Wir haben unsere Köfferchen schon gepackt, denn nächste Woche geht’s endlich los: Die CUSTOMBIKE-Show in Bad Salzuflen startet in die Post-Corona-Ära. Wir haben nochmal eine Nacherzählung von Frau Reuter rausgekramt, die der Vorfreude mächtig Auftrieb gibt. Aber lest selbst …

Jeden ersten Messetag frage ich mich, warum ich diesen Scheiß noch mitmache – und jeden Sonntag denke ich, ich könnte ewig so weitermachen: Dummes Zeug erzählen, Motorräder anfummeln, trotz Rauchverbot rauchen und mich von netten Damen anquatschen lassen. Und was waren unsere Leser wieder fleißig! Fast 300 angelieferte Motorräder standen in Reih und Glied, bereit, vernichtende oder begeisterte Urteile über sich ergehen zu lassen. Und immer wieder muss ich mir nach einem Rundgang eingestehen, dass ich der schlechteste Schrauber der Welt bin, denn was einem auf der CUSTOMBIKE geboten wird, ist fast durchweg Schrauber-Oberliga.

CUSTOMBIKE-Show – Langsam geht der Puls in Startposition

Aber es sind ja nicht nur eure Motorräder am Start, es gibt noch viel mehr zu gucken. Schon während ihr noch daheim am Schminkspiegel steht, am Vortag der Messe, darf ich bereits erleben, wie aus einem Chaos ein geordnetes Universum wächst. Wie aus einer architektonischen Katastrophe eine kuschelige Messe-Heimstatt entsteht. Und wenn am Freitagmorgen die ewigen Zuspätkommer ihr Geraffel in die Hallen schieben, geht bei uns so ganz langsam der Puls in Startposition.

Fröhlich und gelassen wie dieses Tank-Kunstwerk meisterte Martin »Frau« Reuter seinen Job als Moderatorin unserer Megamesse in Bad Salzuflen

Nun war ich dieses Jahr SEHR unruhig, weil ich mich schon Donnerstagabend stark verliebt hab – in eine Sportster 55 von Speed of Color. Um schlafen zu können, musste ich also mein abendliches Pensum mitgebrachten Hausweines etwas erhöhen. Ein leichter Kater ist selbstverständlich die beste Voraussetzung für einen Messestart. Und ganz offensichtlich bin ich nicht alleine dieser Auffassung, denn so mancher Aussteller (und Kollege) wartet am Freitag morgen mit geröteten Augen und zittrigen Händen auf, als hätte er die Nacht in einem bengalischen Bordell verbracht. So muss es sein!

»Der Metzeler-Mann erträgt meine Magenfahne geduldig«

Gott sei Dank übernimmt die Anmoderation des »Biker Build-Off« die gute Seele Frank Sander, der selbst mit neun Promille noch stotterfrei Rilke rezitieren kann. Ich selbst darf dagegen versuchen, aus dem mordsspannenden Thema »Gummientwicklung – der neue Metzeler 888« eine Bühnenpräsentation zu basteln, bei der niemand einschläft. Zum Glück ist Metzeler-Mann Klaus Conrad komplett schmerzfrei und erträgt meine Magenfahne ebenso geduldig wie die Scheiße, die ich rede. Wir dürfen diesen Vortrag dreimal während der Messe bringen und tragen es mit Fassung. Ihr auch – danke!

Währenddessen träumt Martin nur von einem …

Bei der Vorstellung der »Bold on and Ride«-Bikes von Custom Chrome geht es dann motorradtechnisch zur Sache und ich werde wach. Da werden ja endlich mal Böcke gezeigt, und vor allem: Böcke, die auch gefahren werden! Zwischendurch wird immer mal auf der Bühne getanzt oder ein halbnacktes Mädel mit einem Airbrush beschmiert, was die längsten Objektive der Nation auf den Plan ruft. Nein, es sind nicht nur Motorradnarren vor der Bühne, auch Tittenfreunde gehobenen Alters kämpfen hier um die ersten Plätze, um ein feuchtes Erinnerungsfoto zu machen. Und natürlich sind die spermizidverseuchten Knipserlinsen erst recht am Start, wenn nach der Gewinnspielverlosung des ersten Tages der Advents-Strip auf unserer Bühne stattfindet.

