Vorgereckte Lenkkopfpartien am Chopper sind eine Erfindung der Neuzeit? Weit gefehlt, die Chopperjünger der 70er fuhren ihre Goosenecks stolz in der South Bay von Los Angeles. Doch was ist eigentlich ein echter Gooseneck-Chopper?

Individuell, exklusiv und mit einem Hauch von Radikalität, so zeigen sich Custombikes, die es an die vorderste Front schaffen. Die Devise dabei: Weit weg vom Gewöhnlichen! Das war schon immer so. Doch was den Leuten gefällt, kann sich schnell zum Trend entwickeln, die Exklusivität ist dahin … so wurden ständig neue Ideen am Chopper verwirklicht. Schon immer! Auch wenn es – wie es zunächst scheint – manchmal »nur« um so Nebensächliches wie den Lenkkopf ging. 

Molding: Massive Modelierarbeiten machen Tank und Lenkkopf zur Einheit, aber noch lange nicht zum Gooseneck

Ja ja, gereckt hatte er schon in den späten sechziger Jahren zu sein. Und dabei fielen auch immer größere oder kleinere Schweißarbeiten an. Nicht selten wurden diese in der heimischen Garage mit einem Elektroschweißgerät erledigt und die Schweißnähte mit Spachtel abgedeckt. Manche schweißten oder löteten zu beiden Seiten des Lenkkopfes Bleche an, um zu verstärken und die erwünschte Glattflächigkeit zu erreichen. Frühe US-amerikanische Chopperzeitschriften zeigten immer wieder, wie man sowas macht: Mit und ohne die seitlichen Verblendungen, teilweise auch mittels massiven Blechplatten, die den Lenkkopf nach vorn oder in die Höhe verlegten.

Vorgefertigte gereckte Lenkkopf-Kits für Gooseneck-Chopper

Bald tauchten erste Firmen auf, die vorgefertigte gereckte Lenkkopf-Kits anboten. Für Karosseriezinn und Spachtel blieb immer ein Einsatzzweck, denn das sogenannte »Molding«, das Formen und Glätten von Tanks, Schutzblechen und Rahmenteilen, war mit in die Bewertung bei Bikeshows aufgenommen worden. Angeschweißte Blechsegmente, die Spalten verblendeten, oder gebogene, angeheftete Rohrstücke, die verbindend von den Rahmenrohren über den Tank führten – sie übernahmen die Unterkonstruktion für Verzinnung, Glasfaser, Spachtel und wildeste Lackarbeiten.

Gebrauchsanweisung: Amerikanische Choppermagazine der frühen siebziger Jahre zeigen, wie ein Hals zu verlängern ist

Nach vorn oder oben verlängerte Lenkkopfhälse boten ausreichend Platz sich in dieser Hinsicht auszuleben. Und natürlich gab es auch hier lokale Entwicklungen, wie beispielsweise die Goosenecks an manchen Choppern aus der kalifornischen South Bay von Los Angeles. In dieser Ausgabe zeigen wir euch direkt im Anschluss an diesen Artikel einen solchen Gooseneck-Chopper. Er besitzt massig Eigenschaften, um Aufmerksamkeit zu erregen, polarisiert aber auch schwer. Goosenecks? Das war ein Trend, der ein gutes Jahrzehnt andauerte.

Der tiefliegende Lenkkopf war Namensgeber für die Gooseneck-Chopper

Zwar waren es nur wenige, dafür aber unerschrockene Biker, die ihre Chopper mit den spezifischen, lang vorgestreckten und nach unten gedrückten Lenkköpfen versahen, um weit aus der Masse herauszustechen. Und klar, dieser eigentümliche tiefliegende Lenkkopf war Namensgeber: Gooseneck – Gänsehals! Wer sich erst die letzten zwanzig Jahre in der Szene bewegt, bringt mit diesem Begriff vielleicht die Rahmen der japanischen Customizer Shinya Kimura und Yasuyoshi »Chica« Chikazawa ins Spiel, die beide Bikes mit leicht vorgereckten Lenkköpfen bauten und bauen.

