Plötzlich waren sie da. Potente Custombikes auf Supersportbasis. Verkleidung weg, Arsch hoch, Rohrlenker ran, Schalldämpfer offen: Die Streetfighter. Sie kamen aus England, eroberten wie einst die britische Flotte die bekannte Welt und existieren wie das einstige Empire heute nur noch in Bruchteilen, hauptsächlich in den Erinnerungen der letzten echten Straßenkämpfer.

Der Sommer ist da und es ist Zeit auf der Straße zu kämpfen.« Nein, das ist kein verspäteter Aufruf Hamburgs Straßen zu terrorisieren, sondern der erste Satz, den Steven Myatt 1987 in einem Artikel seines Custom-Magazins »Back Street Heroes« schreibt. Weiterhin ist da zu lesen: »Das Einzige, was die Fahrer einer GPZ oder Brough Superior vereint, ist die Vorstellung, dass ein Custombike kunterbunt lackiert, mit einer viel zu langen Gabel und viel zu wenig Leistung versehen ist. Leute, diese Idee eines Custombikes stammt von 1972 als Strand-Buggies und Schlaghosen langsam aus der Mode kamen. Jedoch entsteht gerade eine neue Rasse Custombikes unter all den klassischen Choppern, den Hasenohr-Customs und den Fat-Bob-Harleys. Und die sieht nicht nur extrem böse aus, sondern hat auch Leistung ohne Ende: STREETFIGHTER.«

Mischung aus Supersport-Technik und martialischem Aussehen

Mit dem Drucken dieses einen Wortes ist eine ganze Szene geboren. Auch die Industrie nutzt die Mischung aus Supersport-Technik und martialischem Aussehen knapp zwanzig Jahre lang für die Gestaltung von Naked-Bikes. Ein Blick auf die aktuelle Kawasaki Z1000 lässt die Meinung gären, es wäre selbst heute noch so. Doch was genau ist der Streetfighter, den Steven als den neuen Custom-Stil erkor? Wie hat er sich entwickelt? Und natürlich die Schwiegermutter aller Fragen: Wo sind all die Fighter hin?

So in etwa ging das bei uns los mit der Fighterei

Mitte der 1980er Jahre wachsen die Motorleistungen der japanischen Vierender in schier unglaubliche Dimensionen von weit über 100 Pferden, um Ende des Jahrzehnts schon deutlich an der magischen 150-PS-Marke zu kratzen. Klar, dass es im straßensportverstrahlten England nicht lange dauert, bis es eine ansehnlich Zahl an gecrashten PS-Haubitzen gibt, die mangels Stirling-Pfund in der Tasche gar nicht mehr repariert werden. Im Gegenteil: Die Bruchstücke der Front gehen in den Wertstoff und eckige Autoscheinwerfer oder mickrige Doppelfunzeln geben ein neues Gesicht. Zeitgleich fliegen auch die verbogenen Stummel weg und Superbike-Lenker halten Einzug.

Streetfighter haben eine eigene Definition von »schön«

Die Erbauer legen so den hässlichen Teil der Motorräder frei, den die Hersteller eigentlich hinter Plaste verstecken wollen. Und sie scheren sich einen Dreck um Ästhetik und Stil. So schaffen sie ihre eigene Definition von »schön«, ein klassischer britischer Streetfighter ist fertig. Nicht wirklich schön, aber richtig schnell. Diese recht einfache Art des Customizing schwappte schnell nach Kontinentaleuropa. Etienne »Eddie« Gerau, Chef von  Extremebikes, erinnert sich: »Ich fing 1996 an, Motorräder umzubauen, da war in Deutschland gerade der Beginn des Booms. Mit dem Streetfigter-Magazin war auch eine Plattform zur Verbreitung da. Angeführt von den damaligen Größen der deutschen Szene wie BigBike, MS-Bikes oder Bimbo Fighters kamen wir schnell zu einem eigenen Stil. Aus den ursprünglichen britischen Umbauten entwickelten wir zuerst den Speedfighter mit kurzem, hohem Heck und originaler Frontverkleidung und daraus den eigentlichen deutschen Streetfighter.«

Hesa Fireblade-Fighter. Saubere Linienführung war seinerzeit noch nicht angesagt

Da mutet es geradezu als visionär an, dass Triumph schon 1997 mit der zweiten Generation der Speed Triple, ihrem Supersportheck und den Doppelglubschern an der Front, den Streetfighter salonfähig macht. Und lasst uns ehrlich sein: die Speed Triple und ihr immenser Erfolg am Markt ist der Grund, warum es Triumph heute immer noch gibt. Parallel haben sich der Streetfighter und seine Jünger zu einer blühenden Subkultur entwickelt. Diese treibt die mittlerweile sehr krass gestalteten Fighter zu Beginn des neuen Jahrtausends mit enormem technischen Aufwand zu bis dato völlig unbekannten, straßenzugelassenen Höchstleistungen. Nicht selten wurde das klassische Motortuning des 90er-Jahre-Triebwerks mit Turbo, Kompressor, NOS-Einspritzung oder allem zusammen auf die Grenze des Möglichen ausgereizt.

