Von Dorfbullen, Luden und einem Vierteljahrhundert im Custombusiness – Lottermann ist eine Institution und hat einiges zu erzählen.

Niedersachsen, Lüneburger Heide, Soltau, Ortsteil Wolterdingen: Rechts ab geht’s zum Heidepark. Wer auf Achterbahnkirmes steht, wird hier seinen Spaß haben. Wir biegen links ab, denn da geht’s zum Lottermann, für uns die größere Attraktion in einer Stadt, die sonst für ihre Therme und die reizvolle Lage in der Lüneburger Heide bekannt ist. Seit bald dreißig Jahren residiert Thomas Lottner, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, hier. Grund genug für unseren Besuch.

Ich gebe das Zepter ab und stelle nur minimale Zwischenfragen

Ich habe einen Plan in meinem Kopf: Ein Porträt über den Customizer, ein Interview vielleicht, ein Motorrad fotografieren … wie man so eine Story halt vernünftig aufzieht. Und dann sitzen wir bei einem Kaffee und ich zücke mein Notizbuch. Erste Frage, die Antwort sprudelt nur so aus Thomas heraus. Das mit dem Mitschreiben wird nix, ganz klar. Ich schalte mein Handy auf Aufnahme, lege es auf den Tisch. »Haste genug Speicherplatz?«, habe ich. Ich gebe das Zepter ab und nehme mir vor, nur minimale Zwischenfragen zu stellen. Lottermann, du hast das Wort:

Das Herz von Thomas Lottner schlägt für Harley, schon immer. Mit einer Shovel im Knickrahmen fing an, was sich zu einer der erfolgreichsten deutschen Customfirmen entwickeln sollte

THOMAS LOTTNER: Januar ’93 war das mit der Firma, also offiziell. Geschraubt hab ich aber vorher schon immer, an Kreidler und so. Und dann war ich da mit dem Mokick unterwegs, in der Siebzigerzone, aber nicht mit siebzig. Der Dorfbulle hat mich erwischt, leider ein Freund meines Stiefvaters. Vor meinen Augen hat mein Stiefvater seine Axt geholt und das Moped zerhackt. Ich durfte nicht mehr fahren, bekam ein Fahrrad ohne Gangschaltung und bin damit zu meiner Ausbildungsstelle als Fliesenleger gefahren, bis ich achtzehn war. Erst dann konnte ich endlich Motorrad fahren. Ganz viel gefahren, schon selber geschraubt, und wieder gefahren.

Auf irgendeinem Treffen hab ich ein paar Shovel-E-Glides gesehen

Bei den Fliesenlegern war es ja so, dass du eigentlich nur in der Saison gearbeitet hast und im Winter nicht. Da hatte ich dann Zeit und hab mich viel beim örtlichen Kawa-Händler rumgetrieben. Und dann kamen die Zeiten im Motorradclub, dreißig-, vierzigtausend Kilometer haben wir da im Jahr gemacht. Und auf irgendeinem Treffen hab ich dann mal so ein paar Shovel-E-Glides gesehen, schön gemacht, schöne Farben. Da dachte ich schon, das wär mal was, ein flüchtiger Gedanke.

Ein eingespieltes Team: Thomas und Dagmar Lottner. In den Anfangsjahren arbeitete er noch als Fließenleger und sie machte in einem Hotel die Betten, damit was zu essen auf dem Tisch stand

Dann kam zur Weihnachtsfeier vom Club so ein Typ mit ’ner E-Glide an und besaß die Frechheit, das Ding verkaufen zu wollen. Mit besoffenem Kopp hab ich die gekauft. Das Teil war ein Schrotthaufen, so viel Pfusch. Das ging mir damals schon auf die Nüsse, dieser ganze Schrott. Ich hab mir immer gedacht, sowas muss man doch ordentlich machen. Da hab ich die Harley bisschen fertig gemacht, schön lackiert, bin damit nach Jugoslawien in den Urlaub gefahren – und sicher fünfzig Mal stehen geblieben.

