Gestern haben wir euch an dieser Stelle zwei BMWs der Titan Motorcycle Company vorgestellt. Heute haben wir Michael Siebenhofer und Thanh Ho Ngo, die beiden Köpfe hinter der Grazer Motorradschmiede, im Interview.

Wie seid ihr zum Customizing gekommen und wann hat euer Motorradleben angefangen?
Michael Siebenhofer: Ich hatte schon immer einen Hang zu motorisierten Fortbewegungsmitteln. Was lag da näher als Fahrzeugtechnik zu studieren? In meiner Freizeit beschäftigte ich mich hauptsächlich mit Autos und Motorrädern. Erstere waren zumeist die »Käfer«. Nach dem erfolgreichen Abschluss als diplomierter Fahrzeug-Ingenieur wechselte ich in die freie Wirtschaft. Zuerst zu Sebring Remus, wo ich im Prototypbau beschäftigt war. Nach diesem Engagement ging es einen Schritt weiter in der Weltliga – zu Mopar. Nach einiger Überlegung folgte ich dann doch meiner Leidenschaft für Autos und Motorräder, hängte den gut dotierten Job bei Mopar an den Nagel und tauschte Anzug und Krawatte gegen Jeans und T-Shirt. Mit einem Teil der Abfindung als Gründungskapital kam der Sprung in die Selbstständigkeit. Mein Ziel war klar: eine Firma aufbauen, die sich mit Motorrädern beschäftigt. Klassische Motorräder, deren Umbau, Restaurierung, Customizing, Service und Reparatur – das lag nun im Fokus. Titan ist eine Manufaktur, in der jedes Serienkrad seine Metamorphose zum Custombike erleben kann – egal ob Cafe Racer, Scrambler, Tracker, Chopper oder im Brat-Style. Wobei die Chopper seit der Gründung des Unternehmens eher weniger gebaut wurden. Im Mittelpunkt unseres Wirkens stehen mehr die Bobber.

Titan Motorcycle baut eher Bobber als Chopper

Thanh Ho Ngo: Angefangen hat mein Motorradleben mit einer roten M 50, die herumstand, sehr selten von meinem Onkel bewegt wurde und für mich als kleiner Junge selbstverständlich DAS Motorrad war, ohne zu wissen, was da überhaupt vor mir steht oder was das Ding kann. Den Führerschein habe ich ziemlich schnell gemacht. Aufgewachsen bin ich in der Streetfighter-Zeit. Früher hui, heute pfui. Außerdem bin ich ein Honda-Fan – das war auch mein erstes Motorrad. Nach langer Motorradpause wegen meines Architekturstudiums und der Kinder, traf ich dann Michael. Die »Titan Dragon CB250« war gleichzeitig mein erstes Custombike-Design und damit sozusagen mein Einstieg. 

»Wir beobachten in letzter Zeit den Trend zu Bobbern, eher weg vom Scrambler« – Michael Siebenhofer

Seit wann baut ihr professionell Motorräder um?
Ho: Speichenwerk Cylces beziehungsweise die Titan Motorcycle Co. gibt es seit 2015, gegründet von Michael, den alle nur »Michl« nennen. Ab 2017 war ich zuerst als Gast Mitwirkender bei verschiedenen Projekten, bin Inzwischen aber seit 2019 offiziell dabei. Da ich ebenfalls Motorrädern sehr zugetan bin, war ich einfach neugierig, was dort in dem Grazer Vorort für spannende Mopeds entstanden. Michl und ich waren uns sympathisch und so beschlossen wir nach eingehenden Gesprächen, das Unternehmen Titan Motorcycles gemeinsam zu führen. Mein »Mitbringsel« in diese Gemeinschaft sind Architektur und Design. 

