Kalifornien, gelobtes Land für Customtypen. Viele wollen dahin, sich Werkstätten aufbauen, mitmischen. Dabei ist die Lage schwierig und der Druck groß. Christian Buhmann betreibt seit zehn Jahren seine Motorradwerkstatt RPM Attack in Los Angeles. Die Härte des Geschäftes spürt er gerade mehr, als ihm lieb ist. 

Wir sind auf dem Weg nach Glendale, ein kleiner Teil des großen Molochs Los Angeles. Ein Deutscher soll hier seine Werkstatt haben, haben sie uns gesagt, die Motorradmenschen von L.A. Aber warum kommt einer hierher, ausgerechnet nach Südkalifornien, wo es Schrauber wie Sand am Meer gibt und viele im Motorradbusiness mitmischen wollen. »Das war eigentlich wegen des Wetters«, lacht Chris. Wir sind in seiner Werkstatt angekommen, er ist ziemlich beschäftigt.

RPM Attack – Fishtails für die Schweden

Ein Kunde holt sein Bike ab, zeigt sich zufrieden mit der neuen Performance seiner Softail. Zwei Schweden sind auch gerade da, wollen ein paar Auspuff-Endtöpfe kaufen. Fishtails sollen es sein, gebraucht und alt, wie vieles, was hier schlummert. Die Krümmer müssen allerdings noch weg, Chris erledigt es gleich. Wir lassen ihn und seine Kunden in Ruhe, zum Quatschen ist später noch Zeit. Lieber schauen wir uns um, fotografieren, bekommen ein Gefühl für die Werkstatt.

Die meisten US-Customizer schrauben in den Garagen ihrer Häuser oder kleinen angemieteten Werkstätten in den Vororten der Großstadt. Christians Halle ist da schon Luxus – einer, den sich kaum mehr ein Normalmensch leisten kann

Die Halle, in der Chris sein Geschäft betreibt, ist groß, sehr groß für amerikanische Verhältnisse. Hauptsächlich Harleys stehen hier, ganz oder in Teilen, dazu ein paar Japaner. Auf der großen Hebebühne die Karosse eines Chevrolet. Mit Fahrzeugen hat Chris hier schon gehandelt, es bietet sich an als deutscher Auswanderer. Heute kümmert er sich um den Service von Motorrädern genauso wie ums Umbauen. Auch eigene Rahmen hat er schon gebaut. Die vorhandenen Werkzeuge und Maschinen bestätigen, was wir denken – der Hausherr kann so ziemlich alles machen, was der Kunde in Sachen Motorrad wünscht. 

Schon in Hamburg hat Chris Harley-Motoren fit gemacht

Die Schweden sind weitergezogen, Chris kommt zu uns. Seit fünfzehn Jahren lebt der Hamburger in den Staaten. An Motorrädern hat er freilich schon zu Hamburger Zeiten gearbeitet, unter dem gleichen Namen wie jetzt: RPM Attack. Harley-Motoren hat er damals wieder fit gemacht, auch für Custromizer, mit einem Dragsterteam war er am Start. »Gute Zeiten waren das, und das mit dem Umbauen wurde ja damals richtig populär. Da haben viele gut dran verdient.« Trotzdem, es zieht ihn weg.

3000 Dollar Miete waren schon viel für Chris’ Halle, nun soll er das Doppelte zahlen. Was für die Industrie in LA ein Klacks ist, kann ein einfacher Schrauber kaum erwirtschaften

Die damalige Freundin arbeitet für Ikea in den USA, ein Glücksfall. Über das schwedische Möbelhaus transportiert er, was er besitzt, über den Teich. Auch den Motorradkram. Seit sechseinhalb Jahren ist er nun fest hier in Glendale, bleiben kann er aber nicht. Ein paar Wochen vor unserem Besuch hat Chris Post von seinem neuen Vermieter bekommen. »Nicht einfach eine Erhöhung, nein, die haben mir die Miete verdoppelt, 6.000 Dollar soll ich nun zahlen. Tue ich es nicht, fliege ich sofort raus.