Der erste Messetag lässt mich demütig im Hotelzimmer verschwinden

Während unser weibliches Personal völlig unbeeindruckt am Rechner arbeitet, sind die Herren ganz klar mit der Kontrolle der physischen Beschaffenheit der beiden Stripperinnen beschäftigt. Rein dienstlich natürlich. Dieser erste Messetag ist es, der mich demütig dankbar im Hotelzimmer verschwinden lässt. Dankbar, dass mir niemand wegen des Bullshits, den ich den ganzen Tag rede, auf die Schnauze gehauen hat und demütig ob des Umstandes, dass mein alter Körper so eine Rutsche einigermaßen klaglos überlebt. Der Rotwein beruhigt, und während meine Verlagskollegen über, unter und neben meinem Zimmer Geräusche aller Art fabrizieren, die auf eine Hoteldemontage schließen lassen, sinke ich in einen ruhelosen Schlaf.

… der Harley Sportster von Speed of Color

Der nächste Tag beginnt mit der Feststellung, dass das Hotel noch steht. Ein rasches Frühstück, Kaffee und Zigarette im Stehen und Kapitel zwei der Messe wird aufgeschlagen. Der Samstag ist jedes Jahr gewaltig. Da werden keine Gefangenen gemacht, es geht rund. Der Metzeler-Kram geht Klaus und mir runter wie Öl. Später spricht mein Freund Dragos von »Eagle Adventure Tours« mit mir vor versammeltem Bühnenpublikum offen über Bordellbesuche in Amerika und warme Mettbrötchen als Frauenersatz. Dabei will er doch eigentlich Werbung für seinen Laden machen. Wir haben Spaß, während das Publikum über unsere Zwangsentmündigung nachdenkt.

CUSTOMBIKE-Show – Monologe und Schnapsdurst

Eine willkommene Bühnenabwechslung bietet das slowenische Team mit seinem 400-PS-Elektro-Boliden TEM01. Sicherlich das futuristischste Motorrad der Veranstaltung. Während Matja Sever von Custom Nord, der das Fahrzeug gebaut hat, einen slowenischen Monolog hält, reiben sich unsere Besucher verwundert die Augen beim Anblick dieses vollelektrischen Eisenhaufens von 300 Kilo. Gewicht spielt keine Rolle, das Ding hat ein Drehmoment von 530 Nm. Die englische Übersetzung des Monologs durch Matjas Freund Gorazd, die mich zu einer deutschen Übersetzung von Gorazds Rede veranlasst, lässt in mir langsam Schnapsdurst keimen. Unsere Zuhörer müssen einiges ertragen – und sie tun es mit Fassung.

Die Zukunft auf der großen Bühne: Die 400 PS starke und 300 Kilo schwere TEM01 ist nicht nur wegen ihrem Elektroantrieb futuristisch

Zwischendurch gibt es immer mal wieder eine Fashionshow und für mich ein verbotenes Zigarettchen auf dem Damenklo. Langweilig wird es jedenfalls nicht. Wenn Zeit übrig ist, stromere ich zum Stand von Speed of Color und streichele über die Sportster. »Ich hol dich hier raus«, flüstere ich ihr zu. Der Typ am Standtresen sieht mich schon etwas seltsam an. Ganz reizend fällt die BMW-Präsentation der »R nineT« aus – da hat BMW wohl mal etwas aufgeräumt in der Designabteilung.

CUSTOMBIKE-Show – Jede Menge Custom-Romantik

Ein Motorrad, das zum Umbauen geradezu einlädt, obwohl es im Original schon gar nicht so scheiße aussieht! So haben die BMW-Herren auch gleich das weltweit erste Custombike auf Basis der »R nineT« auf die Bühne geschleppt, einen Cafe-Racer, den Peter Dannenberg von Urban Motors im Auftrag der Münchener gebaut hat. Hut ab, Peter! Ein sehr flott gemachter Einführungsfilm mit jeder Menge Custom-Romantik und eine lockere, junge Bande von fröhlich drauflos plaudernden BMWlern machen die Sache rund.

