Dr. Heinrich Christmann, langjähriger Chefredakteur unseres Schwestermagazines DREAM-MACHINES, hat schon viel erlebt und gesehen. Er kann dir die Welt erklären, dass dir die Ohren schlackern. Und dann, für einen Moment, erleben wir ihn sprachlos.

Es ist Segen und Fluch zugleich, wenn man einen Beruf ausübt, der einem annähernd ganzjährig die geilsten Motorräder der Welt als Testobjekte zuspielt. Warum das ein Segen ist, muss ich keinem erklären, der auch nur einen Tropfen Benzin im Blut hat. Das mit dem Fluch aber ist durchaus erklärungsbedürftig. Tatsache ist: Ich bin über die letzten fünf Jahrzehnte ziemlich abgestumpft, was meine spontane Begeisterungsfähigkeit im Hinblick auf einzelne Motorradmodelle angeht.

Motormensch Heinz gilt vielen als »grundsätzlicher Motzer«

Wer schon vieles besessen und fast alles gefahren ist, wird nicht etwa milder gestimmt gegenüber dem Gewöhnlichen, sondern skeptischer. Unter meinen Kollegen hier im Verlag gelte ich deshalb schon jahrelang hinsichtlich motorisierter Zweiräder als »grundsätzlicher Motzer«. So pauschal will ich das aber nicht stehen lassen, denn ich motze über ein Bike nur dann, wenn ich meine Kritikpunkte objektiv benennen und belegen kann. 

Dr. Heinrich Christmann, Ex-Chefredakteur DREAM-MACHINES

Aus oben genannten Gründen war es deshalb wohl eine kleine Sensation, dass mich kürzlich ein Bike komplett geflasht hat. Wie ein Lauffeuer war das tags darauf offenbar durch den Verlag gegangen: »Schon gehört!? Heinz war hellauf begeistert, regelrecht hin und weg!« Für die Kollegen kaum zu glauben. Ich habe von der stillen Post hier im Haus null mitbekommen, mich aber sehr gewundert, wie viele Leute mich noch Tage später auf die Testfahrt und meine euphorischen Kommentare ansprachen. Was war geschehen? Nun, ich hatte in der Pfalz die stärkste Harley gefahren, die mir je untergekommen ist. Das Ding hatte einen Punch, dass es mir fast die Socken ausgezogen hat.

Das Ding hat quasi ab Standgasdrehzahl 150 Newtonmeter

Auf der Autobahn hatte ich es bei Tacho-Endanschlag 220 gut sein lassen, ich hatte meinen Raumanzug für die Umlaufbahn nicht dabei. Es waren nicht so sehr die 190 PS an Leistung, die mich umhauten, denn ich bin schon eine ganze Menge viel stärkere Motorräder gefahren. Der Mindblower waren die knapp 290 Newtonmeter oder überhaupt das Drehmomentgebirge der getesteten Low Rider S von Harley-Davidson Rhein-Neckar. Das 2425-ccm-Ding hat quasi ab Standgasdrehzahl 150 Newtonmeter, bei 2200 U/min schon unfassbare 200, und drückt bei milden 3700 Touren gigantische 284 Newtonmeter aus dem Ärmel. Große Scheiße, wie geil ist das denn! Ein Gefühl wie auf einem Katapult, das gaaanz große Druck-aus-dem-Keller-Kino! 

 

Der Wahnsinn auf Rädern: Knapp 290 Newtonmeter bei 3700 U/min und 190 PS bei 5650 Touren. Low Rider S mit 148-Kubikinch-Kit von Harley-Davidson Rhein-Neckar

Und by the way: Die 190 heißblütige Pferdchen, die bei abgeregelter Höchstdrehzahl von 5650 U/min galoppieren, sind auch nicht zu verachten. So, jetzt wisst ihr’s: Ich bin in meinem gesetzten (Renten-)Alter durchaus und nach wie vor für Motorräder begeisterbar, sogar hochgradig entflammbar, es muss nur der richtige Knopf gedrückt werden. Und auf dem muss stehen: »GIGANTISCHES DREHMOMENT«. 

 

Heinrich Christmann