Neue Gabelbrücken bringen nicht nur eine andere Optik, sie können auch die Fahreigenschaften verändern oder sogar technisch notwendig sein
Bei der Änderung der Front sind bei vielen Bikes früher oder später auch die Gabelbrücken dran. Größtenteils geht eine andere Gabelbrücke wegen der Optik über die Theke. Dass diese Änderungen auch Auswirkungen auf das Fahrverhalten haben können, wird manchmal übersehen. Technisch betrachtet kann der Wechsel eine absolute Notwendigkeit bedeuten. Zum Beispiel bei Baggern, also den Tourenmaschinen mit den Übermaß-Vorderrädern von 26 oder gar 30 Zoll Durchmesser, ist ein Einbau ohne Änderung gar nicht zu realisieren.
Das Rad würde ansonsten bis zwischen die Rahmenunterzüge reichen und so einen ungewollten Lenkanschlag hervorrufen. In Amiland geht man da kurzerhand hin und versetzt schweißtechnisch den Lenkkopf ein Stück nach vorne. Wenn auch in Deutschland nicht so einfach, wäre eine TÜV-Abnahme möglich. Aber das hätte wohl eine Umtypung mit neuem Erstzulassungsdatum zu Folge. Außerdem ist für diese Art die komplette Zerlegung des Bikes notwendig, da der Rahmen in einer Leere geändert werden muss.
Gabelbrücken – eine einfache Lösung
Bei Thunderbike hat man sich deshalb Gedanken bezüglich einer wesentlich einfacheren Lösung für die Harleys gemacht: Ein anschraubbarer neuer Lenkkopf, der die Gabel entsprechend weit und schräger nach vorne bringt. So bleibt der Rahmen im Prinzip unangetastet, da die komplette Konstruktion nur am originalen Lenkkopf befestigt wird. Zur Zentrierung dienen zwei hinter dem Lenkkopf vorhandene Löcher, die lediglich mit einem Gewinde zwecks langfristiger Haltbarkeit versehen werden. Jetzt könnte man denken, dass es das schon war, aber es müssen innerhalb dieser Maßnahme auch noch neue Gabelbrücken her. Denn die Reckung passt nicht zum Nachlauf des Mega-Rades und würde Unruhen ins Fahrwerk bringen. Das Gesamtkonzept muss stimmen, damit der TÜV seinen Segen gibt und der Fahrer entsprechend sicher unterwegs sein kann.
Beim Kunden steht aber auch noch eine andere Frage im Raum, nämlich: So ein Stück Alu kostet doch nicht viel, warum sind die Gabelbrücken dann so teuer? Um zu zeigen, welche Vorleistung erbracht werden muss, bevor die erste Gabelbrücke verkaufsfertig im Regal liegt, haben wir uns bei Thunderbike über den Bau der Bagger-Gabel und die notwendigen Vorarbeiten aufklären lassen.
Vom Entwurf zum ersten Werkstück
Es beginnt damit, dass eine erste Zeichnung erstellt wird, am Bike wird dann gezeigt, wo, was und wie es sein sollte. Diese Informationen muss Programmierer Herbert dann verinnerlichen und in ein real existierendes Werkstück umsetzten. Die ganze Prozedur beginnt mit der technischen Zeichnung. Was früher am Zeichenbrett geschah, passiert heutzutage im PC. CAD (computer added design) schimpft sich das Programm. Hierdurch ist ein absolut genaues Arbeiten bis in den µm-Bereich möglich (µ=1/1000000). Für die meisten Frästeile reicht eine zweidimensionale Zeichnung, bei einer zu vollziehenden Berg- und Talfahrt ist dann aber Dreidimensionalität angesagt. Die weitere Bearbeitung wird in CAM (computer added manufacturing) vollzogen.