»Wir kommen nach dem Kino raus – beide Karren weg«

Also habe ich auch den Motor gemacht, danach war alles gut. Doch eines Abends stell ich das Ding zusammen mit der Karre eines Kumpels vorm Kino ab, wir kommen nach dem Film raus, Karren weg. Also zur Bullerei. Zum Glück gab’s von der Versicherung Kohle. Damit bin ich zu einem der noch sehr begrenzt verfügbaren Läden gefahren gefahren, stolz mit zehn-, fünfzehntausend Mark rein – und mit einem Starrrahmen, einem Karton voll Teile und 8000 Mark Schulden wieder raus. 

In Zeiten ohne Internet gab es noch Kataloge von Customizern, der von Lottermann war einer der ersten in Deutschland. Heute läuft das Hauptgeschäft übers Internet oder telefonischen Kontakt, die alten Kataloge sind Raritäten geworden

Also fing ich an, an dem Ding zu arbeiten. Ich wollte breitere Reifen und sowas haben. Und Breitreifen damals, da reden wir von 150ern, damit warste dann schon der King. Da hab ich mir auf der Veterama eine 15-Zoll-Jaguar-Felge gekauft und dann umgeändert, 170er-Reifen drauf und zum TÜV. Sagten die, dass das gar nicht geht, mit Starrrahmen auch noch – Diskussionen ohne Ende, doch schließlich hatte ich dann die Zulassung. Dann damit aufs erste Treffen, das war, als wenn da ein Ufo gelandet wäre, ernsthaft.

Erster Umbauauftrag: Shovel im Knickrahmen

Die Musik hörte auf zu spielen, alle guckten. Mit einem Kumpel hab ich dann die zweite gebaut und da war es erst recht vorbei. So kamen die ersten Anfragen und mein Kumpel meinte, ich müsste da was draus machen. In Wolfsburg war damals Motorradmesse, da hab ich mir vier Quadratmeter Stand gemietet, habe ein Stück Teppich hingelegt und einen Plasteaufsteller. Vorher bin ich noch zur Stadt gestiefelt und hab ein Nebengewerbe angemeldet. Auf der Messe habe ich den ersten Umbauauftrag bekommen, eine Shovel im Knickrahmen. So ging das damals los.

Die Starrrahmenzeiten sind vorbei, privat fährt Thomas heute eine Softail Slim. Ob nach Kroatien oder ans Nordkap, lange Strecken sind kein Problem. Die Prämisse der Fahrbarkeit, die bei Lottermann großgeschrieben wird, gilt selbstverständlich auch für sein eigenes Bike

Ich habe in einem Schuppen geschraubt, mit selbstgebauter Hebebühne, einem kleinen Kompressor und einer Baumarkt-Drehbank. Mit nichts habe ich angefangen. In den ersten ein, zwei Jahren bin ich vormittags Fliesenlegen gegangen, hab nachmittags geschraubt, und meine Frau Dagmar hat für zehn Mark die Stunde im Hotel die Betten gemacht, damit wir überhaupt was zu fressen hatten. Die ersten zwölf Jahre haben wir keinen Pfennig aus dem Betrieb genommen – bis der Steuerberater sagte, ich solle mir jetzt wenigstens mal ein Auto kaufen.

»Da kamen die Kunden … und sind direkt wieder umgedreht«

Aber mit der Zeit wurden die Produkte und Kunden anspruchsvoller und zu mir führte nur ein Matschweg. Da kamen die Kunden, haben den Weg gesehen, dann mich und sind direkt wieder umgedreht. Mein Vermieter wurde auch immer zickiger. Also habe ich die ersten Quadratmeter hier gemietet. Von da an ging das weiter und weiter, ich hatte den ersten Angestellten und habe auch die ersten Teile produziert: Eine Schaltereinheit und ein seitlicher Kennzeichenträger waren das.

Ein paar Motorräder im Ausstellungsraum, kein Firlefanz und große Rede. Sich selbst bezeichnet Lottermann als »klassischen Customizer«

CUSTOMBIKE: Seitliche Kennzeichenhalter, Riesenthema damals, auch Tüv-mäßig …
Total! Und ich war der erste, der sie mit Gutachten angeboten hat. Ich hab damals einen Abrolltest gemacht, mit einer Pylone. Da musste man das Teil dran abrollen und da durfte nix hängen bleiben.