»Das technische Genie ist mit Sicherheit der Michl«

Wie groß ist euer Team und wie habt ihr die Aufgaben verteilt?
Ho: Jeder ist auf seine Art Künstler. Michl auf dem Gebiet der Konstruktion und der Herstellung metallischer Objekte, ich mehr mit dem Zeichenstift. Michl sieht das Motorrad vor seinem geistigen Auge, baut es ohne großartige Skizzen von null auf, während ich doch den klassischen Weg bevorzuge und Designs skizziere. Zusammengfasst: Michl – Lead Build und Design, Konstruktion und Technik. Ho – Marketing und Design. Das technische Genie ist mit Sicherheit der Michl. Wenn einer etwas zum Laufen bekommt, dann der »Siebenhofer«. Du kannst als Designer noch so viel Fantasie stricken – das habe ich in der Architektur nur zu oft gesehen – ohne jemanden, mit dem notwendigen Know-how und dem Verständnis der Umsetzung kannst du jedes (un-)praktikable Design vergessen. Wir sind zu zweit, haben jedoch ein sehr gutes Netzwerk an Zuarbeitern, da man heutzutage nicht alles allein schaffen kann. Und viele von denen sind inzwischen schon zu Freunden geworden.

Thanh Ho Ngo hat Architektur studiert und kümmert sich bei Titan um Marketing und Design

Auf was bezieht sich euer Firmenname und wie seid ihr darauf gekommen?
Michl: Eine Grazer Werbeagentur, die bei der Suche nach einem griffigen Firmennamen mitgeholfen hat, war daran nicht ganz unbeteiligt. Sehr harter Stahl wird auch als Titan bezeichnet, zudem war der Titan ein Zugehöriger des ältesten Göttergeschlechts in der griechischen Mythologie. Titan steht also auch als Synonym für Unvergänglichkeit, Härte und für Maskulines. Alles Merkmale, die für die Besonderheit des neuen Unternehmens stehen. Zudem hat der Name, aus metallurgischer Sicht betrachtet, recht positive Eigenschaften.

Ho: Zur Erinnerung: In Graz gab es schon einmal eine Motorradfabrik, die Titan hieß. Von 1927 bis etwa 1933 (in der Literatur findet man die unterschiedlichsten Jahreszahlen) wurden im Ortsteil Puntigam Motorräder gebaut. Das herausragendste davon war die Austro-Motorette mit einem Zwei-Zylinder-Zweitakt-Motor mit 144 Kubikzentimetern Hubraum, die von dem Ingenieur Karl Schüber konstruiert wurde.

Titan hat recht positive Eigenschaften

Gibt es eine bevorzugte Marke oder seid ihr generell für alles offen?
Michl: Wir sind prinzipiell für alles offen. Auch für einen Vespa-Service. Aber die Affinität zu BMW kann ich nicht leugnen. Umbauten von BMW, hier bevorzugt die Boxer-Modelle, werden am häufigsten nachgefragt und auch bestellt. Wir machen uns aber durchaus Gedanken zu alternativen Antrieben, die in unseren Custombikes bald zum Einsatz kommen könnten, Stichwort Elektro.

Ho: BMW hat schon seine Vorzüge. Vielleicht liegt es am Namen, aber ich bin durchaus Honda-Fan.

Michael Siebenhofer ist Künstler auf dem Gebiet der Konstruktion und der Herstellung metallischer Objekte

Wie setzt ihr die Ideen eurer Kunden um und bezieht ihr den Kunden im Entstehungsprozess mit ein?
Ho: Oft kommt ein Kunde mit ganz konkreten Vorstellungen zu uns, es kann aber auch passieren, dass ein Kunde gar nicht weiß, wie das Krad nach dem Umbau aussehen soll. Da ist dann Fingerspitzengefühl gefragt. Nach den ersten Skizzen auf Papier werden am Computer die genauen Entwurfsarbeiten durchgeführt und die ausgedruckten Pläne dem Kunden präsentiert.

