Eine Harley-Davidson Sportster im VG-Starrrahmen kann irgendwie alles sein – gelassen, reisetauglich und sogar sportlich.
Zugegeben, Harley-Davidsons Sportster-Modelle sind nichts, was in der Szene ernst genommen wird. Ist doch so … oder etwa nicht? Wir plappern schnell leichtfertig das Gelaber anderer nach und fällen Urteile – manchmal ohne einen näheren Blick riskiert zu haben. Und wir nennen sie verächtlich ein Frauenmotorrad. Als 1957 die erste Sportster vorgestellt wurde, war das anders.
Harley-Davidson Sportster – Hecht im Karpfenteich
Ihr Motor war damals aus dem ausgereiften seitengesteuerten »KH«-Sportmodell entstanden, der man andere Zylinder und noch leistungsfähigere OHV-Köpfe aufgepflanzt hatte. Fahrwerksseitig gab’s eine Telegabel, doppelte Federbeine und Hinterradschwinge. Mittlerweile sind ja einige Jährchen vergangen. Die Custom-Szene hat ihre Brandzeichen gesetzt, aber die Sportster konnte der »Bigger is Better«-Manie nicht folgen. Als Hecht im Karpfenteich gilt sie längst nicht mehr, was für den Heidelberger Martin Becker ein Grund mehr war, so ein Ding zu choppen.

Nein, er war damals absolut nicht auf Harleys fixiert. Auch primäre Umbau-Skrupel, wie sie Neustarter befallen, wenn sie mit der Flex an den Rahmen sollen, hatte Martin längst abgelegt. Seine umgebaute Suzuki LS 650, die Yammi XJR, die SR 500 und diverse Kawa ZRX waren Wegweiser, die er aufstellte. Eine genaue Richtung markierten sie allerdings nicht. Trotzdem verfährt Martin nicht wie die »Toutes Directions«-Verkehrsschilder in Frankreich, die einem zwar auch hinführen wo man hin will, aber nie auf dem kürzesten Wege.
Ich haben will
Er ist – wie unser Magazin – offen für viele Spielarten des Customizing. Und er hat Träume, die verwirklicht werden müssen. Wenn man in Heidelberg lebt und an Mopeds schraubt, entsteht unweigerlich der Kontakt zu amerikanischen Armeeangehörigen und deren Maschinen. Dabei und natürlich bei der Lektüre entsprechender Magazine setzte sich in Martins Gehirn ein »Ich haben will!«-Puzzle zusammen.

Als ihm dann noch ein Starrrahmen von VG für den Sportster-Motor angeboten wird, verdichtet sich das Bild seiner idealen Harley. Und sie wird verwirklicht! »Ich brauche keinen überflüssigen Schnickschnack …«, gibt er uns damals beim Fotoshooting als Statement, »… bei mir muss eine Harley so clean wie möglich sein, mit zeitloser Optik. Eine Spaßmaschine zwar, aber trotzdem mit möglichst hoher Zuverlässigkeit!« Das hat sich bis heute nicht geändert.
Harley-Davidson und viel Mattschwarz
Der Sportster-Motor, bei dem Kurbelgehäuse, Getriebe und Primärgehäuse in einem Guss vereint sind, eignet sich in Sachen glattflächiger Einfachheit besser als jeder H-D Big Twin. Was die Leistung und Gewicht angeht, hat manche Big Twin eh ein Handikap. Und à propos »Toutes Directions«: Den schnellsten Weg einschlagend, bestellt der Heidelberger Räder und Gabel bei RST-Performance in Volkertshausen. Die Bauteile sind Made in Germany und kommen mit TÜV Gutachten. Diese Parts wie auch der mit innen liegender Gaszugführung aufgepeppte Lenker werden schwarz gepulvert.

Martin baut passend dazu obere Gabelcover, in denen er die Blinker integriert. Auch die Fork Boots, in Deutschland so treffend Faltenbälge genannt, unterwerfen sich seinem Schlichtheitsdiktat. Obwohl es sie heute in diversen Farben gibt, haben die Gummiteile sich im angeglichenen Schwarz zu zeigen. Der verrippte schwarze Luftfilterdeckel birgt in seiner oberen Ansicht ein digital anzeigendes motogadget Miniaturinstrument. Geschwärzte, mit dunklem Auspuffhitzeschutzband umwickelte Abgasrohre sind mit notdürftigen Dämpfern auf den Alltag getrimmt.
Völlig legal
Auf einer Bikeshow, wo wir Martin und seine Sportster Wochen vorher getroffen hatten, waren noch keine Dämpfer dran. Der Schrauber arbeitet zwar an der dauerhaften Legalisierung einer Straßenbenutzung für die 1200er, ist aber auch ganz gut mit dem roten Kennzeichen für Probefahrten unterwegs.

Als Martin mit dem Aufbau seiner Starrrahmen-Sportster begann, wusste er, dass einer Zulassung möglicherweise massive Stolpersteine im Weg liegen könnten. Schärfere Abgas- und Geräuschbestimmungen waren Tatsachen, die einer Neuzulassung entgegenstehen. EU-Rechtliche Zulassungsbestimmungen machten Hoffnung. »Aber mir würde es auch nichts ausmachen, wenn ich mir weiterhin ab und zu eine rote Nummer holen muss«, bekräftigt Martin sein erreichtes Ziel. Doch die Sporty kriegt TÜV und noch kurz vor Druck erreicht uns seine Mail: Habe gerade eine 1200 Kilometer Tour nach Lugano hinter mir: Adrenalin pur …
Info | mbcycles.de

Horst Heiler
Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.