»Früher wurde alles eingetragen, was nicht gefährlich war«

War das eigentlich behördlich damals schwieriger oder ist das heute komplizierter?
Sowohl als auch. Die Einzelabnahmen, auf denen auch die Aufbauten basierten, sind so gut wie vorbei. Früher war das so, da haben wir uns hier alle vierzehn Tage getroffen, da war dann TÜV-Tag. Da wurde alles eingetragen, was nicht gefährlich war. Mal ’ne Soundmessung, mal ein Bremstest, alles gut. Das war für mich, den TÜV und die Kunden prima. Dann kam die Zeit der Aufbauten mit den 21er-Abnahmen. Dafür musste ich mich beim KBA als Hersteller listen lassen. Das ging viele Jahre gut und ich konnte Einzelabnahmen machen.

Lagerplatz für alles, was die Firma bietet. Nach und nach wurde die Fläche vergrößert

Heute müsstest du theoretisch bei so einer Einzelabnahme eine Stunde abnehmen und drei Stunden dokumentieren, weil das so verlangt wird. Völliger Käse ist das. Mittlerweile prüfen die Prüfstellen sich ja schon gegenseitig und ich schicke meine Gutachten erstmal an die TÜV-Task-Force. Ich könnte noch viele Geschichten darüber erzählen, aber ohne die Teilegutachten geht halt einfach nichts. Das habe ich schnell verstanden und dementsprechend agiert. Inzwischen dokumentiere ich wirklich alles. Wir sind nach ISO zertifiziert und ich kann dem Kunden gegenüber perfekt agieren. So gesehen ist es eigentlich leicht – wenn man entsprechend sauber arbeitet. 

»Meine Teile wurden oft kopiert«

Dein Kerngeschäft ist die Teileproduktion oder das Umbauen?
Ganz klar das Geschäft mit den Teilen. 95 von 100 Aufträgen packen wir in Kartons. Die restlichen fünf Prozent laufen in der Werkstatt. Ich mache den Teileversand schon ewig, es ist eigentlich schon früh ein Grundgedanke von mir gewesen. Früher gab’s ja kaum mehr als den W&W-Katalog. Und so hab ich mich in den Kunden reinversetzt und geschaut, was der so braucht. Ich hab mich dann mit Rasi, der damals bei Zodiac war, zusammengesetzt. Mit meinem Konterfei drauf habe ich deren Kataloge verschickt und war plötzlich Nummer zwei in ihrer Umsatzliste. Aber das haben dann noch ein paar mehr gemacht, na ja. Auch meine Teile wurden oft kopiert, die hatte ich mir ja damals nicht gebrauchsmusterschützen lassen. Da hab’ ich auch Fehler gemacht.

Acht Angestellte arbeiten für die Firma, hier Timo, der sich um das Finish eines Tanks kümmert

Du hast zwei Firmen: Lottermans Bikes für Harley, Delta Custom Bikes für japanische Cruiser? 
Stimmt, und noch Lottermanns Triumph. Ich hab immer mehr Firmen in der Kundschaft, die mir was zum Entwickeln bringen. Klassischer Prototypenbau, ab durch den TÜV, fertig. So kamen wir zu der Triumph-Geschichte. Da kam einer mit einer Thunderbird Storm auf den Hof und wollte einen 240er-Breitreifen-Umbau. Dafür hatte ich aber nix. Aber der hat die komplette Entwicklung bezahlt, und seitdem hab ich auch Lottermanns Triumph. Allerdings machen wir da recht wenig. Die Triumph-Klientel ist halt völlig anders, die wollen nicht, dass du irgendwo was abschneidest oder so, da helfen auch alle Gutachten nix. Auch die Kunden mit den japanischen Bikes sind anders als zum Beispiel Harley-Kunden. Die wollen eher kleinere Sachen, Breitreifen, Fender und sowas. Bei den Harleys darf es da schon mehr sein.

