Karl Renoult aka Ed Turner ist das Enfant Terrible der europäischen Motorradszene. Sein Rückzug vom Customizing kam vor zwei Jahren ebenso überraschend wie konsequent. Das Comeback geschieht gerade auf anderer Ebene – Motoren werden unter Karls Händen zu Kunstobjekten.

Kann man umgebaute Motorräder als Kunst begreifen? Altmeister Shinya Kimura vertrat früh die Auffassung, dass man das sogar unbedingt tun sollte. Gerade er, der grandiose Handwerker, sah auch den Aspekt des Ausstellungsstückes in seinem Werk. Wobei er die Fahrbarkeit seiner Maschinen immer voraussetzte. Das tat ebenfalls Karl Renoult, als er mit »Ed Turner Motorcycles« startete. 

Der Mann aus Nantes wurde neuer Star der Customszene

Die Arbeiten des Franzosen schlugen heftig ein, schrammten oft nah am Kitsch vorbei, waren exzentrisch, betörend – und, das ist wichtig, handwerklich auf hohem Niveau. Karls Bikes waren Punkrock und Anarchie, der Mann aus Nantes wurde als neuer Star der Customszene gefeiert, auch weil alles, was er tat, anders war als alles, was bisher getan wurde. 

Die Preise für seine Werke verrät Karl Renoult nicht öffentlich, sie werden nur auf individuelle Anfrage rausgerückt

Über eintausend Artikel über ihn und sein Werk erschienen in Motorradmagazinen und auf Webseiten weltweit, aber auch in Büchern über Design und Mode. Nach drei Jahren machte Karl einen Schnitt, radikal wie sein Schaffen. Er erklärte seinen Abschied aus dem aktiven Customizing. Es waren die Kunden, die ihm nicht die freie Hand ließen, es waren die Zwänge, immer mehr zu liefern, es waren finanzielle Nöte, weil sich Engagement und Hype nicht auf dem Konto niederschlugen. »Ich hatte meine fünfzehn Minuten Ruhm, ich war glücklich, aber es machte keinen Sinn, noch einen Moment länger weiterzumachen.« Aus, es war still.

Ed Turner – Das Feuer sollte wieder entfacht werden

Zwei Jahre brauchte Karl, um sich zu sammeln. Auch eine Operation an der Lunge, »Pneumotorax ist ein lustiger Name, aber eine ernste Sache«, forderte Ruhezeit. Es war in dieser Zeit nicht von einem Comeback die Rede, kein Gedanke daran, irgendwann wieder Motorräder zu bauen. Aber das Feuer sollte wieder entfacht werden, alles, was es brauchte, war eine Flasche Jack Daniels und das Gespräch mit einem ehemaligen Kunden und guten Freund. Er bot Karl an, sein Mann hinter den Kulissen zu werden und ihm freie Hand zu geben, was immer er auch tun wollte.

Red Punk: Gern verwendet Karl japanische Aggregate als Grundlage seiner Skulpturen, hier einen Honda-CB-Motor

Motorräder waren noch immer in seinem Kopf, aber Kunst war die Wahl, »frei vom funktionalen Aspekt eines Motorrades, sondern mit voller Konzentration auf den ästhetischen Aspekt des Objekts.« Früher war für ihn der Motor der zentrale Teil eines Motorrades, daran hat er in erster Linie gearbeitet. »Heute ist es alles, woran ich arbeite.«

Französischer Luxus à la Vuitton

Vom Schrottplatz eines Freundes sammelt Karl einen CB-350-Zweizylinder-Motor ein. Auf dem leeren Honda-Block entwickelt er sein erstes Objekt dieser Art. Mehrere weitere folgen. Dabei arbeitet er mit allen Arten von Materialien, von Edelbrock-Vergasern bis hin zu Reißverschlüssen, letzteres übrigens etwas, das er auch schon an Motorrädern probiert hatte.

Brown Monogram: Details wie Lederapplikationen oder Reißverschlüsse fanden sich auch schon an Ed-Turner-Bikes

Ebenso wie die Arbeit mit Leder – einst hatte Karl schon ein komplettes Bike so verpackt. Als Werkzeuge für seine Arbeiten kommt alles Vorstellbare zum Einsatz, von der Biegemaschine bis zum Dremel. Dazu gibt es kräftige Lackierungen, gern als Reminiszenz an selige V8er, blau wie bei Ford, orange wie bei Chevrolet. Und er spielt mit Namen, halb modisch à la Louis Vuitton oder Supreme, halb mechanisch, Texaco und Moon lassen grüßen.

Karls Idee: Ein komplettes Motorrad in einen Rahmen zu fassen

Neben den Motoren entstehen Schritt für Schritt andere Werke. Beim Blick auf verstreute Teile am Boden denkt er an die Modelle, mit denen er als Kind gespielt hatte. Die Idee, ein komplettes Motorrad in einen Rahmen zu fassen, kommt schnell. Der 125er Terrot schmückte nur kurz die Wand des Ateliers in Nantes. Zwei weitere ähnliche Arbeiten kamen hinzu, mittlerweile sind alle Einzelstücke verkauft.

An Modellbau erinnern die »Bilder«, die Karl Renoult aus Motorradteilen schafft, wie die blaue 125er Terrot

Seine Motoren stellt Karl auf der Messe »Art3F« für zeitgenössische Kunst in Nantes aus, einige europäische Kunstexperten werden auf die Stücke aufmerksam. Möglicherweise sind sie bald in renommierten Kunstgalerien zu sehen. Derweil arbeitet ihr Schöpfer schon wieder an neuen Ideen. »Eine Sammlung von Gemälden soll ebenso entstehen wie eine Modekollektion … und irgendwann vielleicht auch wieder echte Motorräder, denn aus meinem Kopf wollen sie sowieso nicht verschwinden.«

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.