Alles fängt mit einem kleinen Funken an, einer Idee, die sich festsetzt, die wächst und gedeiht, bis sie sich materialisiert hat – entgegen aller Widerstände und Hindernisse. So wie bei dieser Girdergabel … 

Mut zum Risiko. Ein Spruch, den jeder von uns bestimmt schon etliche Male gehört hat und der gerne als Klischee abgetan wird. Aber Mut braucht es nun mal, wenn man eine Idee umsetzen möchte, erst recht wenn Widerstände und Hindernisse zu erwarten sind und dir jeder den Rat gibt, es doch besser bleiben zu lassen.

»Ich habe die Girdergabel schon immmer gemocht, mehr als die Springer«

Für Sven Denker von »Custom Corner« muss die Idee und der Glaube daran stärker gewesen sein als die Zweifel. Es ist Sommer 2017 und er spielt mit dem Gedanken, eine Gabel zu bauen. »Ich habe die Girdergabel schon immmer gemocht, mehr als die Springer. Und so habe ich mich umgeschaut, wo man so etwas bekommen kann.«

Mechanik in ihrer reinsten und ursprünglichsten Form. Alles ist sichtbar, nichts versteckt – eine Wohltat fürs Auge

Zusammen mit VG Motorcycle aus Holland macht er sich an die Entwicklung eines Prototyps. Nach seinen Vorgaben entstehen erste Zeichnungen, Studenten der Universität Osnabrück und Studenten einer niederländischen Hochschule übernehmen die Berechnungen für Festigkeit und Radaufstandskräfte sowie die Fahrdynamik.

Girdergabel – Das Ding muss auf die Straße

Ein langwieriger Abschnitt und die Zeit drängt, denn schon im Dezember des gleichen Jahres möchte Sven den Prototyp erstmals auf der Custombike-Show in Bad Salzuflen vorstellen. »Die Resonanz war so groß, dass es mich darin bestärkt hat, weiterzumachen. Spätestens da war mir klar, das Ding muss auf die Straße.«

Eine Besonderheit bei der Indian Scout sind die Lenkkopflager, die über unterschiedliche Durchmesser verfügen. Die Anpassung erfolgt mit Hilfe eines Adapters für das untere Lenkkopflager

Doch damit beginnt ein regelrechter Marathon, denn bevor die Produktion starten kann, muss die Gabel erst ein Prüfverfahren durchlaufen. »Ohne TÜV-Gutachten hätte es keinen Sinn ergeben, die Gabel in den Verkauf zu bringen«, so Sven. Nur, an wen wendet man sich zwecks Prüfung und Erstellung eines Gutachtens?

Der TÜV testet nicht nur die Festigkeit

Hilfe bekommt er über seine vielen Kontakte aus der Szene, die ihm mit Tipps und Ratschlägen oder einfach nur einer Weitervermittlung helfen. Schließlich findet Sven den Weg zum TÜV Austria, der sich der Prüfung des Bauteils annehmen wird. In einem aufwendigen Verfahren wird die Girdergabel nicht nur auf Festigkeit getestet, sondern auch die Radaufstandskräfte werden geprüft.

Handarbeit statt Schweißroboter. Der Zusammenbau der vielen Einzelteile erfolgt ganz klassisch von Hand

Eine Tortur für das Material, denn in einem Auszug aus dem Gutachten schreibt die Prüfbehörde: »Gegenstand der Prüfung war eine Motorrad-Vorderradgabel aus Stahl. Zur Durchführung der Festigkeitsprüfung wurde die Gabel in einem Steuerrohr montiert und darüber an einer Prüfsäule verspannt. Die Position der Gabel, und somit der Lenkkopfwinkel von 32°, entsprach dabei in etwa der Konstruktionslage. Das Federdämpferbein wurde durch einen Stahlblock ersetzt, um die Radaufstandskräfte mit Erhöhungsfaktoren einleiten zu können.

Girdergabel – Aufwändiges Prüfungsverfahren

Zur Einleitung dieser Beanspruchung wurde in der Gabel eine Achse zur Aufnahme eines winkelbeweglichen Kegelrollenlagers montiert. Die Radaufstandskräfte wurden über einen mittig unter der Achse befindlichen servohydraulischen Prüfzylinder vertikal eingeleitet. Die Einleitung der Bremskräfte erfolgte ebenfalls mittig, jedoch horizontal über einen Umlenkhebel mit entsprechendem Übersetzungsverhältnis.«

Das Funktionsprinzip der Girdergabel ist so einfach wie bestechend, entfaltet aber gerade durch die auffällige Mechanik eine besondere optische Wirkung

Nun kann sich jeder vorstellen, welchen Belastungen nicht nur die Konstruktion insgesamt, sondern vor allem auch das Material ausgesetzt war. Rund drei Millionen Lastwechsel musste die Custom-Corner-Gabel über sich ergehen lassen, eine Prozedur, wie sie sie im realen Leben wahrscheinlich nicht einmal während ihrer gesamten Betriebsdauer aushalten muss.