Das Messeteam ist unbeeindruckt vom Gelage außenrum: Während sich auf der Bühne alles auszieht, arbeiten wir fleißig an Bildern, Filmen und Interviews

Es ist doch wirklich schön, wenn auch alteingesessene Firmen begreifen, dass Cannabis in der Entwicklungsabteilung Wunder wirken kann. Selbst unsere wildesten Schrauber zeigen sich beeindruckt und spenden der Veranstaltung den verdienten Applaus. So macht mir die Bühnenarbeit Spaß! Die Wahl der Miss Custombike fällt dieses Jahr eher dürftig aus – nur drei Kandidatinnen haben es bis zur Hauptbühne geschafft. Der Rest ist entweder nach zu viel Whisky-Cola hinter Herrn Genschers Tresen verlorengegangen oder hat den Platz auf dem heimischen Sofa vorgezogen. Was solls: Drei Kandidatinnen sind drei Preisträgerinnen, und es gewinnt stets jene, welche die wildeste Blutgrätsche auf dem Bühnenboden vollbringt.

»Kulturell bin ich spätestens jetzt ausgebrannt«

Wir tragen alles mit Fassung und freuen uns, dass es keine Verletzten gibt. Kulturell bin ich spätestens jetzt ausgebrannt. Nach der Samstag-Gewinnspielverlosung, wo es immerhin eine waschechte Sportster Iron zu gewinnen gibt, fällt eine Riesenlast von meinen zarten Schultern. Das Schlimmste ist geschafft. Nur noch ein Tag. Ich muss nur durchhalten. Also gehe ich heimlich zum Stand von Genscher und lasse mir einen Whisky-Cola-Premium ausgeben.

Großer Jubel, als sich unsere Fukker-Kandidaten erstmals der breiten Öffentlichkeit präsentieren. Super Jungs, geile Bikes, macht Laune!

Das Leben hat nun wieder einen Sinn. Ich führe ein langes und intensives Gespräch mit der halbnackten Schaufensterpuppe an seinem Stand. Mental sind wir auf einer Wellenlänge. Während alles am Ende des Tages auf die stets turbulente After-Show-Party strömt, verkrieche ich mich wieder im Hotelzimmer. Der Wein wird langsam knapp. Notfalls steige ich auf Blumenwasser mit Aftershave um.

Ein Spalier ausgewachsener Schnapsfahnen

MEIN Tag! Ich liebe diesen letzten Messetag. Meine Kollegen haben sich auf der After Show-Party den Fangschuss gegeben und robben langsam in den Frühstücksraum, um nach stark verdünntem Kaffee die Messehallen mit zweifelhaftem Glanz zu füllen. Wir bekunden uns alle unsere uneingeschränkte Zuneigung und öffnen die Tore. Die ersten Besucher werden von einem Spalier ausgewachsener Schnapsfahnen begrüßt. Alle sind sehr gerührt.

Startschuss für den Battle der Customizer, den European Biker Build-Off

Auf der Bühne des Biker Build-Off ist der Teufel los. Frank Sander moderiert, die beiden Teams um Stokan Dukic aus der Schweiz und Aykut Tataroglu aus Deutschland müssen um 14 Uhr ihre Böcke fertig haben und laufenden Motors auf die Hauptbühne bringen. Ich kann entspannt unsere kleinen Vorträge auf der Hauptbühne hinter mich bringen, zwischendurch wird wieder getanzt und nacktes Fleisch bemalt. Dragos und ich erfahren von versierten Zuschauern, dass ein warmes Mettbrötchen auch »Fernfahrerfotze« genannt wird und gemeinsam lassen wir damit das Niveau der Veranstaltung auf Knöchelhöhe sinken.