Mit »The Arkitekt« ist ein klassischer Bobber samt der Newschool-Girdergabel von Custom Corner entstanden. Welche Idee steckt hinter diesem Bobber?
Ho: Ähnlich wie bei der Titan »Two« war es nach der »Bavarian Bobber« wieder Zeit für ein BMW-Bobber-Highlight. Wie der Name »The Arkitekt« schon verrät, ist die Affinität zur Architektur das Leitmotiv gewesen. Ein Motorrad als Hommage an die Bauhaus-Architektur. Titan ist eine Manufaktur für Einzelstücke und wir versuchen auch immer Altes mit Neuem »richtig« zu kombinieren, also moderne Technik und bewährte Tradition stilvoll zu vereinen.

»Wir wollten zeigen, welch kreative Vielfalt im Customizing steckt«

Das zweite Bike, die Titan »Two« hat eine außergewöhnliche Formensprache. Wie kam es dazu?
Michl: Nach der Titan »One« hatte ich die Idee eines »Stealth Bombers« für die Straße, auch als Hommage an die BMW-Historie – ein Flieger für die Straße. Weiterhin wollten wir mit der »Two« und »The Arkitekt« zeigen, in welche unterschiedlichen Richtungen die Reise gehen kann und welch kreative Vielfalt im Customizing steckt.

Wie gut lässt sich Titan als Werkstoff verarbeiten und was muss beachtet werden?
Michl: Titan ist gekennzeichnet von hervorragenden Eigenschaften (haha). Etwa das Festigkeits-Dichte-Verhältnis, die Leichtigkeit und die gute Korrosionsbeständigkeit. Beim Schweißen muss das Verhalten bei höheren Temperaturen unbedingt berücksichtigt werden. Man bemerkt schnell die Gasaufnahme aus der Atmosphäre oder durch Verunreinigungen und somit Verschlechterungen bis hin zur völligen Unbrauchbarkeit, wenn man Nähte zieht. Die verwendeten Schutzgase Argon oder Helium müssen einen hohen Reinheitsgrad aufweisen.

Thanh Ho Ngo geht Projekte gerne mit dem Bleistift an, zeichnet und entwirft, bevor es an die Umsetzung geht

Ho: Titan ist sehr zäh und ein »schwierigerer« Kandidat, wenn es ums Fräsen oder Schleifen geht und klebt gerne mal durch die Reibungshitze. Langsam schleifen ist die beste Methode. Am besten von Hand.

Waren beide Bikes Kundenaufträge oder habt ihr einfach eurer Kreativität freien Lauf gelassen?
Michl: Beide Motorräder wurden primär für die Monaco Yacht Show gebaut. Bei der Titan »Two« haben wir uns sicherlich »mehr« herausgenommen, wobei diese auch TÜV-tauglich und typisierbar für die Straße ist. Bei »The Arkitekt« wurde schnell ein Fan und letzten Endes damit auch ein Käufer gefunden: ein Motorradfahrer, Titan-Fan und Architekt aus Frankfurt.

Titan Motorcycle ist eine Nische in der Nische

Welche Trends beobachtet ihr in der Szene und spielen diese für euch eine Rolle?
Michi: Bezüglich unserer Motorräder oder Custombikes beobachten wir in letzter Zeit den Trend zu Bobbern oder Bobber-Sitzen, eher weg vom Scrambler. Waren vor einiger Zeit noch Zweisitzer oder »Eineinhalb-Sitzer« zum Mitnehmen geplant oder gewünscht, so kommen jetzt die einsitzigen Bobber. Im Bezug auf die Szene muss man leider sagen, dass sich einige – auch Größen – verabschiedet haben. Motorräder sind eine Nische in der Fahrzeugbranche, und wir sind eine Nische in der Nische. Da muss man sicherlich noch strikter abstecken, was man selbst möchte, was man wie anbietet und selbstverständlich zu welchem Preis, nicht nur in finanzieller Hinsicht.