Japanische Cruiser sind tot – zumindest als Neufahrzeuge

Die japanischen Cruiser werden ja in Serie quasi nicht mehr gebaut. Ist das für dich ein Problem?
Da gibts überhaupt nix mehr, keinen einzigen. Da gibts nur noch eine 650er Kawa, die Vulcan S, für die wir auch ein bisschen was gemacht haben. Mir haben die japanischen Hersteller alle gesagt, sie warten auf Euro 5. Vielleicht kommt ja was Neues. Aber abgesehen davon ist der Bestand noch sehr groß, da gibts noch genug zu tun. Zumal wir als Customizer ja sowieso meist zeitversetzt arbeiten. Neue Motorräder werden ja oft nicht direkt massiv umgebaut, allein schon aus Sorge, die Garantie zu verlieren. Was nebenbei übrigens großer Quatsch ist.

Blick in die Werkstatt, in der fünf Prozent der täglichen Arbeit erledigt wird. Der Rest landet in Paketen beim Kunden, der Teilehandel ist das Kerngeschäft

Wann war das überhaupt, wann hast du Delta Customs gegründet?
Boah, keine Ahnung, du kannst Fragen stellen. Also, das war auf jeden Fall ein Samstag, irgendwann im Mai … lass mich mal gucken … ja, das war 2005. Gar nicht mal so lange her. Auf jeden Fall saß ich mit einem Kumpel hier, der selbstständig war und viel Zeit hatte. Und da fuhr so eine ganze Horde mit japanischen Cruisern auf den Hof, Wild Stars und sowas. Die wollten dann vom Gasbowdenzug bis zum Breitreifen alles haben und ich konnte denen überhaupt nicht weiterhelfen. An diesem Tag sind mir locker um die 50.000 Euro Umsatz durch die Lappen gegangen. Das ging gar nicht. Aber mein Herz schlägt ja nun eigentlich ganz klar für Harley und ich hab da echt mit mir gekämpft. 

Manche stecken ein Vermögen in ein Japan-Bike

Trotzdem, am Mittwoch drauf haben wir im Brauhaus bei einem Bier »Delta Custom Bikes« gegründet, erstmal als GbR. Das ging dann ein paar Jahre, mein Kumpel hat geschraubt, ich den Rest gemacht. Bis er wegen der Liebe nach Fulda gezogen ist. Plötzlich stand ich da, hab aus der GbR eine Einzelgesellschaft gemacht. So war das. Aber das Klientel ist gut, echt nette Leute, das passt. Tatsächlich hab ich zwei, drei Mal im Jahr einen Kunden, der ein Vermögen in einen Japaner steckt. Gerade aktuell einen mit einer Shadow, der alles haben will, mitsamt Motor machen und allem drum und dran. Dazu noch ein Airbrush von einem der Top-Lackierer in Deutschland. Da kannst du eigentlich am Ende locker eine neue Breakout von kaufen, aber er will das für seine Honda, die hat er geerbt, da hängt er dran. 

1999 entstand die Stage-One-Serie, auf Basis eigener Rahmen. Die oben gezeigte »Stage Two« stellte 2004 die Ausbaustufe des ersten Bikes dar. Dank Tuning von G&R ist das Showbike auch ein echter Renner. Im Lackkleid von Danny Schramm sind 100 »Zero Cool«-Schriftzüge eingearbeitet, die nur bei bestimmtem Lichteinfall sichtbar werden

Wie viele Angestellte hast du?
Das sind derzeit acht. Das waren auch mal mehr, aber das muss ich nicht mehr haben. Meine Leute arbeiten auch nicht alle immer hier, ich hab auch einen für drei Stunden am Tag, der dem Versand zuarbeitet oder einen, der auf 450-Euro-Basis meine Bilder bearbeitet. Ich hab mir halt immer überlegt, wie machen denn die Großen das, Mercedes oder so. Die arbeiten ja auch »Just in time« – so wie es gerade gebraucht wird. Früher, da wollte ich mal das Bikerzentrum der Lüneburger Heide eröffnen, dem ganzen Gebäudekomplex hier, großen Investitionen, CNC und allem. Heute bin ich froh, dass ich das gelassen habe. Viele haben so etwas versucht. Ich habe einige Firmen, die hier was mit Motorrädern machen wollte, pleitegehen sehen. Anstatt alles selbst zu machen, hab ich mir gute Zulieferer gesucht, mit denen ich Herstellerverträge habe. Mittlwerweile sind das deutlich über dreißig, darunter sind auch Lacker, Kanter, Fräser und so.