Niemand will ungeprüften Schrott in sein Motorrad bauen

Zumal im Straßenverkehr noch ein Öl-/Gasdruckstoßdämpfer verbaut wird, der zusätzlich Kräfte aufnimmt und absorbiert. Aber so sind nun mal die Bedingungen, die völlig zu recht an sicherheitsrelevante Bauteile gestellt werden. Niemand kann ernsthaft ein Interesse daran haben, ungeprüften Schrott in sein Motorrad zu bauen und seine Gesundheit dem Zufall in die Hände zu legen, nach dem Motto: wird schon schiefgehen. 

Macht auch an Harleys eine gute Figur. Das Besondere an der Custom-Corner-Gabel: Sie kann marken- und modellübergreifend verbaut und vom TÜV abgenommen werden

Für Sven war der Prüfungszeitraum sicher eine Leidenszeit, denn neben der finanziellen Vorleistung, ist ein positives Gutachten nicht automatisch garantiert. Über sieben Monate braucht der TÜV Austria, bis Sven das Gutachten in der Hand hält und die Gabel in Produktion gegeben werden kann.

Wichtig war eine zulassungsfähige Gabel zu präsentieren

»Klar, das hat gedauert, aber schließlich war ich nicht der einzige Kunde, den der TÜV bedienen musste, und auch bei so einer Behörde sind die Kapazitäten begrenzt. Wichtig war aber letztendlich, dass ich die fertige und geprüfte, aber vor allem zulassungsfähige Gabel endlich präsentieren konnte.«

Ein Blick auf die Maße zeigt, dass die Girdergabel von Custom Corner relativ kompakt baut, sowohl in der Länge als auch in der Breite

So ganz nebenbei hat er sich das Bauteil auch beim Deutschen Patentamt für den europäischen Raum schützen lassen. Insgesamt hat sich der Aufwand aber gelohnt, denn vielen Customizern oder Endkunden bietet sich nun eine Alternative zur Tele- oder Springergabel, mal abgesehen von irgendwelchen wilden Einzelkonstruktionen, die es nie auf die Straße schaffen werden. 

Girdergabel – Einfach ein schönes Stück Mechanik

Außerdem kann die Gabel nicht nur in der Länge, sondern auch im Rake verstellt werden – 0°, 4° und 8° lassen jede Menge Spielraum in Sachen Optik und Fahrdynamik. Doch abgesehen davon, ist es einfach ein schönes Stück Mechanik, das nicht jeder an seinem Bike hat. Und darum geht es doch schließlich auch.

INFO | customcorner.deblechfee.de

 

Interview mit Sven Denker und Jochen Lehmann:

CB: Wie kommt man auf die Idee eine Gabel zu entwickeln?
Sven Denker: Gute Frage. Ich fand die Gabel vom Design sehr cool und wollte halt etwas Fahrbares haben, aber vor allem keine Springergabel, das war der Grundgedanke. Springergabeln gibt es viele und die alten fahren sich nicht wirklich toll. In meiner Gabel ist ein vernünftiger Öl-/Gasdruck-Stoßdämpfer drin, damit du auch ein gutes Fahrverhalten hast. Und diese Gabel ist für viele Marken und Modelle und geeignet. 

CB: Warum gerade diese Art der Gabel?
Sven: Weil sie eben so flexibel ist. Von Harley-Davidson über Triumph bis hin zu Indian, aber auch Yamaha oder BMW, du kannst sie wirklich überall einbauen. Sie passt auch optisch, und das ist das Schöne daran. 

CB: Wie aufwendig ist die Konstruktion?
Sven: Nun, die Gabel muss berechnet werden, das heißt, für das Gutachten müssen Fahrwerksberechnungen nachgewiesen werden, auch digital und natürlich auch die Festigkeit. Die Konstruktion habe ich nach meinen groben Vorlagen zeichnen lassen und habe dann Gus von VG Motorcycle gebeten, mir die Gabel zu bauen. 