Michael »Michl« Siebenhofer, Gründer und technischer Mastermind von Titan. Studierte Fahrzeugtechnik und baut am liebsten frei aus dem Kopf heraus Motorräder auf

Das Leben von Customizern ist nicht immer der Traum, den sich viele vorstellen. Wie sieht euer Alltag aus?
Ho: Werkstatt-Ankunft, erstmal ein guter, Kaffee, abklären, was als Nächstes dran ist und/oder sich erinnern, woran man gestern gearbeitet hat. Man kann den Alltag nicht verallgemeinern, aber primär geht es darum, kontinuierlich an den Projekten zu arbeiten. Hinzu kommen Unterbrechungen wie Kundenverkehr und Service, die aber auch eine Abwechslung darstellen, wenn auch nicht immer eine erfreuliche. Weiter vergessen manche, die unsere Hallen mit Staunen betreten, dass wir auch ein Unternehmen sind, das sich mit den alltägllichen Dingen befassen muss, die zu einer gesunden Unternehmensführung und -kultur gehören wie beispielsweise Kundenakquise, Buchhaltung, Organisation usw. Aber auch Marketing, wie etwa die Social-Media-Kanäle, die am Leben erhalten werden wollen. Für uns als Non-Teenager neben der Arbeit in der Firma eher eine Qual als Bespaßung. Das ist wie beim Kochen. Einmaliges Kochen für Gäste oder die Familie ist ein Spaß – ob man das dann gleich zum Beruf macht oder machen muss? Wir schrauben ja nicht hier und da ein bisschen und fahren dann den ganzen Tag Motorrad. Hin und wieder steht man vor technischen, organisatorischen oder gar finanziellen Herausforderungen. Der berühmte Spaß am Tun bleibt zwischendurch auch schon mal auf der Strecke.

»Zeiteinteilung und Selbstorganisation sind ein Muss«

Selbstständigkeit ist kein 9-to-5-Job, lange Tage sind eher die Regel. Wie geht ihr damit um?
Michi: Das kann man so oder so sehen, bei uns eher 8/9 to 6. Dafür kann man sich aber die Zeit freier einteilen und ist nicht an irgendwen oder irgendwas gebunden, wenn man Termine wahrnehmen muss oder so wie wir als Familienväter, auch mal zu Hause bleiben muss. Kein Vorteil ohne Nachteil. Wer sich darauf einlässt, weiß schon, was auf einen zukommt, wenn man nicht blauäugig ist. Die Freiheiten, die man als Selbstständiger hat, bergen eben auch das Risiko, morgen oder übermorgen keinen Auftrag reinzubekommen. Zeiteinteilung und Selbstorganisation sind ein Muss. Was ist wichtig, was kann ich tagsüber in der Werkstatt erledigen und was kann ich zu Hause noch machen. Klar nimmt man die Arbeit immer mit nach Hause, die ist immer im Kopf. Dennoch muss man lernen, auch loszulassen, um abschalten zu können. Unterm Strich sollte man aber wissen, wofür man sich entscheidet und was einem die Selbstbestimmtheit wert ist.

»Aufgewachsen bin ich in der Streetfighter-Zeit. Früher hui, heute pfui. Außerdem bin ich ein Honda-Fan« – Thanh Ho Ngo

Wie viele Bikes baut ihr im Laufe eines Jahres auf?
Michl: Acht bis zehn Projekte pro Jahr können es schon sein.

Ho: Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, da wir nebst Projektbikes eigentlich auch viele kleinere bis mittlere Projekte/Projekt-umbauten machen. Die reichen vom Heck-Umbau über Lenker-Umbau bis hin zum Satteldesign und vieles mehr. Da laufen viele Projekte meist parallel.

Titan Motorcycle macht sich auch Gedanken über Elektroantriebe

Was dürfen wir in Zukunft von euch erwarten?
Michl: Selbstverständlich macht man sich Gedanken um die Zukunft und wohin die Reise geht. Elektroantriebe oder E-Mobilität ist bestimmt ein Thema. 

Ho: Ideen gibt es sicherlich genug. Jedoch unterscheidet man zwischen umsetzbarer Idee oder Pausenhof-Spinnerei. Wir sind gekommen, um zu bleiben.

Info |  titan-motorcycles.com

 

 

 

Christian Heim