Eine Favela, mitten in einer deutschen Großstadt. Heimat von verrückten Menschen und Grenzgängern – und Heimat des Amadeüs Speed Shop.

Micha und Gert hatten schon vorher eine gemeinsame Werkstatt, in der Kölner Mozartstraße, unter einem normalen Wohnhaus. Die beiden hatten sich übers Motorradfahren kennengelernt und sich schnell zusammengetan. Unter dem Wohnhaus zu schrauben war hart, laut sein ein Problem. Gert erinnert sich, wie er einmal das Bike anschmiss und mit einem kalten Eimer Wasser aus einem der Stockwerke über der Werkstatt übergossen wurde, »wir waren wirklich manchmal schon sehr laut, irgendwie konnte ich ja verstehen, dass die Leute genervt waren«, blickt er zurück.

Amadeüs Speed Shop als gemeinsames Projekt

Irgendwann steht Basi mit seiner Yamaha SR vor der Tür, er hat Pläne für sein Bike und gehört, dass die Jungs helfen können. Der Vierte im Bunde wird Maze, Kölner Tätowierer und anerkannter Szenekünstler. Micha und Gert lagen schon unter seiner Nadel, Maze bemalte aber eben auch Motorräder, man kannte sich. Der Amadeüs Speed Shop wurde als gemeinsames Projekt ins Leben gerufen, der Name ist der Verweis auf die damalige Adresse in der Mozartstraße. Zu viert spinnt es sich noch leichter rum, zusammen werden die verrücktesten Pläne geschmiedet, das reicht bis zum Mozartchopper, »den wir irgendwann noch bauen wollen«, erklären die Jungs, »vielleicht wirds auch ein Trike.« 

Die Wohlfühl-Crew vom Amadeüs Speed Shop (v. l. n. r.): Maze samt Stammhalter, Gert alias »The Real Ameisenmann«, der ausgedruckte Micha und Basi, dessen Lowbudget-Yamaha wir schon in CUSTOMBIKE vorgestellt haben

Doch der beengte Platz, die nervenden Nachbarn, das alles behindert Kreativität. Die Suche nach einer neuen Heimat beginnt. Und dann kommt der Tipp mit der Favela auf diesem städtischen Mikrokosmos, zu dem uns unser Navi geführt hatte. Ein Kickerclub war hier ansässig, hatte eine neue Heimat gefunden, bot das Objekt an. Es war eine Ruine, eine Bruchbude mit einem Dach, das keines war. Durch die faulen Pappen regnete es rein, vernünftige Stromleitungen gab es nicht.

»Scheißegal, wir ziehen das jetzt durch, her mit dem Mietvertrag«

Es war keine leichte Entscheidung, die die Freunde zu treffen hatten. »Uns war klar, dass das jede Menge Arbeit und einiges an Geld kosten würde, bis wir es nutzen könnten. Wir wussten nicht, ob wir das stemmen würden«, erzählt Basi. Und dann irgendwann war der Tenor gleich, »Scheißegal, wir ziehen das jetzt durch, her mit dem Mietvertrag.« Die Freunde der Jungs glaubten nicht an sie, trauten ihnen nicht zu, aus der Favela was zu machen. Aber die vier griffen an, verlegten Stromleitungen und kümmerten sich vor allem um das marode Dach.

Yamaha SR, BMW-Boxer, die Harley in der Ecke – es wird an vielen unterschiedlichen Karren geschraubt …

Zwei Wochen nahmen sie sich frei, um Folie aufs Dach zu packen, es regendicht zu bekommen und mit einer Holzkonstruktion abzudecken. An einem Tag halfen zwei Jungs, die Maze an Mangel aus eigener Zeit vorbeigeschickt hatte. »Sie waren finster, machten Angst, aber sie halfen uns«, erinnert sich Gert. Als die erste Silvesterparty in der Favela stieg, war nicht nur das Dach dicht, sondern auch eigenhändig ein Ofen gebaut, um die Hütte im Winter zu beheizen. »Es war eine unvergessliche Party, die damit endete, dass wir sämtliche übrigen Böller in den Ofen steckten«, grinst Basi.

»Wir können schweißen, flexen, Krach machen, egal wann«

Und heute? Hunderprozentige Qualitätssteigerung, nennt es Gert im Gegensatz zu den Zeiten in der Mozartstraße. »Wir können schweißen, flexen, Krach machen, egal wann«, erzählt er. Auf kleinem Raum werden Bikes geschraubt: Michas SR 500, Basi fährt ebenfalls SR, Gert hat verschiedene Bikeprojekte am Start, eine BSA steht in einer Ecke, in der anderen eine Harley XR. Freunden wird ebenfalls geholfen, wenn sie Probleme an ihren Karren haben. Eine Yamaha XS ist gerade in der Mache, als wir vorbeischauen. Und auch Künstler Maze hat hier seinen eigenen Arbeitsplatz, bemalt Helme, pinselt Tanks, was gerade so anfällt. »Alles so ein bisschen frankensteinmäßig«, nennt Basi es, »ein wachsendes System, das am Ende irgendwie funktioniert«. 

Der Arbeitsplatz eines Kreativen: Matthias »Maze« Wagner zählt zu den bekanntesten Künstler der Customkultur in Deutschland. Viele seiner Tanks, Helme und Bilder entstehen an einem Holztisch in der Kölner Favela

Und klar werden in der Favela auch legendäre Partys gefeiert und unglaublich viel über Motorräder gequatscht und philosophiert. Ständig kommen Leute rum, genießen den Treffpunkt für Custom- und Kradkultur. Die Favela ist einfach einer der guten Orte. »Aber eigentlich«, sagt Basi, »ist das Ganze hier eine Geschichte über Freundschaft. Denn die ist am Ende alles, um was es geht.«

Info | facebook.com/todesmozart

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.