Der Streetfighter schafft einen Markt für CNC-Gefrästes

Auch die Zubehörhersteller arbeiten für die große Nachfrage an individuellen Bauteilen am Anschlag. So schafft der Streetfighter einen Markt für hochwertiges CNC-Gefrästes. Von dieser Expertise und Entwicklung schöpft die Customszene heute noch. Die Königsklasse indes kam wieder aus England, wo die alten Rahmenschmieden der 70er und 80er Jahre wie Spondon oder Harris exklusives Rohrwerk für die potenten Motoren, beispielsweise der Suzuki Hayabusa, bieten. Und weiterhin gilt: Nichts in Sicht vom Ende des Booms. Die Anbieterzahl von Komplettumbauten oder Teileanbietern ist Mitte der ersten 2000er-Dekade Legion und zeigt sich in der mittlerweile ausgetragenen Messe Fighterrama. Selbst unsere CUSTOMBIKE untertitelt sich von 2005 bis 2010 als Magazin für »Chopper, Fighter, Klassiker«. Der Streetfighter steht auf seinem Höhepunkt, als 2007 die Fighterama die größte Tunigmesse für Motorräder weltweit ist; und somit auch absoluter Mainstream wird.

Gemeinschaftsprojekt von Megatec und Beutler: Zum Ende der Fighter-Ära wurde es aufwendig und geradezu elegant

Eddie Gerau ist eine feste Größe in der Szene und sieht diese Zeit des Streetfighters in Deutschland mit gemischten Gefühlen: »Über die Jahre hat sich das Bild des Streetfighters und seine Darstellung gewandelt. Aus dem einstigen, vereinzelten Auftreten als kleine, feine Randerscheinung ist ein großer Kuchen geworden, von dem jeder sein Stück haben wollte. Von der Zubehörindustrie, die eigene Kollektionen namens Streetfighter entwarfen, bis zu allen Herstellern, die ein Nakedbike im Fighterlook im Showroom hatten.« Tatsächlich hatte sich Zubehörriese Louis den Namen Streetfighter schützen lassen, was natürlich zu einen Rechtstreit mit der Szene führte, den die aber verlor. So musste sich das große Szenemagazin umbenennen von Streetfighters in Fighters.

Rechtstreit mit Louis um das Wort Streetfighter

»Leider geht mit der Kommerzialisierung einer Avantgarde auch der Reiz, Teil der Szene zu sein, verloren. Zusätzlich war auch wenig Nachwuchs auf den Straßen unterwegs, was auch die Motorradindustrie Beginn der 2010er schmerzlich spüren musste«, erzählt Eddie weiter. »Und wo kein Nachwuchs ist, ist auch niemand, der eine gestürzte Serienkiste umbaut , und schon lange niemand, der sich einen Profi-Umbau für mehrere Zehntausend Euro leisten will. Natürlich ist auch das Überaltern in der Szene ein Problem. Mit knapp 50 nochmal einen bandscheibenquälenden Fighter bauen oder doch ’ne Harley kaufen? Diese Frage ist bei den meisten schnell beantwortet«, schließt Extrembikes-Macher Eddie Gerau seinen kurzen Rückblick ab.

Aktuell baut Carlos Rodrigues in Portugal die wildesten Geräte. Hier die Mortagua Nummer acht. Natürlich immer noch mit luftgekühltem Suzuki Four

Sechsunddreißig Jahre ist das Wort Streetfighter nun alt. Aus der Notlösung wurde eine Subkultur, wurde Mainstream, wurde … ja was eigentlich? Wieder Subkultur. Der Streetfighter lebt. Lebt weiterhin von Enthusiasten, die mit sehr hoher technischer Kompetenz unglaublich aufwendige Custombikes bauen und vor allem fahren. Doch ist der moderne Streetfighter nur noch selten in seiner extremen Kunstform mit Gedärmen aus Plastik an Tank, Heck und Lampe zu finden – Gott sei Dank! Viel mehr ist der motoreske Minimalismus auch bei den Fightern angekommen. Wenig Tamtam, vergleichsweise glatte Linien, optisch fast gemäßigt, zeigt sich der Streetfighter mehr als gestrafftes Superbike mit raffinierte Technik, denn als zweirädrige Monstrosität. Fast scheint ein Fighter aus 2023 ein Supersportler zu sein, dem die Verkleidung abmontiert wurde. Kommt mir sehr bekannt vor.

 

Jens Kratschmar