The Goose: Die wahrscheinlich erste Choppermaschine mit langem, tiefergelegtem Lenkkopf soll von Fats Noriega in Redondo Beach gebaut worden sein

Weil Kimura der frühere Kopf der Firma Zero Engineering war, werden diese kurzen Goosenecks auch oft als Zero-Style bezeichnet. Hinzu kommt, dass schon in den siebziger Jahren die Firma The Machine Shop, später GME, in Zusammenarbeit mit Santee, Lenkkopfanbausätze und komplette Rahmen mit solchen kurzen vorgereckten Hälsen anbot und im Anzeigetext einen raked »goose neck« erwähnte. Unser kalifornischer Szenekenner Michael Wegener weist uns darauf hin, dass im amerikanischen Englisch viele vorgestreckte Dinge als Gooseneck bezeichnet werden.

Traditionalisten reicht ein nach vorn verlängert Lenkkopf nicht

Doch Traditionalisten unter den Chopperfans wollen dies nicht als alleiniges Kriterium für die Bezeichnung Gooseneck gelten lassen. Für sie reicht es nicht, dass ein Lenkkopf nach vorn verlängert ist. Sie verlangen, dass der Begriff nur bei Choppern Anwendung findet, deren Hälse auch nach unten – bezogen auf die originale Position des Lenkkopfes – abgekröpft sind. »Die Tradition, einen langen Rahmenhals mit tiefergelegtem Lenkkopf zu bauen«, so Wegener, »startete Fats Noriega, der die Firma Fats’s Sportster Haven (ja, wurde genau so geschrieben) in Redondo Beach betrieb.«

Vorgereckte Hälse machen einen Chopper optisch luftiger

In »Street Chopper« vom August 1971 und in der Oktober-Ausgabe des »Choppers Magazine« war die Maschine zu sehen, aber da gehörte sie einem Kerl namens Charlie Picker. Sie war ganz typisch mit einer Dick-Allen-Springergabel und der typischen doppelten Sissybar ausgestattet, wie so viele Bikes der South Bay von Los Angeles. Im »BIG BIKE« Januar 1972 und in »Special Choppers« vom März 1972  – der Artikel hieß »Always stick your neck out« – war sie wieder zu sehen und auch da wurde »Charlie’s Goose« diesem Picker zugeschrieben. Hatte der Erbauer sein Bike unter Pseudonym in die Magazine gebracht?

Der Trend zum Gooseneck-Chopper startete in der South Bay Area

Seine blaue Gans, die goldene Eier, sprich Pokale legt und die er, der Picker, nur aufzulesen braucht (engl. to pick up)? Wie auch immer, der Gooseneck-Trend startete in der South Bay Area, wo letztendlich auch die meisten Umbauten entstanden. Armando Garcia hatte eine silberne Goose-Panhead. Er ließ, wie manch anderer auch, seinen Rahmen bei Skip Fisk Engineering schweißen. Auch Phil Ross, der mit Dick Allen die Beltdrives entwickelt hatte, fuhr eine … sie war 1972 auf dem Cover von »Street Chopper«. Böse Zungen behaupteten übrigens, es hätte Rahmenbrüche an Gänsehalschoppern gegeben, was nicht auszuschließen ist.

November 1978 – Rock ’n’ Roll: In Kevin Dealys Shop wurden Goosenecks auch im Sitzbereich tiefer und am Rahmenheck verlängert

Dann gab es Berichte, in denen stand, man müsste solche Arbeiten eben Spezialisten wie Joe Alphabet oder Kevin Dealy überlassen. Im November 1978 wurde in einer Ausgabe von »Street Chopper« noch ausführlich die Herstellung eines Gooseneck-Rahmens in Kevin Dealy’s Shop »Rock ’n’ Roll Enterprises« in Gardena, Kalifornien, gezeigt. Dealy legte auch den Sitzbereich tiefer und verlängerte zudem das Rahmenheck. Doch der Zug schien abgefahren. Die Macher der Magazine hatten neue Lieblinge: Majestät Gänsehals lag im Sterben – der neue Gebieter hieß Digger. Doch das ist eine andere Story …

 

 

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.