Böse Zungen gibt es ja immer, wenn sich einer etwas traut

CB: Böse Zungen behaupten, die Gabel sei eine Kopie eines amerikanischen Herstellers?
Sven: Böse Zungen gibt es ja immer, wenn sich einer etwas traut. Die Gabel ist nicht mein Design, denn das gab es schon so. Sie wurde eben nur entsprechend umgebaut, mit anderen Lagern. Jetzt sind vernünftige Buchsen drin, alle beweglichen Teile sind aus Edelstahl, auch um Rost zu vermeiden. Alles wurde immer wieder verfeinert, bis es richtig funktionierte. Vor allem aber kommt kein Mountainbike-Stoßdämpfer zum Einsatz, wie man teilweise schon lesen konnte, der angeblich selbst für eine Street Glide hätte reichen sollen. Hier wird jetzt ein geprüfter und zugelassener Dämpfer verwendet. Das war mir besonders wichtig, zudem ist der Dämpfer TÜV-geprüft und wird in der entsprechenden Länge genau für diese Gabel hergestellt. 

CB: Ein technisches Bauteil wie eine Gabel unterliegt besonderen Prüfungsanforderungen. Wie kompliziert ist ein Prüf- und Zulassungsverfahren?
Sven: Vor ein paar Wochen hätte ich noch gesagt, ich mache das nicht noch einmal, denn es ist sehr zeit- und kostenintensiv. Außerdem hat man zu Beginn kaum Anhaltspunkte, an wen man sich überhaupt wenden muss. 

Ohne Qualitätsmanagement geht hier nichts

Jochen Lehmann: Im ersten Schritt muss der Hersteller oder der Vertreiber eines solchen Bauteils entsprechend zertifiziert sein, das heißt, du musst nachweisen, dass du immer wieder die gleiche Qualität gewährleisten kannst. Mit einem selbstgebauten Einzelstück ohne eigene Zertifizierung brauchst du gar nicht erst ein Prüfverfahren beantragen. Ohne Qualitätsmanagement geht hier nichts. Ich bin sogar verpflichtet ein Prüfprotokoll zu führen. Wenn ich zum Beispiel einen Heckfender schweiße, muss ich alle Arbeitsschritte, auch mit Datum, belegen können, gerade für den Fall, dass mal etwas passiert. Außerdem sprechen wir hier nicht vom TÜV in der Funktion, wie ihn jeder von uns kennt. Bei solchen Prüfverfahren hat man es mit einer speziellen Abteilung des TÜVs zu tun, in der Prüfingenieure entsprechende Versuche unternehmen und dein Bauteil gemäß den Vorgaben prüfen. 

Sven: Für mich bedeutete das, einen Hersteller mit entsprechender Zertifizierung zu suchen, der so eine Gabel überhaupt prüfen lassen darf.

CB: Über welchen finanziellen Aufwand sprechen wir?
Sven: Ich habe mal versucht, das grob zu überschlagen. Auf alle Fälle hätte ich mir dafür eine Harley-Davidson CVO kaufen können. Von der Entwicklung bis zum Verkauf sprechen wir über mehrere zehntausend Euro, inklusive der geleisteten Arbeitszeit, die ebenfalls dazugerechnet werden muss. Aufgrund dieser Investition und der möglichen, zu erwartenden Verkäufe erfolgt dann die Kalkulation für den Verkaufspreis. 

Die amerikanische Konstruktion hätte nicht standgehalten

CB: Wäre es nicht leichter gewesen, eine bereits entwickelte Gabel zu nehmen und zuzulassen?
Sven: Bei dem amerikanischen Pendant mit Sicherheit nicht. Es wäre schon an den verwendeten Materialien und dem verbauten Fahrradstoßdämpfer gescheitert. Die ganze Konstruktion hätte von der Festigkeit her einer ordentlichen Prüfung mit rund drei Millionen Lastwechseln nicht standgehalten. 

Jochen: Der weitere Knackpunkt ist, dass das Teil aus den Staaten stammt und der dortige Hersteller keine Zertifizierung nachweisen kann, die bei uns anerkannt wird. 

Sven: Wir hätten nicht einmal sagen können, welches Material verwendet wurde. 

CB: Was waren die technischen Schwierigkeiten oder Besonderheiten?
Sven: Zuerst musste die Umlenkung passen, dann spielt die Verwendung der richtigen Lager, Buchsen und Teflonscheiben eine entscheidende Rolle. Es war schon ein bisschen Rantasten und zwischendrin ist auch etwas Schrott produziert worden. Unterm Strich ein notwendiger Lernprozess. 

Die Nachfrage bestätigt, dass es richtig war, den Aufwand zu wagen

CB: Ist eine Serienproduktion geplant?
Sven: Die läuft schon und die Nachfrage bestätigt, dass es richtig war, den Aufwand zu wagen. 

CB: Wo und ab wann wird die Gabel erhältlich sein?
Sven: Die Gabel ist bereits bei mir erhältlich, für die Indian-Modelle exklusiv bei Jochen. Händleranfragen, gerne auch aus dem Ausland, sind natürlich willkommen. 

 

Christian Heim