Bisher hat er direkt hinter der Werkstatt gelebt

Kündigungsfristen, die gibt es hier nicht«, er seufzt. »Ihr müsst euch das so vorstellen, da kommen Investmentfirmen, kaufen in Los Angeles ganze Häuserblöcke auf und vermieten sie für horrendes Geld. Und dann mieten sich da Firmen ein, denen es egal ist, ob sie ein paar tausend Dollar Miete zahlen … wie die Filmindustrie, die einfach nur Platz braucht, um Equipment unterzustellen, für jede Summe.« Immerhin, Chris hat eine Wohnung gefunden, bisher hat er nämlich direkt hinter der Werkstatt gelebt. Morgen kann er einziehen, eine Sorge weniger.

Arbeiten abzulehnen kann sich kaum einer leisten. Nicht wenige US-Customizer verdienen ihr Geld in festen Jobs und schrauben nur nebenbei

»Und der Rest?«, fragen wir. »Wird sich zeigen«, zuckt Chris mit den Schultern. Genau heute ist nämlich einer der Tage, an denen er sich nicht sicher ist, ob er überhaupt weitermachen soll mit den Motorrädern. Noch in diesem Jahr wird er sechzig, noch mal die Zeit, sich neu zu justieren. »Wisst ihr, das mit den Bikes, das ist eine Hassliebe. Und vielleicht wäre es mal Zeit für was anderes?«

»Ganz ohne Motorräder geht es ja auch irgendwie nicht«

Nur an Rente, an die kann er nicht denken, wir sind hier in Amerika und das deutsche Sozialsystem weit weg. Auch da sind die Möglichkeiten eben doch nicht unbegrenzt. »Und ganz ohne Motorräder geht es ja auch irgendwie nicht, auch wenn es schwieriger geworden ist.« Chris erzählt, dass die Händler, vor allem die mit den japanischen Bikes, reihenweise Pleite machen. »Honda of Los Angeles war ein Riesenhändler mit allen Marken. Der ist schon länger weg. Suzuki auch – und da gibt es einen Kawasaki-Händler, da kommst du rein und es sieht aus wie in den Achtzigern, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Trotz aller widrigen Umstände ist Christian ein durch und durch positiver Mensch. Deutsches Jammern Fehlanzeige

Da wellen sich die Uralt-Poster an der Wand. Was der Laden soll, keine Ahnung, da kauft sicher niemals einer ein Motorrad.« Dass es Harley im Mutterland nicht unbedingt rosig geht, ist außerdem kein Geheimnis. Immerhin, der örtliche Harleydealer schickt Chris Kunden, selbst darf bei Harley ja kaum geschraubt werden. Und auch der Teileverkauf nicht geprüfter Parts ist den offiziellen Händlern untersagt, gut für Chris.

»Nichts funktioniert und ich soll es richten«

Parallel ist die Szene der Selbstschrauber auch in den Staaten massiv gewachsen. »Und die stehen dann hier mit ihrem zusammengebratenen Krempel, nichts funktioniert und ich soll es richten.« Der Deutsche richtet es, manchmal zähneknirschend, »aber ich würde nie einen Kunden wegschicken, das kann ich mir einfach nicht leisten«, gibt er zu. 

Die vorhandenen Werkzeuge und Maschinen bestätigen, was wir denken – der Hausherr kann so ziemlich alles machen, was der Kunde in Sachen Motorrad wünscht

Ob er jemals daran gedacht hat, nach Deutschland zurückzukehren, wollen wir wissen. Gerade jetzt, wo Leute mit seinem Können in der Heimat gefragt sind. »Nein!«, die Antwort kommt klar, »Ich war vor acht Jahren das letzte Mal dort. Die verstehen mich doch gar nicht mehr, mein Deutsch ist schlecht geworden«, er übertreibt, wir schwören. »Und dann die Sache mit dem TÜV und den Zulassungen, das Unentspannte, das Spießige … und ja, verdammt, dieses Wetter eben.« 

RPM Attack – Das Glas ist halbvoll

Obwohl wir Chris in keiner einfachen Situation treffen, ist es ein herrlich entspannter Termin und ein tolles Gespräch an diesem Freitagvormittag in Los Angeles. Die Stadt hat abgefärbt auf den Mann aus Hamburg, das Glas ist halbvoll, nicht halbleer. Um einen wie ihn muss man sich keine Sorgen machen, ob mit oder ohne Motorräder. 

Info | rpm-attack.com

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.