CUSTOMBIKE-Show – Hiobsbotschaften beim Biker Build-Off

Publikum und Moderator liegen sich in den Armen. So soll es immer sein! Das Drama des Tages jedoch entwickelt sich zur Endausscheidung des Biker Build-Off. Keines der beiden Motorräder will anspringen und ich danke dem Herrn, dass Frank und nicht ich die Hiobsbotschaft überbringen darf, dass es dieses Jahr damit KEINEN Gewinner in diesem begehrten Wettbewerb gibt. Das ist schade, vor allem weil die »Stage3« von Aykut mit Kompressor, Einpritzung, Doppelvergasern und was weiß ich noch allem auch ein spektakuläres Designkunstwerk geworden ist. Sicherlich eines der aufregendsten Motorräder der Veranstaltung! Egal, shit happens, wir trauern mit und lassen uns vom Sheriff der Biker Ranch mit Obstler abfüllen.

Neben der Prämierung des ersten und zweiten Platzes unserer Leserwahl – Platz eins ist endlich mal eine Honda – werden heute noch die ausgestellten Motorräder unserer Bikeshow in 14 Kategorien prämiert. Totalabräumer als »Best of Show« ist Rocket Bobs mit einer Kiste, die offene Mäuler im Publikum hervorruft. Wir sind stolz auf alle Schrauber und verneigen uns voller Ehrfurcht. Der Obstler schlägt langsam an. Herr Genscher bringt noch einen kleinen Whisky-Cola vorbei, der uns fast die Ohren abschraubt.

»Ich falle auf meiner Pausenbank in einen burlesken Tagtraum«

Die Gewinnspiel-Verlosung wird eine grandiose Veranstaltung, Hauptpreis ist eine Victory und es gewinnt sie jemand, der sich wirklich freut. Der Österreicher verteilt weiter Obstler, sogar an Hunde und Katzen, ich nehme zur Verdünnung mal ein Bier und falle auf meiner Pausenbank in einen burlesken Tagtraum. Dann verabschiede ich mich von meiner Geliebten, der Sportster 55, die ich mir wegen der aufgerufenen 19.990 Euro auf keinen Fall leisten kann, und verfolge mit halbwachem Blick, wie alles sich auflöst: Publikum, Messestände, meine Socken, mein Arbeitsplatz, ja sogar de Schaufensterpuppe von Genscher wird zerlegt. Diese Schweine! Unser Verlagsteam ist glücklich, die Wogen der Erregung glätten sich langsam.

»Das Leben hat wieder einen Sinn. Ich führe ein langes und intensives Gespräch mit der halbnackten Schaufensterpuppe – mental sind wir auf einer Wellenlänge«

Abends essen wir noch etwas feste Nahrung und trinken Wein, der die Zähne blau färbt. Wir liegen uns in den Armen und schwören uns ewige Treue. Ich stolpere ins Hotelzimmer, nehme noch einen kräftigen Schluck Aftershave und versinke in einer Art Narkose. Das war doch mal wieder eine aalglatte Veranstaltung. Und wenn nur einer von euch was zu meckern hat: Wir machen es trotzdem nächstes Jahr genau so wieder. Nur noch schlimmer. Denn nächstes Jahr feiern wir zehnjährigen Geburtstag. Da will ich schlimme Musik auf meiner Bühne haben. Und Senf an der Decke. Und fliegende Kühe. Na ja, eben alles, was dazu gehört, wenn man mal so RICHTIG auf die Kacke haut.

Ich lege mich jetzt wieder hin und verbleibe mit seligen Grüßen, Euer Blauzahn Martin

Info | custombike-show.de

 

Frau Reuter
Frau Reuter bei CUSTOMBIKE

Martin Reuter ist unter seinem Pseudonym »Frau Reuter« inzwischen zweitdienstältester Mitarbeiter der CUSTOMBIKE. Der freischaffende Künstler rezensiert mit spitzer Feder und scharfem Wort Produkte, die seiner Meinung nach etwas Aufmerksamkeit bedürfen. Im wahren Leben ist er als Illustrator, Fotograf und Textautor tätig und spielt ganz nebenbei Bass und Orgel in der zweitschlechtesten Band der Welt. Kulinarisch betrachtet kocht er scharf und trinkt schnell. Als echtes Nordlicht badet er selbstverständlich nur in Salzwasser. Seine Vorlieben sind V8-Motoren und Frauen, die Privatfernsehen verschmähen. Stilecht bewegt er eine 76er Harley, restauriert eine Yamaha SR 500 und bewegt sich politisch korrekt die meiste Zeit mit dem Fahrrad fort.