Kaum zu übersehen: Es geht um ein E-Bike. Und dann noch von der Stange, also serienmäßig. Aber entspannt euch und setzt euch mit diesem Bericht über den »Ruffian«, einem großartigen Cognac und einer Zigarre, die zwischen den Schenkeln einer hinreißenden Kubanerin gerollt wurde, an ein stilles Plätzchen, denn ich habe frohe Kunde zu verbreiten.

Es gibt nur wenig Dinge, die mich vom ersten Augenblick an in den Bann gezogen haben. Das wären vor allem die Möpse von Sabine Plagmann aus der 10a, Omas Schweinebraten, der Shovelmotor und dieses lustige Gefährt, der Ruffian. Die Dinger waren auf der CUSTOMBIKE-Show in den Pre-Corona-Jahren seitlich von der Hauptbühne ausgestellt und verbreiten reichlich Freude unter denen, die damit Probe fahren. So ist es auch mir ergangen, als ich zwischen Moderation und Eierlikör mal Zeit hatte, mit einem der schön vintage gestylten Ruffians durch die Halle zu cruisen. Gott sei Dank war der Preis jenseits der 6.000 Euro ein klares No-Go. Trotzdem fragte ich an, ob ich nicht mal so ein Ding zur Probe haben könnte. Die Jungs von Ruff Cycles waren extrem kooperativ und bald stand wie abgesprochen ein riesiger Karton in meinem Frühlingsgarten. Ach herrjee, denn damit begann etwas, was man als Drama mit positivem Ausgang bezeichnen kann.

Frau Reuter wuchs nicht mit einem Skateboard im Arsch auf

Der Ruffian wird von Ruff Cycles gut beworben – er erscheint als urbanes Vehikel für peppige Typen, die mit einem Skateboard im Arsch aufgewachsen sind und die statt Haaren eine falsch rum sitzende Kappe tragen. Insofern ist der Ruffian bei mir fehl am Platze, ich entspreche nicht diesen »Urban People«. Aber macht nichts, es geht ja um das Produkt selbst. Und auch mir steht es in dieser freien Welt zu, den Ruffian zu fahren. Sogar außerhalb der Urbanität, nämlich im städtischen Randbereich. Das sieht zwar weniger hip aus, macht aber einen Mordsspaß. Und genau das hat, so viel sei im Vorfeld verraten, meiner Geldbörse den Kopf gekostet.

Der Abstand von Schutzblechen zu Reifen ist pikant gering, aber ausreichend. Die Reichweite des E-Bikes beträgt offizielle 125 Kilometer, bei ebener Strecke mit Rückenwind oder bergab aber vielleicht sogar 2500 Kilometer, wer weiß

Der allererste Kritikpunkt, der Außenstehenden beim Anblick des Ruffian einfällt, ist die Sitzhaltung. Der freche Z-Lenker befindet sich – ich drücke es mal ganz laienhaft aus – ziemlich weit vorn und ist nur ganz leicht zum Fahrer hin geknickt. Grundsätzlich ist die Sitzhaltung aber deutlich bequemer als auf einem konventionellen Trekking-Bike oder gar Rennrad. Zugegeben: Die Tretkurbeln sind aus Coolnessgründen ebenfalls weit vorn angebracht, dennoch tritt sich der Ruffian angenehmer an als ein klassisches Hollandrad, das nämlich ergonomisch eine Katastrophe ist. Ich weiß das, weil ein Freund von mir Orthopäde ist. Und wenn man ein paar Minuten auf dem Ruffian sitzt, verfliegen alle Gedanken an Bequemlichkeit und Ergonomie sowieso. Selbst mein Bruder, der schon mehrfach am Rücken operiert wurde, war kaum wieder runterzukriegen. Und mein bekackter Sohn, der als absoluter Faulpelz und Fahrradhasser bekannt ist – »warum soll ich Rad fahren, wenn es Mofas gibt …« – findet DIESE Art des Pedalierens reichlich attraktiv und wäre beinahe bereit, seine Hercules dagegen einzutauschen.