Hierzu gehört der Strategieplan für Fräse, also welcher Fräser, welches Fräswerk benötigt wird, und die Festlegung des möglichen Arbeitsbereichs der Fräse durch so genannte „Zäune“. Der in CAM eingebundene Postprozessor setzt die bisher erzeugten Textdateien in die maschinenspezifische Sprache um. Über das firmeneigene Netzwerk gelangen die Daten dann zur Fräse. Früher wurde hier alles gemäß technischer Zeichnung von Hand eingegeben, bei den heutzutage erzeugten Datenmengen ist dies jedoch nicht mehr vorstellbar. Wie beim Prototyp kontrolliert Herbert per Sichtprüfung immer die ersten Arbeitsschritte am Gerät. Sollte einmal die Revolverbestückung mit den verschiedenen Fräsköpfen nicht stimmen, geht zumindest nur ein Teil kaputt und nicht gleich eine ganze Baureihe. Nach Fertigstellung des Erstlingswerks werden nun die optischen Feinheiten und die Funktionsmaße am Einbauort überprüft und ggf. reguliert.
Gabelbrücken-Muster in zwei Wochen
Bei den Bagger-Brücken kostete allein die erste Programmierung ca. zwei bis drei Tage pro Brücke. Die Festlegung des Programmablaufes in der Fräse verschlang noch mal zwei Tage und für die Regulierung der Feinheiten gesellte sich ungefähr eine Woche dazu. Alles in allem dauerte es vom Anfangs-Gedanken bis zum ersten Musterteil gut zwei Wochen. Wenn man bedenkt, dass das der Zeitaufwand pro Brücke auftritt und der Lenkkopfversatz auch noch dazu kommt, ist schnell mal eben über einen Monat ins Land gegangen, um die Idee in Alu zu realisieren.
Wenn alles reibungslos funktioniert, prüft der TÜV in München dann auf dem Hydro-Pulser das Endprodukt, unter einem Mehrfachen der nachher zulässigen Belastung, auf seine Haltbarkeit. Das geprüfte Teil selbst ist wegen Materialermüdung danach reif für die Tonne. Neben den bis hierhin aufgetretenen Lohn-, Material- und TÜV-Prüfkosten kommen natürlich auch noch die anteiligen Kosten für die Nutzung der CNC-Fräsen. Zur Umlegung dieser Faktoren stellt sich dann die Frage, ab welcher Stückzahl sich das Teil rentieren soll. Neben diesem Anteil gesellen die eigentliche Produktionskosten, ein Gewinn und natürlich die Märchensteuer hinzu.
Nachlauf, wofür ist der gut?
Beim Kauf von Aftermarket-Parts stellt sich immer wieder die Frage, welche technischen Folgen sich durch die Änderung des Frontends ergeben. Klar, dass man keine pauschale Aussage für jeden Motorradtyp und alle damit verbundenen Änderungsmöglichkeiten geben kann. Trotzdem wollen wir versuchen, einen Leitfaden zu kreieren, damit ihr zumindest einen Anhaltspunkt habt, bzw. wisst, an welchen Stellen ihr nachregeln könnt. Grundsätzlich ist dazu erstmal die Erklärung einiger Begriffe der Fahrwerkstechnik nötig. Den Anfang macht hierbei der Nachlauf. Diesen ermittelt man, indem zunächst der Lenkkopf mittig bis auf den Boden verlängert wird.
Den zweiten Bezugspunkt liefert die Senkrechte durch die Vorderachse. Zwischen diesen beiden Punkten wird der Nachlauf gemessen. Wichtig hierbei ist jedoch, dass der gelotete Radmittelpunkt hinter dem Auftreffen der Lenkachsenlinie liegt. Das Rad wird damit gezogen bzw. läuft nach. In dieser Konstellation hat das Rad ständig das Bestreben zurück in Geradeausstellung zu gehen, daher liegt es sehr ruhig auf der Fahrbahn. Die verwendeten Nachlaufgrößen bewegen sich ungefähr zwischen langen 170 mm bei Choppern und nur noch sehr kurzen 60 mm bei Off Road- oder Supermoto-Maschinen. An diesem doch recht kleinen Variationsbereich ist erkennbar, wie schnell sich auch nur geringe Änderungen auf das Fahrverhalten auswirken können.