»Es ist ein Problem, dass Handwerk nicht wertgeschätzt wird«

Tja, Handwerker, die sucht doch jeder …
Richtig – aber es will sich auch keiner mehr die Hände schmutzig machen. Das ist doch das große Problem. Alle werden gedrängt, du musst Abi haben und so. Ist doch Quatsch, es gibt Leute, die Lust darauf haben, mit ihren Händen zu arbeiten. Die haben auch richtig Bock drauf und können was. Doch dann werden die irgendwo hineingepresst, wo die gar nicht hinwollen und sind todunglücklich, wozu? In ein paar Jahren hast du keine Leute mehr für die Werkstatt. Gerade habe ich einen eingestellt, aber einen Deutschen konnte ich für den Job gar nicht mehr finden. Jetzt habe ich einen Mann aus Estland und es ist wunderbar. Da wird dann halt Englisch gesprochen. Es gibt ja auch Deutsche, die handwerklich begabt sind, keine Frage. Aber dann sagt Mutti, dass der Junge studieren muss und was Vernünftiges machen. Dabei stürzen sich heute alle auf einen Handwerker, der sagt, ich will arbeiten und habe Zeit. Es ist doch ein Problem, dass Handwerk nicht wertgeschätzt wird und auch keiner den wirklichen Wert von Handarbeit bezahlen will. 

Suzukis Intruder ist das vielleicht legendärste Motorrad unter den Japancruisern, vor allem beim Customizing. Delta spendierte der M 1800 R unter anderem eine Tieferlegung um vier Zentimeter, das kurze Stiletto-Heck und einen 260er-Reifen hinten

Immer mehr Leute schrauben selber an ihren Bikes. Für dich als Customizer und Teilehändler: Vorteil oder Ärgernis?
Leider gibt es echt viele, die da rumschrauben und nicht wissen, was sie tun. Ich meine, kein Friseur oder Bäckermeister kommt auf die Idee, als Hirnchirurg zu praktizieren. Aber jeder glaubt, an Motorrädern schrauben zu können. Meine Güte, Motorradmechaniker ist ein Lehrberuf mit Meister und Techniker. Ich hab fünfundzwanzig Jahre gebraucht, um mein Fachwissen zu erlangen, das braucht doch Zeit. Und meine Allerliebsten sind dann noch die, die ihr »Fachwissen« aus Internetforen haben, die sind die Allergeilsten. Solche habe ich durchaus schon mal aus dem Laden geschmissen. Die wollen dann Inspektionspläne mit mir durchgehen und so’n Scheiß. Mannomann, ich mach Inspektionen, wie Harley oder die anderen Hersteller das vorschreiben oder gar nicht, fertig.

»Mit so einer Scheiße musst du dich heutzutage rumärgern«

Letztens hatte ich einen, der bestellte sich für einen Japaner Griffe für einen innenliegenden Gaszug und beschwert sich dann, dass da die Nupsies fehlen. Klar, war ja auch für einen innenliegenden Einbau vorgesehen. Und dann macht der Theater. Ich tausch das ja auch wieder um, doch dann fängt der an, ich wäre respektlos und bei mir kauft er nicht mehr. Schließlich hauen dir solche Leute auch noch eine miese Bewertung auf Facebook rein und du kannst nix machen. Mit so einer Scheiße musst du dich heutzutage rumärgern.

Das K2-Projekt: Auch Showbikes entstanden in Soltau, fahrbar waren sie immer. Die K2 aus dem Jahr 2009 ist ein kompletter Eigenbau, auf simple Anschraub-lösungen wurde hier gänzlich verzichtet

Es gibt allerdings, und das muss man echt sagen, auch sehr viele richtig gute Hobbyschrauber. Die haben zum Beispiel begriffen, dass man ein Kit kauft, mit allem drum und dran, bevor man sich stundenlang auf den Weg macht, um irgendwo zöllige Schrauben zu finden. Am Schluss kostet so eine Schraube halt nicht mehr »Zweifuffzig« sondern Zweihundert, weil da einer tagelang für unterwegs war. In einem Kit dagegen ist alles dabei – von der Schraube bis zum TÜV-Gutachten. Die Leute, die dann aus so einem Kit samstagnachmittags mit dem Kumpel bei ein paar Bier ein schönes Ding bauen, finde ich klasse. Da kommen oft richtig coole Ideen bei raus.

