Auf den Salzseen von Bonneville jagen seit mehr als einem halben Jahrhundert Träumer aus der ganzen Welt die Höchstgeschwindigkeit in ihrer Klasse. Das deutsche »Nowsalt«-Team schrieb vor elf Jahren ein Stück Salzsee-Geschichte mit und begab sich auf eine Reise der besonderen Art.

Ein Traum kann normalerweise unausgereift als ein Ablauf von Bildern, Gefühlen und Sensationen betrachtet werden. Als Abfolge von Emotionen, die einbrechen, auftreten, unfreiwillig in der Seele wühlen, während verschiedener Stages des menschlichen Schlafes. Niemand träumt gleich.

Rekordsuche in Bonneville

Es gibt jene, die in der Nacht träumen – in den staubigen Ecken ihrer Seele – und den Inhalt ihrer Träume beim Morgengrauen wieder verlieren. Aber es gibt auch die wachen, wagemutigen Männer und Frauen, die mit offenen Augen träumen, die den Mut finden, solche Träume möglich zu machen und diese zu leben. Von solchen Träumen soll diese Geschichte handeln.

Ein erster Höhepunkt der Reise ist die Ankunft an der kultigen Bonneville-Hinweistafel

Der Rausch der Geschwindigkeit, die Arbeit der Gemeinschaft, mit vereintem Wissen und unermüdlicher Mühe über zwei Jahre einem Ziel zuzuarbeiten war aus einer modernen, kaum zu glaubenden Geschichte geboren. Der Junggesellenabschied von Günter Retsch mit vier Freunden in Santa Pod/England, führte zu dem Wunsch, erneut gemeinsam ein Speed-Projekt zu stemmen.

Mit dem Ducati-Dragster nach Bonneville

Inspiriert durch den Film »Mit Herz und Hand« folgte die Entscheidung, den schon bestehenden Ducati-Dragster aus alten Tagen für einen Weltrekordversuch auf dem berühmten Salzsee in Bonneville erneut auferstehen zu lassen und umzubauen. Das Projekt war geboren: »The worlds fastest Ducati 2012«. Zum Bau des Motorrades blieben 20 Monate.

Preparation der Strecke: Mit einem Stahlgerüst im Schlepptau wird die Fahrbahn geglättet

Unbeschrieben ist das Blatt des Teams dabei nicht. Über einen Zeitraum von zehn Jahren rockte die Acherner Bande um den Roadracing Rastafari Günter Retsch die europäischen Dragstrips in der Zweizylinder-Klasse. Artfremd unter Harleys, missachtet von den damals gängigen Mainstream-Medien, aber durchaus erfolgreich. Erfolge in Hockenheim auf den NitrOlympics, dem bedeutendsten Rennen Europas, waren mit einem ersten und einem zweiten Platz zu verzeichnen.

Ein sportlicher Höhepunkt sondersgleichen

Dazu kamen diverse Siege europaweit, als bestes Ergebnis im Abschluss konnte der vierte Platz in der Europameisterschaft verzeichnet werden. Und trotzdem, das Salzsee-Projekt war ein absoluter Neubeginn, ein sportlicher Höhepunkt sondersgleichen. Man kann so was mit großem Geld angehen oder mit Zusammenhalt und regionaler Unterstützung durch Helfer und Sponsoren. Auf Zweiteres besann sich das deutsche Team.

… allemal besser als Platzregen

Mit regionaler Unterstützung ging es los: Im Oktober 2010 starteten die Berechnungen von Fahrwerk und Motor des Racers. Über die nächsten zwei Jahre wurde getüftelt, geschraubt, gebastelt, verworfen, neu begonnen, eingestellt und abgestimmt, dass es eine wahre Freude war. Am 24. August 2012 stand das Team mitsamt seiner 300-PS-Ducati – liebevoll Diva genannt – in Bonneville/Utah. Hier würde das Finale des salzigen Traumes steigen, und hier würde sich zeigen, ob sich all die Mühen gelohnt haben.

Race Days in Bonneville – ein Auf und Ab der Gefühle 

Die technische Abnahme, die erste große Hürde, die es zu nehmen galt, gelang auf Anhieb. Es zeigte sich, dass die Vorarbeit des Teams nahezu perfekt war, drei kleinere geforderte Modifikationen waren zu verschmerzen. Das Bike erregte großes Aufsehen, ebenso wie das Team – das das mit Abstand größte im gesamten Fahrerlager war.