Der Ruffian haut dir das Wasser schwallweise in die Arschkimme

Und ich? Also, ich bin damit inzwischen überall rumgeeiert, wo man normalerweise nicht mal zu Fuß hingeht. Und das Teil macht echt so einen Spaß! Nun bin ich nicht allein auf der Welt – neben mir herrscht eine Frau, die blitzschnell mit der Bratpfanne zuschlagen kann. Und selbst die findet die Karre klasse. Natürlich hauptsächlich »weil es so schick aussieht« und weil »Radfahren gut für dich ist«. Recht hat sie, die alte Schlampe. Mittlerweile fahre ich die Alltagsstrecken bis fünfzehn, zwanzig Kilometer, für die ich sonst die Harley oder sogar das Auto genommen hätte, ohne mit der Wimper zu zucken mit dem Ruffian. Zumindest, solange das Wetter mitspielt. Denn eines ist sicher: Sobald die Straßen oder Radwege nass sind, haut dir der unbedeckte Hinterreifen das Wasser schwallweise in die Arschkimme, sodass es dir vorkommt, als säßest du auf einem sehr schlecht eingestellten Bidet. Aber Mann, was soll’s! Das ist doch auf unseren Choppern nicht viel anders! Erst seit ich ohne Schutzblech fahre, weiß ich, wie ein totgefahrenes Karnickel schmeckt. 

Das hintere Licht ist nah an der Sattelsitzfläche angebracht, aus der Entfernung in der Dämmerung betrachtet könnte man meinen, der Fahrer des Ruffian habe ein kleines bengalisches Feuer im Hintern stecken. How tricky!

Beim Ruffian ist das Schutzblech zumindest vorn lang genug. Ich bin inzwischen sehr viel abseits befestigter Wege gefahren, wofür das Rad vermutlich nicht gebaut ist, und nie hat mir ein Stöckchen oder ein Kiesel den Garaus gemacht. Die Vorderradgabel ist ungefedert, was ich prima finde. Sie sieht aus wie eine Mokick-Gabel, ist sehr stabil und hat einen Nachlauf, der das Rad schön geradeaus führt. Die Federung wird komplett von den 3-Zoll-Rädern mit dicken 26-Zoll-Reifen und dem Ledersattel übernommen. Der erinnert sehr stark an die klassischen Modelle von Brooks, ist aber auf Anhieb komfortabler. Das sehr gute Abfedern bezahlt man mit dem Ertragen einer lustig-quitschigen Geräuschkulisse. Zumindest in meiner Gewichtsklasse. Ansonsten ist man mit dem Rad eher geräuschlos unterwegs, denn die Antriebsunterstützung durch den Bosch-Motor ist leise wie ein schnurrendes Kätzchen. 

Der Ruffian hat astreine Magura-Hydraulikbremsen

Immerhin liefert der Motor maximal satte 85 Newtonmeter, das kann einen im kleinen Gang und Turbo-Stellung schon mal ins Schwitzen bringen, denn dann schießt der Ruffian beinahe übers Ziel hinaus. Aber solche Situationen kommen beim Normalfahrer eher selten vor, vermute ich. Womit wir bereits bei der Bedienung des Bikes sind: Die beiden Bremsen sind wohl selbsterklärend. Es sind astrein arbeitende Magura-Hydraulikbremsen, die in filigranen Bremsscheiben enden. Da es keinen Rücktritt gibt, gilt also: Rechts ist die Vorderradbremse, links die Hinterradbremse. Schwieriger wird es bei der Einstellung der Fahrstufe und des nötigen Ganges. Hier muss man eines verstehen: Der Plus/Minus-Schalter links am Lenker lässt dich durch die Fahrstufen (oder besser: Unterstützungsstufen) Aus, Eco, Tour, Sport und Turbo schalten.

