Es gibt Leute, für die sind Chopper eine Modeerscheinung, die sie bald mit etwas Neuem, noch Trendigerem ersetzen werden. Unbeugsam und ehrlich findet sich dazwischen ein Mann, der Chopper lebt und atmet. Dies ist die Geschichte von Mölle.

Mitte der neunziger Jahre sind wir in Luxemburg auf einem Wiesengelände. Um uns herum hunderte Zelte, gnadenlos umgebaute Motorräder und deren Fahrer. Wir sind auf einem Treffen des »National Chopper Club«. Eigentlich ist das eine britische Vereinigung, doch mittlerweile mit Ablegern in anderen europäischen Ländern. Durch die Masse der Custombikes streunend, verlieben wir uns spontan in einen radikalen Shovelhead-Langgabelchopper. Der ist zwar absolut im Schwedenstil gehalten, doch das Kennzeichen zeigt uns: der Besitzer ist ein Deutscher. Als wir nach diesem fragen, wird uns vom luxemburgischen Clubpräsident Markus von Möllendorf, Member des »Chopper Club Germany«, vorgestellt.

Die tiefverwurzelte Liebe zu seinen Choppern bleibt

Markus erweist sich als echtes Ruhrpottkind, lebt in Witte, »das liegt zwischen Bochum und Dortmund«. Natürlich wird sein Bike für unser Magazin, das damals noch als »BIKERS live!« bekannt ist, fotografiert. Auch danach bleiben wir mit ihm und den deutschen Ablegern des Chopper Clubs in Kontakt, bekommen mit, dass er in der westfälischen Fraktion des Clubs zum Präsidenten aufsteigt und trotzdem irgendwann komplett aus der Vereinigung ausscheidet. Nur die tiefverwurzelte Liebe zu seinen Choppern, während langer Jahre gewachsen und gepflegt, bleibt. Von Möllendorfs Zweiradkarriere geht zurück in die frühen Achtziger, wo er, wie viele seiner Freunde, auf einem Mokick startet. Geschraubt und frisiert wird in einer Garage ohne Licht und Strom. Er lernt mit dem Nötigsten auszukommen und trotzdem effektiv zu arbeiten. 

Wehrdienst: Die Bundeswehr setzt den Motorradenthusiasten als Kradmelder in Niedersachsen ein. Er selbst strebt nach anderem

Beruflich wird er zum normalen Maler und Lackierer ausgebildet, bald beherrscht »Mölle« auch den Umgang mit der Lackpistole. Ein Umstand, der ihn schnell auch zum begehrten Freund in der Motorradszene werden lässt. Natürlich macht auch er den Motorradführerschein und ist begeistert von der erweiterten Welt, die sich ihm rasant eröffnet. Selbst sein Wehrdienst als Kradmelder in Braunschweig kann ihm den Spaß am Motorrad nicht verleiden. Mitte der achtziger Jahre bis in die frühen Neunziger teilt sich Mölle eine Halle mit Leuten, die an alten Amis schrauben. Er fährt in dieser Zeit selbst einen Chevrolet-Caprice-Kombi, mag aber nur an Krädern schrauben. »Autos sind und bleiben für mich eher nur Fortbewegungsmittel … Punkt.« 

Mölle grinst, wenn Fußgänger die Straßenseite wechseln

Markus will lieber Motorrad und vor allem Chopper fahren, sich schnell mal mit Kumpeln treffen, durch die Stadt blasen und »grinsen, wenn Fußgänger die Straßenseite wechseln«, sobald die Meute irgendwo anhält. Chopper sind halt für die allermeisten Leute noch Wahrzeichen einer nicht erwünschten, Gewalt verherrlichenden Subkultur. Äußerlich zeigt sich Mölle in diesen Jahren entsprechend mit Lederjacke, Jeans und Stiefeln als böser Bube. Und er verzieht heute schmunzelnd die Miene, wenn er an die Zeit zurückdenkt: »Nicht daran zu denken, dass sowas einmal zu den Must-have-Brands führt, ohne die die aktuelle Hipsterbewegung nicht existieren kann.