Wichtig für die Handlichkeit
Laut Thunderbike sollte bei Choppern die 10 cm-Grenze nicht unterschritten werden. Die Länge des Nachlaufes ist wichtig für die Handlichkeit. Motorräder mit sehr geringem Nachlauf reagieren feinfühliger auf Lenkbewegungen und sind somit sehr wendig. Sie fallen sozusagen fast von allein in die Kurve, sind bei hohen Geschwindigkeiten und unebener Fahrbahn aber recht instabil. Das liegt daran, dass die Feinfühligkeit auch in umgekehrter Richtung Bewegungen weitergibt.
Deshalb kann hier schon eine Unwucht im Reifen gravierende Schwierigkeiten erzeugen. Ein großer Nachlauf bringt Ruhe ins Fahrwerk, verleiht dem Motorrad eine bessere Richtungsstabilität und macht es unempfindlicher gegen Fahrbahnunebenheiten. Allerdings lässt es sich schwerer einlenken und benötigt einen großen Wendekreis.
Gabelbrücken beeinflussen den Nachlauf
Der Nachlauf wird ebenfalls durch den Lenkkopfwinkel und damit durch die verbauten Gabelbrücken beeinflusst. Er kann entweder von der Senkrechten oder Waagerechten her gemessen werden. Von der Funktion her ist es prinzipiell egal, man muss sich nur einig sein, welche Bezugsgröße bei der Betrachtung zugrunde gelegt wird. Selbst bei Angabe der technischen Daten sind sich die Hersteller nicht einig. So könnte es z.B. vorkommen, dass eine H-D Heritage Softail mit 58° und eine Suzuki Intruder M 1600 mit nur 32° angegeben wird, obwohl beide offensichtlich eine gleichgroße Neigung haben.
Im ersten Fall wurde zur Fahrbahn gemessen um beim zweiten bildete die Senkrechte den Bezugpunkt. Kurz nachgerechnet: 58°+32°= 90°, also ein rechter Winkel! In unserer Betrachtung legen wir die Definition des Winkels der Lenkachse zur horizontalen Ebene (Straße) zu Grunde. Somit lässt sich sagen, dass, je kleiner der Lenkkopfwinkel ist, desto größer ist Nachlauf und Radstand. Letzterer spielt für das Handling eines Zweirads ebenfalls eine wichtige Rolle. Er bewirkt, dass Motorräder mit kurzem Radstand nur einen kleinen Wendekreis benötigen und sich mit geringem Kraftaufwand einlenken lassen. Wer dagegen mit einem langem Radstand ausgestatteten Bike den gleichen Kurvenradius erreichen möchte, muss der Lenker wesentlich weiter eingeschlagen.
Der Radstand ist entscheidend für Fahrkomfort
Das erfordert einen höheren Kraftaufwand, da das durch den Nachlauf erzeugte Rückstellmoment wesentlich größer ist. Für die, die schon jetzt nur mit ausgestreckten Armen das Lenkeisen erreichen, ergibt sich echtes Handlingsproblem beim Rangieren. Der Radstand ist ferner ein Maß, das den Fahrkomfort entscheidend mitbestimmt. Je größer er ist, umso besser können Schwingungen um die Querachse vom Fahrwerk aufgefangen werden. Diese Eigenschaft ist besonders gut beim Auto zu merken. Mit einem langen Kombi überquert man lässig die Verkehrsberuhigungshuckel, wobei ein Kleinwagen beim Verlassen scheinbar in ein tiefes Loch fällt.
Um die ganze Theorie zu veranschaulichen, haben wir anhand den Daten einer 1400er Intruder den Nachlauf mit drei verschiedenen Radgrößen, drei unterschiedlichen Standrohrlängen und vier Gabelreckungen zeichnerisch durchgespielt. Das Heck blieb bei dieser Betrachtung unverändert. Das Ganze erklären wir aber in einem separaten Artikel.
Lothar Steinmetz
Lothar Steinmetz ist bereits seit dem Jahr 2000 als freier Mitarbeiter für die CUSTOMBIKE tätig und kümmert sich vorrangig um Lowbudget-Umbauten. Darüber hinaus analysiert er Gesetzestexte und macht Technik für den Leser verständlich. Seit 1993 besitzt er eine gelbe Trude, die neben den anderen Mopeds der Familie immer wieder für Detailaufnahmen oder Reparaturanleitungen herhalten muss.