In Sachen Fahrwerk schauen wir uns das Heck mal genauer an – damit es nach dem Umbau kein böses Erwachen gibt
„Hättest du alles bei uns gekauft, hätten wir dir sagen können, dass das so nicht klappt.“ Und da kann man dem Händler noch nicht einmal einen Vorwurf machen, denn das sind nun mal keine Hellseher, die euch eure Pläne von den Augen ablesen können. Erst recht durch die Internetkäufe fehlt eine fachkundige Beratung. Vielfach ergeben auch erst einige Änderungen zusammen den ungewollten Negativeffekt, wobei die Auswirkungen einzelner Komponenten kaum spürbar bleiben. Damit es nachher kein böses Erwachen gibt, haben wir uns diesmal der Folgen der Heckänderungen angenommen. Genau wie bei der Front müsst ihr die Effekte an eurem Bike nachher selbstzusammenaddieren, um die Auswirkungen zu ermitteln.
Änderungen am Fahrwerk verändern das Bike entscheidend
Zunächst machen wir mal bei den im letzten Artikel erklärten Begriffen weiter, denn auch die vorderen Komponenten werden u. U. durch heckseitige Modifikationen beeinflusst. Der bei den meisten Choppern primär anstehende Umbau ist der Wechsel der Federbeine, und zwar gegen kürzere. Sieht eben besser aus, wenn die Fuhre sich möglichst knapp über dem Boden bewegt. Durch das Absenken des Hecks verändert sich der Lenkkopfwinkel und der Nachlauf wird größer.

Dieser Effekt ist besonders nützlich, wenn durch große Gabelreckung und Verbau eines kleinen Rades der Nachlauf heftig in die Knie gegangen ist und mit Fahrwerksunruhen quittiert wird. Dann sind wieder ein paar mehr km/h bis zum Pendeln möglich. Auch die Verwendung eines Niederquerschnittsreifen bringt Erfolg, da dieser gegenüber Ballonreifen insgesamt mit einem etwas kleineren Durchmesser glänzt und damit den gleichen Effekt wie die kürzeren Dämpfer hervorruft bzw. in Kombination verstärkt. Bei Streetfightern gehen die Gedanken genau in die andere Richtung, längere Stoßdämpfer bzw, modifizierte Umlenkungen werden für die Heckanhebung platziert. Das ergibt dann folglich einen etwas kleineren Nachlauf und die Reduzierung des Radstandes, was sich gegenüber dem Chopper jedoch nicht so negativ bemerkbar macht.
Breiter ist nicht automatisch besser
Einen drastischen Eingriff in die Fahreigenschaften stellen die vorwärts drehenden Breitreifenkulturen dar. Störkräfte durch Bodenwellen oder Absätze im Fahrbahnbelag, die auf den außermittigen Reifenaufstandspunkt wirken, können vor allem auf schlechten Landstraßen für ein kippeliges Fahrverhalten sorgen. Und spätestens wenn es feucht wird, ist es mit der hoch gelobten größeren Haftung vorbei, welche soundso hauptsächlich nur beim Herausbeschleunigen aus der Kurve ihren Vorteil zeigt. In der Kurve selbst stützt sich unser Bike über eine Kraft, die auf der Linie zwischen Schwerpunkt und Reifenaufstandspunkt liegt, gegen die auftretende Flieh- und Gewichtskraft ab (Kräfteparallelogramm). Je breiter das Pneu ausfällt, umso tiefer muss das Motorrad gegenüber einer Schmalbrust bei gleicher Geschwindigkeit abgewinkelt werden. Die Reifenaufstandsfläche wandert nämlich zur Außenseite des Reifens, verschiebt sich somit zur Kurveninnenseite, der Schwerpunkt des Motorrades bleibt aber wo er ist. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Neigungswinkel, der mit zunehmender Reifenbreite steigt.

Obwohl es hier ums Heck geht, dürfen wir in diesem Zusammenhang die Vorderradreifendimension nicht außer Acht lassen. Er sollte aus funktionalen Gründen nicht super breit gewählt werden. Breite Kollegen haben zusätzlich den Nachteil, dass sie wegen ihres starken Aufstellmoments in Schräglage bei notwendigen Kurvenbremsungen an den Kurvenrand drängen – ein Effekt, den niemand so wirklich gebrauchen kann. Je breiter, desto höher ist auch die Haltekraft, die der Lenker fordert, um den Kurvenradius weiter zu verfolgen. Aus vorgenannten Gründen kann ein Bike mit schmaleren Reifen bei gleicher Schräglage schneller durch die Kehren gezirkelt werden als ein Motorrad mit breiten Schluffen.
Das Fahrwerk und die ultrabreiten Reifen
Normalerweise ist der Einbau der Ultrabreiten mit weiteren technischen Änderungen verbunden. Eine Serienschwinge bietet in den meisten Fällen, bedingt durch die Antriebseinheit, nur den Ausweg zu einer Seite. Damit läuft der Reifen auf jeden Fall außermittig. Es entsteht ein so genannter Radaufstandspunktversatz, d. h. das Vorder- und Hinterrad fahren zwar in die gleiche Richtung laufen, aber nicht auf derselben Linie. Dieser Effekt bewirkt ein unterschiedliches Kurvenverhalten. Findet z. B. eine Verschiebung von 10 mm nach rechts statt, bedeutet es – einfach ausgedrückt – bei einem 170er in der Linkskurve das Verhalten eines 160ers und in der Gegenrichtung das eines 180er- Gummis. Das hält sich noch im Rahmen des gut Fahrbaren. Über 15 mm sollten es aber auf keinen Fall werden. Je größer der Versatz wird, umso gravierender ändert sich das Einlenkverhalten zwischen den Richtungen (etwa: links fällt man in die Kurve und rechts muss man die Karre richtig drücken).