Erwin Lindemann und der Lottogewinn

Verdammt, ich hab da eine Frage vergessen. Wieso heißt du eigentlich Lottermann?
Mein Spitzname, schon aus der frühen Motorradzeit. Wegen dem Sketch von Loriot: Erwin Lindemann und der Lottogewinn. Am Schluss ist der so verwirrt, dass er sich Erwin Lottermann nennt – und ich hatte meinen Spitznamen von den Kumpels weg. Das hat sich einfach gehalten. Ich hatte sogar am Anfang mal dreisterweise Lottermanns Harley geschrieben, und bin aber nun mal kein Vertragshändler. Da gab es direkt einen netten Brief mit einer Abmahnung samt einer fetten Rechnung. Für einen Jungunternehmer ist das schon ein Brett. Abgesehen von neuen Visitenkarten, neuen Logos und allem drum und dran. Das ist aber mehreren Leuten zu der Zeit passiert, auch anderen bekannten Customizern.

2015 baute Delta Custom Bikes diese Kawasaki VN 2000 mit Breitreifen-Kit und eigener Auspuffanlage, verstellbar selbstverständlich. Im Fahrbetrieb präsentieren sich die 360 Kilo Gewicht sehr gut händelbar, nur beim Rangieren ist Muskelkraft vonnöten

Du bist dir immer treu geblieben, was deinen Stil und deine Teile angeht. Aber draußen gibt es auch immer wieder neue Strömungen im Customizing. Wie stehst du dazu?
Wenn einer kommt und sich von mir fachlich beraten lässt und auch vernünftige Fragen stellt, dann bekommt er auch vernünftige Antworten. Ich schau mir an, wie oft der Kunde fährt, was zu ihm passt und in der Regel kommt man auch auf einen Nenner. Diese ganzen Flattracker und Cafe Racer, vor allem die, die so gehypt werden, das sind doch meist Prototypen von Händlern oder Shops. Der Endverbraucher guckt sich sowas gern an, kauft es aber in der Regel am Ende nicht, sondern entscheidet sich für was moderates, das ja trotzdem gut aussehen kann. Der Kunde möchte das Motorrad mit der Kraft seines rechten Daumens starten, es soll alltagstauglich sein und keinen Ärger bei den Behörden machen.

»Die Luden haben sich fette Bikes bauen lassen«

Grundsätzlich ist doch der Markt immer in Bewegung und wandelt sich stetig. Von da an, als ich an Panheads geschraubt habe, über die große Importwelle aus Amerika, bis dort alles leergekauft war, bis zur Zeit der Aufbauten, was echt eine sehr coole Zeit war, das waren goldene Jahre. Die Luden kamen damals zu mir, haben sich fette Bikes bauen lassen, um sich dann so richtig schön gegenseitig hochzuschaukeln. Da haste erst gegen viel Geld was mit einem 250er im Heck gebaut und dann kam der nächste und hatte einen 280er. Sofort haben die anderen gesagt: »Scheiße, wollen wir auch. Stell die 250er in die Ecke und bau uns, was der hat.« Zudem hatten die immer schön Geld, das war schon sehr cool.

Die Erstversion der Evil Spirit mit S6S Twin Cam aus dem Jahr 2000. Rahmen, Schwinge und Räder sind eigene Lottermann-Parts. Um gut fahrbar zu bleiben, rollt das Bike auf 130er-Pirelli vorn und 200er hinten

Einmal habe ich auch einen Aufbau mit 330er gemacht, weil der Kunde das unbedingt wollte. Aber es ist einfach nur ein großer Kotz gewesen. Ich baue schon immer Motorräder, die fahren. Hab früh schon Drive-Side-Bremsen entwickelt, für Optik und Performance. Fahrbarkeit ist für mich das Wichtigste, alles andere mache ich nicht. Klar haben wir auch Showbikes gebaut, um zu zeigen, was wir können. Das hat jeder Customizer gemacht. Aber nebenbei, man kann auch ein Showbike bauen, das gut fahrbar ist. Da gibt es heute Möglichkeiten, von denen wir früher nur geträumt haben.

