres baute Dick Betts sein Indycar fertig, im gleichen vorgegebenen Zeitraum hatte auch Kenneth Howard seinen – XAVW getauften – zweirädrigen Bastard auf die Räder gestellt.

Von Dutchs XAVW – Fragen nach dem Warum standen immer wieder im Raum

Glaubt man den Worten des Szenekenners »Irish Rich« Ryan, so entstanden erste Skizzen für den Umbau der Boxer-Harley im Frühjahr 1966 in Von Dutchs Wohnung in Tarzana, Kalifornien. Heute würde wohl niemand mehr auf die Idee kommen, eine der seltenen seitengesteuerten Boxer-Harleys umzubauen. Doch in den Sechzigern wollte die Dinger niemand. Trotzdem, auch in den Tagen nachdem Von Dutch seine XAVW gebaut hatte, standen Fragen nach dem Warum immer wieder im Raum.

Schöngeist: Weil ein Automotor unter Beibehaltung aller Nebenaggregate kaum als schön zu bezeichnen ist, baute Von Dutch Ansaugstutzen für Amal-Motorradvergaser und eine als gelungen zu bezeichnende Auspuffanlage

Was lag da näher, als dass er seine Überlegungen 1967 in der Zeitschrift »Modern Cycle« offenlegte: »Dieses Motorrad zu bauen, scheint so lange totale Zeitverschwendung zu sein, bis meine Beweggründe verstanden werden«, fing der bekannte Lackierer, Pinstriper und Custombuilder seinen Aufsatz im Magazin an.

»Hört, wie der Motor sich in einer Drehzahlorgie seine Seele rausschreit!«

»Viele Motorräder haben heutzutage die Leistung eines Volkswagens. Also warum dann dieser Aufwand? Um einen Beiwagen zu ziehen! Nehmt die erhältlichen Motorräder dieser Leistungsgruppe, die ihre PS aus hohen Drehzahlen holen, und hängt daran einen Beiwagen. Dann ändert ihr die Übersetzung für Beiwagenbetrieb und hört, wie der Motor sich in einer Drehzahlorgie seine Seele rausschreit!« 

Crossbreed: Man nehme Rahmen, Getriebe samt Kardan und Hinterrad einer XA Harley, würze mit Guzzi- und Honda-Teilen und schmecke mit Eigenbau und ganz wenig Zubehör ab

Seiner Meinung nach waren die 1200er-Harley-V-Twins die besten käuflichen Maschinen für Seitenwagenbetrieb – doch die hatten einen Kettenantrieb zum Hinterrad, der ihm ungeeignet erschien. Von Dutch hatte die mit VW-Motor umgebaute BMW eines gewissen Ted Johnson gesehen und das Ding auf Anhieb gemocht. Doch BMW-Rahmen kosteten richtig Geld.

Von Dutchs XAVW – Mehr auf Lowbudget ausgerichtet

Seine eigenen Vorstellungen waren mehr auf Lowbudget ausgerichtet. Auf Streifzügen durch die Schrottplätze fanden sich sämtliche Komponenten, die wir in unserem Datenblatt aufführen. Auch Rahmen, Motor und Getriebe einer Harley-Davidson vom Typ XA. Biegen, sägen, schweißen, bohren, Gewindeschneiden und eine extra Portion Beharrlichkeit ließen die einzelnen Brocken zu dem XAVW-Motorrad werden, das mit seinem Factorylook auf den ersten Blick nicht wie ein Custombike aussah.

Die Von Dutch XAVW: Rebellisch anders, auf Anhieb nicht zu verstehen – aber trotzdem ein Custombike

Ein Motorrad, das sich – wie Von Dutch bekräftigte – auch als Solomaschine gut fahren ließ. Im Text beschrieb er, dass in das Bike auch gut ein Porschemotor passen würde. Und er erwähnte den bereits angefangenen Seitenwagen, der – und hier greifen wir wieder auf das Wissen von Rich Ryan zurück – für den Transport seines Pferdes gedacht war. Nun, es klappte nicht! Ob das Pferd nicht wollte? Ob andere Schwierigkeiten auftraten? Who knows …

Von Dutchs XAVW – Als Zugfahrzeug für Pferdeanhänger ein Flop

Der als exaltiert bekannte Von Dutch war jedenfalls so angepisst, dass er das Bike wieder total zerlegte und die Brocken in einer Ecke verstaute. Und hier kommt der Customizing- Guru Ed »Big Daddy« Roth ins Spiel. Er soll das zerrissene Bike entweder für 1.500 Dollar gekauft oder – so widersprüchlich können unterschiedliche Quellen sein – gegen einige alte Außenbordmotoren eingetauscht haben.

Boxer mit Kardan: Die XA war eine BMW-Kopie, die Harley-Davidson für die US-Armee gebaut hatte

Von Randy Smith – bekannt als Chopperpionier – stammt die Version mit den Motoren, die recht glaubhaft erscheint. Er selbst erhielt nämlich die zerlegte XAVW von Eduard Roth: Und zwar gegen 15 Sätze seiner verrippten Panhead-Ventildeckel aus Aluminium. Randy war es dann auch, der das Motorrad erneut als Solomaschine aufbaute. So sah man die XAVW in frühen Choppermagazinen. Sie soll noch einige Zeit im Schaufenster von Tom Burkes Shop B&O in Long Beach gestanden haben. Er brachte die XAVW nach Tennessee … dann verlor sich die Spur. 