Zweigleisig: Die Honda 750 Four entsteht mit vielen AME Chopperteilen. Die Sportster kommt mit starrem Heck, langer Gabel und gerecktem Lenkkopf

Aber Tattoostudios musstest du noch suchen, denn mit tätowierten Unterarmen zeigtest du eine zumindest bewegte Vergangenheit«, Mölle betont, dass dies alles in langen Jahren auf dem Mist der MC-Szene wuchs. Und er weist mit ironischem Unterton auf die heutige junge Szene hin, die sich oft aus der Surfer- und Skater-Kultur rekrutiert und trotzdem die alten Biker und deren Kisten zum Vorbild nimmt. Er staunt, wie sich alles irgendwie ändert und freut sich, wenn es sich auch zum Besseren wandelt: »Ist man heute mit seinem Ofen unterwegs, winken einem die Leute oft zu oder man wird an der Tanke auf das Bike freundlich angesprochen.«

Aus Markus von Möllendorf wird Choppermölle

In den frühen neunziger Jahren hingegen ist noch alles anders. Da verkauft Mölle alle seine japanischen Motorräder und Teile und fliegt mit Kumpeln zur Daytona Bike Week. Auf einem der Teilemärkte ersteht er eine Harley. Die FL Shovelhead wird zu Hause in Deutschland erst einmal von allem unnötigen Ballast befreit. Heute würden wir sagen, sie wird zum Bobber, doch dieses Wort ist damals noch nicht gebräuchlich. Für Mölle ist dieser erste Umbau tatsächlich nur eine Vorstufe, das ersehnte Ideal bleibt für ihn ein langer Schwedenchopper. Im nahen Iserlohn findet er Hardliner, die Mittel und Wege kennen, den Schwedenstil zu verwirklichen, und die es auch schaffen, solche Umbauten für die Straße zuzulassen.

Die FL Shovelhead kauft er in den USA. Zu Hause in Deutschland wird sie erst einmal von allem unnötigen Ballast befreit. Heute würden wir sagen, sie wird zum Bobber, doch dieses Wort ist damals noch nicht gebräuchlich

Markus wird zu »Choppermölle«, indem er seine Harley im radikalsten Schwedenstil aufbaut: Autoreifen am Hinterrad inklusive. Mit diesem Bike gelingt es ihm dann, die Aufmerksamkeit des National Chopper Club zu bekommen. Er und seine Freunde werden auf einen Run eingeladen und sie bewältigen somit die erste Hürde für ihre Mitgliedschaft, in der für sie so erstrebenswerten Verbindung. Wir sind längst mit anderen deutschen Mitgliedern bekannt, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir auf Choppermölle und seine Shovel stoßen. Die englischen Clubbrüder sind übrigens längst nicht so harleyaffin wie die luxemburgischen, belgischen und deutschen. 

Mölle baut Chopper auf Intruder-Basis

Gerade die Briten halten japanische Motoren für tauglicher, um die langen Strecken relativ pannenfrei zu meistern. Irgendwie kommt auch Choppermölle auf den Trichter: Entweder braucht er eine zuverlässige Evo oder was mit fernöstlicher Technik. Suzukis Intruder wird zu seinem gern benutzten Umbauobjekt. Die Truden sind ehrlich, verlässlich und somit immer startklar für den nächsten Run. Zudem bildet sich gerade in Deutschland eine ganz spezifische Intruderszene, mit eigens entwickeltem und sogar TÜV-geprüftem Zubehör.

Four-Stellung: Die langgabelige Honda meistert erste Shows, bevor sie durch Feintuning straßentauglich wird

Gute zehn Jahre ist Mölle mit dem Chopperclub unterwegs. In ganz Europa und »an manchen Wochenenden über 1000 Kilometer, um mit Clubbrüdern zu feiern«, aber auch um für den Club die Chopper auf internationalen Messen und lokalen Bikeshows zu zeigen. Die eigene Familie zu Hause muss dabei ganz klein geschrieben werden. 2004 ist damit zwar Schluss, aber weiter geht es trotzdem. In Hessen bildet Mölle 2007 mit einigen ehemaligen Clubkumpeln eine neue Gruppierung, die das Ganze aber insgesamt etwas ruhiger angehen lässt. Einige Schwaben sind mit dabei. Und – wen wundert’s – diese »Custom Cycle Crew« genannten Renegaten bekommen knapp ein Jahr später einen Ableger in Wickede an der Ruhr.

Mölle und die Custom Cycle Crew

Er lebe jetzt dort, teilt uns Choppermölle mit, als wir ihn seinerzeit auf einer Bikeshow treffen. »Wobei, Wickede liegt nicht im Ruhrgebiet, sondern am Rande des Sauerlandes“, betont er, um uns noch auf die Namensgleichheit seiner neuen Heimat mit einer Stadt bei Dortmund hinzuweisen: »… damit ihr nicht die falsche Richtung nehmt, falls ihr mal zu mir kommt.« Jetzt, wo er bei der Custom Cycle Crew seinen Fokus nicht mehr absolut auf Kilometer herunterreißen legen muss, kann sich Markus noch intensiver seinen Choppern widmen.