Die Hydraulikbremsen arbeiten tadellos, da gabs nichts zu meckern

Eco ist die schwächste Unterstützung durch den Motor und entspricht dem Fahren mit einem sehr gut eingestellten Fahrrad mit Achtgangschaltung. Hier beträgt die Reichweite rund 125 Kilometer. Diese Angabe ist nicht verbindlich, denn je weniger der Motor den Fahrer dabei unterstützen muss, desto mehr Kilometer kommen dazu. Auf Stufe Tour sinkt die Kilometerleistung auf 45 bis 50 Kilometer, mit dieser Stufe fahre ich meistens. Wenn der Gegenwind arg ins Gesicht drückt, steige ich um auf Sport. Turbo habe ich nur einmal benutzt, um mich im Wald eine Böschung hochkatapultieren zu lassen. Rechts am Lenker ist die Armatur für die stufenlose Gangschaltung von NuVinci. Die ideale Übersetzung hat man, wenn man etwa im Sekundentakt eine Pedalkurbelumdrehung absolviert. Wenn es bergan geht, sollte man gar nicht unnötig reintreten, sondern wirklich runterschalten, denn der Motor freut sich dann sehr und unterstützt gefühlt mit mehr Drehmoment. Die Devise ist also: Schalten!

So ein Akku hält gute fünf bis sieben Jahre

Häufiges Schalten verlängert die Akkulaufzeit und somit den Aktionsradius. Der 500-Wh-Akku ist übrigens in viereinhalb Stunden vollgeladen. So ein moderner Akku hat eine offizielle Lebensdauer von 500 Ladezyklen. Ich kenn Leute, die schon deutlich mehr Zyklen mit genau diesem Akku geschafft haben. Zumal so ein Zyklus immer von komplett leer bis randvoll geladen bedeutet. Und das hat man fast nie, und deshalb addieren sich mehrere Teilladezyklen zu einem Komplettladezyklus. Verstanden? Macht nichts. Fakt ist: So ein Akku hält gute fünf bis sieben Jahre. Danach kauft man einen neuen oder lässt sich im Fachbetrieb neue Zellen einsetzen, was sehr viel billiger ist. Das mitgelieferte Standard-Ladegerät lässt sich auf längeren Touren gut in der Packt- oder Umhängetasche unterbringen. Zum Aufladen greift man unter den »Tank«, der den Akku beherbergt, klappt eine Gummilasche zurück, die die Ladebuchse abdeckt. Da hinein stecken wir den Ladestecker. Das klingt einfach, hat bei mir allerdings etwas gedauert, bis ich es blind konnte. Will man den Akku komplett entnehmen, muss man die untere Abdeckplatte des Tanks abschrauben und den Akku mit dem mitgelieferten Schlüssel entriegeln. So viel zum Antrieb.

Und auch der wartungsarme und zuverlässige Zahnriemen-Antrieb ergibt in unseren Augen Sinn

Kommen wir zum Coolness-Faktor. Das Rad schockt ungemein! Der Rahmen ist ein Traum! Zwar wird einem nur wenig Bodenfreiheit geboten, aber das sind ja die meisten von uns gewohnt. Dieses Fahrrad macht dem Wort »cruisen« alle Ehre. Man eiert wirklich völlig entspannt und glückselig durch die Gegend und alle können einen mal am Arsch lecken. Wenn der Lenker nur fünf Zentimeter weiter nach hinten reichen würde, säße ich noch besser, weil sich zwischen mir und den Beinen eine Bierplauze befindet, die reichlich in Bedrängnis gerät. Die Plauze erübrigt sich aber irgendwann: Ich bin noch nie so viel Rad gefahren wie in den letzten vier Wochen und mein Gürtel lässt sich bereits ein Loch enger schnallen. Aha: Eine Win-win-Situation!