Um die Werte so klein wie möglich zu halten bzw. zu verringern, ist eine breitere Schwinge oder die Modifikation der Vorhandenen unumgänglich. Reicht das noch nicht aus, wird z. B. bei Harleys der Sekundärantrieb versetzt oder ein Getriebe mit Rechtsausgang verbaut. Auch ein Verschieben des ganzen Motors ist möglich, bringt aber meistens nur etwa zehn Millimeter. Beim Geradeauslauf zieht die Fuhre dann leicht in die Richtung des neu erworbenen Schwerpunktes, macht sich aber nur beim freihändigen Fahren bemerkbar. Bei kardanangetriebenen Motorrädern ist oft aus Platzgründen konstruktiv sogar ein gewisser Radaufstandspunktversatz vorhanden und konstruktiv notwendig, das beste Beispiel hierfür ist die alte V-Max. Durch die Verwendung einer anderen Schwinge mit einer Kardanumlenkung kann Abhilfe geschafft bzw. der Fehler minimiert werden.
Wenn das Hinterrad auf die schiefe Bahn gerät
Der Spurversatz ist Laufrichtung des Hinterrades bezogen auf die des Vorderrades, gemessen an der Mittelachse des Vorderrades. Bei einem Spurversatz läuft das Hinterrad schräg zur Fahrtrichtung. Dieser Effekt tritt durch einen harmlos erscheinenden Effekt auf. Bei ketten- oder zahnriemenbetriebenen Bikes finden meistenteils Zweiarmschwingen Verwendung. In ihnen ist das Hinterrad innerhalb eines definierten Bereiches über eine beidseitige Spannvorrichtung verstellbar. Hierdurch wird auch die Mittelebene des Hinterrades eingestellt. Wie heutzutage überall üblich, gibt es auch hier leider Fertigungstoleranzen, somit können die Markierungen an den beiden Kettenspannvorrichtungen ungleich positioniert sein.

Selbst bei absolut exakter Einstellung orientiert an den ungleichen Markierungen, führt das unwiderruflich zu einem Spurversatz. Eine minimale Falscheinstellung an den Spannvorrichtungen am Hinterrad führt zu einer wesentlich größeren Differenz am Vorderrad. So kann eine falsche Einstellung von 3 mm einen Spurversatz von über 20 mm erzeugen (In unserem Beispiel sind es sogar zeichnerisch ermittelte 28 mm). Die Größenordnung ist auch abhängig vom Radstand. Je länger dieser ausfällt, desto stärker wächst auch der Spurversatz an. Deshalb fallen z. B. beim selben Fehlerwert die Auswirkung bei einer Buell mit 1320 mm nicht so stark aus wie bei einer V-Rod mit 1710 mm Radstand.
Das Fahrwerk im Schräglauf
Im unteren Bereich korrigiert der Fahrer diesen Schräglauf ständig unbewusst über die Lenkung. Bei Geradstellung der Gabel geht’s ansonsten automatisch in eine Kurve. Durch das Nachregulieren ergibt sich quasi wieder ein Radaufstandspunktversatz mit dem Unterschied, dass die Gabel leicht eingeschlagen ist und das Vorderrad schräg steht. Ein Spurversatz im oberen Bereich bewirkt bei höheren Geschwindigkeiten ein Aufschaukeln bzw. Pendeln des Motorrads. Auch das Links-/Rechtseinlenkverhalten präsentiert sich nicht neutral, weil durch die Schrägstellung des Hinterrades bereits das falsche Einlenkverhalten vorgegeben wird. So macht es Sinn, den Abstand von Mitte der Schwingenachse bis zur Skalierung auf beiden Seiten abzumessen.

Die absolut genaue Prüfung der Fehlstellung bleibt wegen der notwendigen Geräte den Händlern vorbehalten. Sie können den Spurversatz unter Berücksichtigung der Radaufstandspunkte durch das Einrichten der Radebenen korrigieren und den Geradeauslauf des Motorrads wieder herstellen. Alle, die vor der großen Umbauphase stehen, sind jetzt gewarnt. Alle, die schon ins kalte Wasser gefallen sind, sollten nun bereit sein, die Fahrwerksunruhen unter Kontrolle zu bekommen. Moppeds in Leitplanken sehen wir nämlich gar nicht gerne.



Lothar Steinmetz
Lothar Steinmetz ist bereits seit dem Jahr 2000 als freier Mitarbeiter für die CUSTOMBIKE tätig und kümmert sich vorrangig um Lowbudget-Umbauten. Darüber hinaus analysiert er Gesetzestexte und macht Technik für den Leser verständlich. Seit 1993 besitzt er eine gelbe Trude, die neben den anderen Mopeds der Familie immer wieder für Detailaufnahmen oder Reparaturanleitungen herhalten muss.