Schrauberhöhle: Zusammen mit Kumpeln von der Custom-Cycle-Crew lässt sich eine Halle im Industriegebiet von Wickede-Ruhr anmieten, wo die Freunde gemeinsam planen, bauen, schrauben und feiern

Und er lernt nun auch viel über die geschichtliche Entwicklung der amerikanischen Chopper, erfährt wer Ed »Big Daddy« Roth war, staunt, was Dick Allen für die Szene entwickelte und wie sich der Lackierer und Pinstriper Kenneth Howard einst einen Namen als »Von Dutch« machte. Seine neuen Umbauten orientieren sich nun mehr an alten Vorbildern. Doch nicht explizit an dem rattigen Trend, den viele als Oldschool bezeichnen. Er verwirklicht lieber seinen eigenen Stil, mit gealtertem Messing, verfärbtem Edelstahl und sichtbaren Verschraubungen. Nur um gleich darauf die nächste Maschine anzugehen, die wiederum alle Raffinesse widerspiegelt, die unsere Chopperwelt in siebzig Jahren hervorbrachte. 

Mölle schwört jetzt mehr auf den Zweizylindermotor der Kawasaki W 650

Es gibt Zeitgenossen, die Markus wegen seiner frühen Idole jetzt sogar »von Mölle« nennen. Er selbst sieht sich weiterhin als »Choppermölle«, geht immer noch auf Ausstellungen und  Messen – zeigt auf seinen Fahrten durch die Republik, dass seine Showbikes allerdings durchaus auch Kilometer machen können. Harleys sind nicht aus dem Blick, doch wie auch sein Kumpel »Frisco Vosen« schwört er jetzt mehr auf den Zweizylindermotor der Kawasaki W 650. Trotzdem ist sein bislang letzter Chopper mit dem Motor einer alten Honda CB 750 Four aufgebaut: optisch anziehend und trotzdem ganz ohne aufdringliche Gimmicks verwirklicht.

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Beste Voraussetzungen zum Schrauben bietet ihm seit Jahren eine Halle, wo er sich mit seinen Schrauber- und Fahrfreunden einrichtete und in der jeder seine eigene Parzelle hat. »Unsere Halle ist etwas mehr als die übliche Garage«, erklärt uns Markus sein zweites Zuhause. Und tatsächlich ist alles da: Starkstrom, Schweißgeräte, Standbohrmaschine, Drehbank, Tischfußball, Kühlschrank, Mikrowelle, Tresen, Kaffeemaschine, Toiletten – »alles, was du halt so brauchst« Hier wird gewohnt, geschraubt und gefeiert! »Zweimal im Jahr laden wir gute Freunde zur Party ein«, die kommen dann auch nicht nur aus der Region. Leute, mit denen er sich auch mal während der Saison auf Veranstaltungen wie dem »Custom & Classic«-Fest, der Sideshow oder der Kustom Kulture trifft, oder mit denen er auch den jährlichen »Bamberg Run« fährt. 

Ein Herz für Fahrmaschinen

Als gelernter Maler und Lackierer greift Markus seinen Kumpeln auch bei der farblichen Gestaltung ihrer Bikes unter die Arme. Und sein Faible für Airbrush-Arbeiten ist ihm nun auch im Berufsleben immer wieder nützlich. Hobbymäßig übt er sich schon seit mehr als dreißig Jahren. Einige Tanks von früheren Projekten zeugen in seiner Werkstattparzelle davon. Immer wieder stehen da auch mal Bikes, die er früher baute und fuhr, wie die legendäre AME-Intruder, mit Sissybar, Z-Lenker und Safarilack. Für seinen Honda-550-Four Digger – den ihr auch im Buch »Save the Choppers!« findet –, sucht er gerade einen neuen Besitzer.

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Einen, der das Bike entsprechend zu schätzen weiß. Choppermölles Triumph mit Kawamotor ist vorrangig als Fahrmaschine ausgelegt. Sie bedient seine eigene Interpretation des Steampunks. Seit Jahren ist er mit ihr – zur Urlaubszeit – auch in den Schluchten des Südschwarzwaldes zu Hause. Die langgabelige Honda Four durfte nach ihrer Fertigstellung erste Bikeshows meistern. Ein erfolgtes Feintuning auf dem Rollenprüfstand stellt sicher, dass alle Motorkomponenten sauber miteinander harmonieren. Das ist für Choppermölle extrem wichtig. Denn was für andere wie ein reines Showbike rüberkommt, darf seine nächste Fahrmaschine sein, mit der er unterwegs sein wird, um für die Chopperkultur zu werben. Wir sehen uns auf der Straße.

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.