 »Wer jetzt Harley fährt, wird auch weiter Harley fahren«

Wo geht die Reise hin?
Es ist einfach so, dass das Klientel, das jetzt Harley fährt, auch weiter Harley fahren wird. Klar gibt es aus Altersgründen ein paar Aussteiger, dafür kommen aber auch immer wieder ein paar dazu. Das hält sich die Waage. Die Goldgräberzeit aber, die ist vorbei, lange schon vorbei. Das siehst du doch auch schon an euren Zeitungen oder auf Messen, wie viele von den ehemals Großen inzwischen nicht mehr dabei sind. Und es gab ja auch viele, die seinerzeit eine Ich-AG gegründet haben und schon nach einem Jahr pleite waren. Heute sind achtzig, neunzig Prozent der Customshops Ein-Mann-Betriebe. Da ist Er, der schraubt und macht. Und da ist Sie, die hilft ein bisschen, holt mal ein Paket von der Post. Vielleicht gibt’s auch noch einen, der mal ab und zu beim Schrauben hilft, das war’s dann aber.

In der Erstversion wurde die »Evil Spirit« im Jahr 2000 erbaut, nach einem Unfall 2004 erfolgte ein kompletter Neuaufbau mit gestretchtem Rahmen, einer um 6 Grad gereckten Gabelbrücke und einem Lenkkopfwinkel von 40 Grad

Und diese Jungs beliefere ich wiederum unheimlich gern. Die haben fachlich was drauf, sind nicht so abgegessen und können die Teile, die sie bestellen, noch gut kalkulieren. Kit-Summe mal X, Arbeitszeit-Summe mal Y, ist gleich Z, fertig. Marge drauf und keine finanziellen Katastrophen für Schrauber und Kunden, das passt doch. Aber aufgrund von Amazon und Co. gibt es eben auch viele, die ihre Finger von lassen sollten. Es gibt Dinge, die glaubst du einfach nicht. Dass es außerdem die Preise für anständig arbeitende Firmen kaputt macht, wenn Nichtkönner für einen Appel und ein Ei Motorräder umbauen, davon brauchen wir nicht reden. Damit wären wir auch wieder beim Thema Handwerk und was es kosten muss. Die Customszene, wenn wir von professionellem Customizing sprechen, wird nicht sterben, aber sie wird sich bereinigen. Davon bin ich überzeugt.

»Mittlerweile brauchst für so ziemlich jedes Teil ein TÜV-Gutachten«

Macht es noch Spaß?
Ja, es macht Spaß, ein großes Stück weit sogar. Aber eben auch ein Stück weit nicht. Du musst dich heute mit Dingen beschäftigen, mit denen du dich nicht beschäftigen willst. Ich hab zum Beispiel gerade die Rechnung von meinem Anwalt bekommen wegen dieser Datenschutzgeschichte. Das ist nur ein Ding von vielen, mit denen du zu kämpfen hast. Ein elender Tünnef, das ist alles soviel rechtlicher geworden. Auch, wenn deine Produkte kopiert werden. Das passiert ja seit Jahren ständig. Ebenso, dass du mittlerweile für so ziemlich jedes Teil, bis hin zur Schraube, ein TÜV-Gutachten brauchst. Dennoch, ich komme echt gern in meine Firma.

Ein Leben für Motorräder – tagsüber in der Werkstatt, in der Freizeit auf der Straße, Thomas Lottner lebt, was er tut

Eine Stunde und vierzig Minuten hat mein Handy am Ende aufgezeichnet, es war ein echt gutes Gespräch. Nur einen Teil davon konnten wir hier wiedergeben. So viel mehr gab es zu sagen … aber einen Rat haben wir am Ende noch: Hört den alten Hasen genau zu, es lohnt sich.

Info | lottermanns-bikes.dedelta-custom-bikes.de

 

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.