Von Dutchs XAVW – Wenn der »Picker« klopft

Im Internet wurde immer wieder mal nach dem Verbleib des Bikes gefragt. Schließlich sickerte durch, dass Mike Wolfe, der in den USA durch die Fernsehserie American Pickers bekannt ist, die XAVW aufspürte. Falls ihr nicht wisst, was die Amerikaner mit »Pickers« meinen: Ein Picker ist jemand, der ein heruntergekommenes, verstecktes, vergessenes, aber interessantes Objekt aufstöbert.

Die XAVW ist vielleicht nicht schön, aber wichtig für die Kustom Kulture

Pickers klopfen an die Türen alter Farmen, wenn sie darin ein altes Auto, ein Motorrad oder sonstige altertümlichen Relikte früherer Zeiten vermuten. Picker wissen, was gesucht ist, sie graben aus, entstauben und identifizieren den alten Kram, und sie verkaufen das Zeug meist wieder an die richtigen Leute – Privatsammler, Restauratoren und Museen. 

»Von Dutch« ist mehr als ein trendiges Klamottenlabel

Mike Wolfe war schon seit über zwanzig Jahren mit John Parham bekannt, der heute das National Motorcycle Museum in Anamosa im US-Staat Iowa leitet. So war ihm klar, dass die XAVW in Anamosa eine neue, ihrer Wertigkeit gerechte Heimat finden muss. Im Museum steht sie nun Seite an Seite mit einer Triumph, die einst von Von Dutch lackiert wurde. Daneben andere Kreationen und Lackierungen des als spleenig und extrovertiert geltenden, verstorbenen Künstlers. Und wer es noch nicht kapiert hat, »Von Dutch« ist mehr als ein trendiges Klamottenlabel.

Kenneth Howard hatte sich selbst den Namen gegeben. Heute wird er als einer der Begründer der kalifornischen Kustom Kulture angesehen. Seine ehemalige XAVW steht zwar zwischen vierhundert Motorrädern und mindestens dreißig Custom Bikes, doch sie ist einer der Höhepunkte des Museums – auch wenn hochglänzender Lack und Spiegelchrom fehlen.

Trademark Rechtsstreit um »Uncle Dutch and Dick Betts Motorsports«

Apropos Dick Betts. Der Neffe von Kenneth Howard war Rennen in Ascot Park in Gardena/Kalifornien gefahren. Im April 1960 war er mit einem Offenhauser-Rennwagen in Indianapolis eingeschrieben. Seine Firma nannte er »Uncle Dutch and Dick Betts Motorsports«. Und natürlich war er in einen Trademark-Rechtsstreit mit den »Besitzern« des Von-Dutch-Logos verstrickt. Kenneth Howard hatte wenig hinterlassen; seine Erben haben den Namen des Vaters deswegen gewinnbringend an die Modebranche verhökert. 

Kenneth »Von Dutch« Howard – Porträt

Kenneth »Von Dutch« Howard (7.9.1929 – 19.9.1992) war Automechaniker, Künstler, Waffenschmied und Pinstriper. Sein Vater Wally Howard war ein bekannter Signpainter, also Schildermaler, der sein Talent an den Sohn weitergegeben hatte. Bereits als 15-Jähriger arbeitete Kenneth in »Georges Beerup’s Motorcycle Shop«, um seine künstlerischen Ambitionen in der Bikerszene umzusetzen.

Kenneth »Von Dutch« Howard mit seinem bekanntesten Motiv, dem »Flying Eyeball

Howard war motorradbegeistert, fuhr aber entgegen dem amerikanischen Mainstream eine Moto Guzzi. In den frühen 50er Jahren begann Howard mit dem Pinstripen, verzierte zahllose Autos und Motorräder und wurde zum wichtigsten Wegbereiter der modernen Kustom Kulture. Sein bekanntestes Motiv wurde der »Flying Eyeball«. Auch das bekannte Flammenmotiv auf Tanks und Fendern wird heute Von Dutch zugeschrieben.

»Von Dutch« war nicht nur Künstler

Doch Kenneth Howard war nicht nur Künstler, sondern auch lebenslanger Alkoholiker. Er nahm Drogen und galt als extrem exzentrisch und rassistisch. Seine letzten Jahre lebte er in einem Wohnwagen, wo er sich ganz seinen Alkoholexzessen hingab. 1992 starb Von Dutch in Folge seines Alkoholmissbrauchs. Er hinterließ zwei Töchter, die die Rechte am Namen »Von Dutch« an einen Hersteller von Surfbekleidung verkauften. Von Dutchs Asche wurde im pazifischen Ozean verstreut.

Info |  nationalmcmuseum.org

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei CUSTOMBIKE Magazin

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.