Einmal volltanken, bitte: An der Renntankstelle gibt es den richtigen Treibstoff für die High-Performance-Ducati

Man darf sich die Bonneville Salt Races in etwa so vorstellen, als dass man sich morgens um sechs Uhr mit allem Equipment auf den See begibt und abends wieder abreist. Die Aufbauten wie das Teamzelt im Fahrerlager können stehen bleiben. Dazwischen wartet man. Mitunter mehrere Stunden, bis einem die Gelegenheit gegeben wird, einen Lauf zu vollziehen. 

In Bonneville gibt kein Upper Class Ranking

Die große Crux dieses Wettbewerbes: Die Profis mit ihren in Jahren erbauten Hämmern haben keinen Vorrang. Originale Streetbikes und semiprofessionelle Teams werden den echten Profis gleichgestellt. Es gibt kein Upper Class Ranking. Ganz am Rande erwähnt – Amerikaner sind als Rennleiter und Veranstalter keine deutschen Perfektionisten – unser hierzulande gewohnter Organisationsapparat ist in den Staaten doch eher als südländisch und locker zu bezeichnen.

Zu fett abgestimmt? Zu hohe Abgastemperatur? Die Feinabstimmung erfolgt über ein Wideband-Sensor-Modul

Der erste Renntag war folglich mehr als ernüchternd, die Diva schaukelte, der Lenker flatterte, technische Änderungen wurden erörtert und umgesetzt. Der zweite Renntag fiel gelinde gesagt ins Wasser – die Strecke war nach einem epischen Starkregen komplett überflutet. Bad luck. Am dritten Raceday konnten endlich zwei Läufe gefahren werden, die als Zielsetzung nur Fehlereingrenzung hatten. Ohne Verkleidung zu fahren war dabei die erste Maßnahme, um das Flattern der Lenkung auszuschließen.

Ohne Verkleidung in Reichweite des AMA-Rekords

Der Tag vier auf den Salt Flats brachte das Team nach einer Veränderung des Nachlaufs am Fahrwerk annähernd in Reichweite des amerikanischen AMA-Rekords: 163.301 mph – der AMA-Rekord in dieser Klasse ist 163.436 mph. Nowsalt fuhr in diesem Stadium immer noch mit dem gigantischen Handicap, ohne Verkleidung unterwegs zu sein.

Abgewunken: 169 Meilen, das sind stattliche 270 km/h, bedeuten Rekord in der Klasse der aufgeladenen Zweizylinder bis 1000 ccm

Dennoch im Mittel mehr als frustrierend – Bonneville zu racen, heißt eigentlich stundenlang im Vorstart zu verhungern. Mehr als zwei Läufe pro Tag sind nicht drin – ein gravierender Grund nicht zu Höchstleistungen zu gelangen. Fahrwerksabstimmung läuft einfach über Erfahrung, mangels Möglichkeiten kam dieser Prozess aber eben nur langsam in die Gänge. Aber aufgeben galt nicht.

Mit mehreren Messern zwischen den Zähnen zum Rekord

Am letzten und entscheidenden Tag dann der Durchbruch: Es gelang Günter, wohl mit mehreren Messern zwischen den Zähnen, auf einer Oberfläche, die er als Mischung zwischen verschneitem Kopfsteinpflaster und gefrorenem Feldweg bezeichnete, mit 169,047 mph der Rekord in der amerikanischen AMA Klasse. Sieg oder Tod. Das alles immer noch ohne Verkleidung. Weshalb dieser Sieg in derartigen Geschwindigkeitsbereichen eine ganz besondere Note erhält.

Das Nowsalt-Team ist per Mail unter info@nowsalt.de zu erreichen

Sechs Wochen nach der Rückkehr aus Utah gab es dann aber doch noch eine dicke Überraschung für alle Beteiligten. Die FIM (Federation Internationale de Motocyclisme) meldete mit dieser gefahrenen Geschwindigkeit einen neuen Weltrekord in der Klasse der aufgeladenen Zweizylinder bis 1000 ccm. Dass diese Klasse gesondert gewertet wird, war den Nowsaltern gar nicht bewusst …

 

 

 

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