»Der Ruffian ist nur 15 Zentimeter kürzer als meine Shovel«

Weiter mit dem Style: Die Beleuchtung kennen wir, vorn steckt eine Bates-Lampe an der Gabelbrücke, hinten ein beliebtes Zubehör-Rücklicht aus Fernost. Beide Lampen sind LED-befeuert und strahlen sehr hell. Die Kraftübertragung erfolgt entweder klassisch über Kette oder – wie hier – über einen Zahnriemen von Gates. Dem Riemen gebe ich klar den Vorzug, denn er ist wartungsarm, zuverlässig und sauber. Insgesamt ist es meiner Meinung nach der optisch gelungenste Cruiser auf dem Weltmarkt. Im Halbdunkel meiner Garage sieht der kleine braune Frechdachs  – zumindest nach drei Bier – wirklich aus wie ein Motorrad aus den 20er Jahren. Tatsächlich fühle ich mich in diesen bierseligen Sekunden an den legendären »Silent Grey Fellow« von Harley erinnert. Ein handliches, schlankes Einzylindermotorrad mit wenig PS und hohem Spaßfaktor. Wobei das Wort »klein« gar nicht korrekt ist. Der Ruffian ist gerade mal fünfzehn Zentimeter kürzer als meine alte Shovel, wiegt mit rund 33 Kilo aber deutlich weniger.

Der kleine Bosch-Motor leistet ein Maximum von immerhin 85 Newtonmetern

Auch wenn scheinbar alles an diesem Cruiser perfekt ist, Möglichkeiten zum Customizing gibt es immer noch reichlich. Ich bau mir zum Beispiel gerade einen anderen Lenker. Zum Preis: Ruff Cycles rufen rund 6.199 Euro für den Haufen auf. Das ist viel Geld. Dafür bekommt man auch eine beschissene gebrauchte Rolex Submariner oder fünf schlechte Gebrauchtwagen. Aber dieses Fahrrad wird in Deutschland von fleißigen Händen zusammengeschweißt und -geschraubt. Der Laden zahlt Steuern in Deutschland. All das kostet Geld. Und so betrachtet ist das nicht zu viel Kohle für ein Fahrzeug, das absolut schockt.

»Es ist nie zu spät für eine glückliche Jugend«

Aber weil ich die Kohle dafür trotzdem nicht habe, das Ding aber auf keinen Fall wieder hergeben will, hab ich mir von Ruff Cycles ’ne Finanzierung verpassen lassen. Scheiß drauf. Denn wie heißt es so schön: »Es ist nie zu spät für eine glückliche Jugend«. Und eines ist mal sicher: Das Bike ist nicht nur herrlich zu fahren, es erzeugt jede Menge Aufsehen und man wird dauernd von irgendwelchen Leuten angequatscht. Das passiert mir bei meinem Chopper nie. Wer mehr technische Details sucht, sollte sich die Homepage von Ruff Cycles näher anschauen. Da wird auch der kleinste Sproß des Hauses vorgestellt, der Lil’ Buddy. Ein Fahrzeug, das rein auf Spaßerzeugung ausgerichtet ist und dennoch anständig fährt. Mein Sohn darf das Teil auf keinen Fall zu Gesicht bekommen, sonst ist die alte Hercules endgültig weg.

Info | ruff-cycles.com

 

Frau Reuter
Frau Reuter bei CUSTOMBIKE

Martin Reuter ist unter seinem Pseudonym »Frau Reuter« inzwischen zweitdienstältester Mitarbeiter der CUSTOMBIKE. Der freischaffende Künstler rezensiert mit spitzer Feder und scharfem Wort Produkte, die seiner Meinung nach etwas Aufmerksamkeit bedürfen. Im wahren Leben ist er als Illustrator, Fotograf und Textautor tätig und spielt ganz nebenbei Bass und Orgel in der zweitschlechtesten Band der Welt. Kulinarisch betrachtet kocht er scharf und trinkt schnell. Als echtes Nordlicht badet er selbstverständlich nur in Salzwasser. Seine Vorlieben sind V8-Motoren und Frauen, die Privatfernsehen verschmähen. Stilecht bewegt er eine 76er Harley, restauriert eine Yamaha SR 500 und bewegt sich politisch korrekt die meiste Zeit mit dem Fahrrad fort.