Lange haftete der Harley Sportster der Ruf des Mädchenmotorrades an. Dabei waren die Sporties schon früh Winner auf Dragstrip und Showground
Harley-Davidsons Sportster Modelle haben ihr softes Image erst spät abgelegt. Gerade knackige Modelle wie die Forty Eight trugen daran ihren Anteil, aber eben auch die Gewissheit, dass man aus einer Sportster wirklich schöne Dinge bauen kann – egal ob alter Starrrahmen-Prügel oder moderne Cafe Racer-Interpretationen. Ein paar Jahre früher sah die Sache dagegen ganz anders aus. Eine Harley Sportster war kein Motorrad, das man ernst nehmen musste. War doch so. Oder etwa nicht? Nun, trotz oder gerade wegen fehlender Informationen werden Urteile schnell und oft gefällt! Vergessen wir also mal diese soufflierten Voreingenommenheiten. Blicken wir zurück ins Jahr 1952 und holen uns Fakten.
Die Harley Sportster und ihre Wegbereiter
»Und warum 1952, war denn nicht 1957 das Einführungsjahr der Sportster?«, kommt euer Einwand? Ihr habt schon recht. Wird die Vergangenheit allerdings näher beleuchtet, wird sichtbar, dass die Geschichte der Sportster schon mit dem wegbereitenden Vorgängermodel, der K Sport, begann. Auch wenn sie in späteren Jahren retrospektiv so hingestellt wurde, als hätte Harley mit dieser »K« ein rückständiges Motorrad auf den Markt geworfen: Bei ihrer Vorstellung, Anfang der fünfziger Jahre, war sie ein absolut aufregendes und zeitgemäßes Motorrad. Das K-Modell mit 750 ccm hatte sowohl eine hydraulisch gedämpfte Teleskop-Vordergabel als auch Stoßdämpfer an der Hinterradschwinge, während hierzulande neue Motorräder noch mit Geradeweghinterradfederungen durch die Kurven eierten.

Mehr Kellerdruck kam 1954 in Form gesteigerten Hubraums. Knapp 900 Kubik hatte die »KH« genannte Harley, was durch Verlängerung des Hubs (engl. Stroke) von 96,8 mm auf unglaubliche 115,9 mm verwirklicht wurde. Eine Tatsache, die später – nach Einführung der Sportster – immer noch bei einigen Leuten im Gedächtnis haften sollte. Die KH-Ausführung konnte gegenüber der K einen Leistungszuwachs von immerhin 12 Prozent vorweisen. Und die Modelle KK-, KH- und die KHK, die waren dann richtig giftig! Harley-Davidson warb mit kernigen Sprüchen: »Diese außergewöhnliche Leistung, diese extraungeheuerliche Beschleunigung und dieser Ausbruch an Kraft, sobald sie den Gasgriff nur berühren ..» Von wegen veraltete Konstruktion!
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An diesen Motoren wurden alle gesammelten Erkenntnisse, sowie das Teilesortiment von den alten WR-Rennmaschinen effektiv genutzt: Veränderte Vergaser, höhere Nocken, modifizierte Zylinder, Köpfe, Ventile, die leichten Rollenstößel. Auf Rennstrecken und im Gelände dominierten KR-, KRTT-, KHRM-, KHRTT-Modelle. Die Kundschaft sah es: Harley-Davidson – die tun was! Und natürlich wollte sie den Leistungszuwachs auch für die Straße. Um diese Leistung dann auch zuverlässig rüberbringen zu können und um Getriebereparaturen zukünftig einfacher und schneller zu gestalten, bekam das 1955er Modell ein verstärktes Gehäuse und ein »Trap Door«. Dadurch konnten die Getrieberäder samt -wellen über die Primärkastenseite komplett herausgenommen werden.

Um dem massiven, auf das Hinterrad einwirkenden Drehmoment und den daraus resultierenden Speichenbrüchen, Herr zu werden, gab’s außerdem ordentliche Vergrößerungen an Hinterradnabe und Speichendurchmesser. Als schließlich 1957 die Sportster vorgestellt wurde, war sie letztlich eine ausgereifte »K«, der man andere Zylinder und ohv-Köpfe aufgepflanzt hatte. Diese neue ohv-Maschine – Sportster XL genannt – hatte nun, wie vorher schon die KH, auch nicht mehr als 900 Kubikzentimeter Hubraum (erst 15 Jahre später, ab 1972, wurden es 1000 ccm). Diese 900 Kubik aber resultierten aus einer größeren Bohrung von nun 76,2 mm (3”). und dem kürzeren Hub (96,8 mm = 3,8125”) des seitengesteuerten 750 ccm K-Modells. Sowas ließ die Tuner nicht lange ruhen. Warum nicht mit dem längeren Hub (engl. stroke) arbeiten?
Hubraum ist durch nichts zu ersetzen
»Bonnie Truett unterhielt in den 60er Jahren einen kleinen Shop und er hatte seine Sportster mittels der Hubscheiben eines KH Modells aufgepeppt. Die passten nach geringer maschineller Bearbeitung. Wir taten das Gleiche mit meiner Sportster …«, erinnert sich Paul Osborn an die alten Zeiten. »Die verwendeten, im Sandguss hergestellten Dytch-Kolben aus Kalifornien waren schwer. Und sie liefen mit nur zwei Kompressionsringen ohne Ölabstreifer im Zylinder! Deshalb qualmten unsere alten Stroker ein wenig, aber sie sind echt gut gegangen.

Alle anderen Sportster-Fahrer in Wichita und drum herum wollten dann natürlich auch.« Osborn stieg mit in die Firma ein. »Es dauerte nicht lange, da waren die Lieferbestände für KH-Wellen ausgetrocknet. Wir entschieden, unsere eigenen Hubscheiben herzustellen. Ich fand einen Formenbauer und eine Gießerei – schon waren wir im Geschäft.« Jahre später erst mussten sie ihr auf Sportster-Tuning errichtetes Geschäft um Kurbelwellen für Big Twins aufstocken. Truett & Osborn sind als US-Traditionsfirma bis heute in der Lage, die alten Hubscheiben zu liefern.
Mehr Stroke für die Harley Sportster
Aber T&O waren nicht die einzigen auf diesem Markt. Angeblich war es Wade Lentner, Harley-Davidson-Händler in Ottumwa/Iowa, der als erster eine limitierte Auflage von Stroker-Wellen für Sportster gewerbsmäßig herstellte. Er nutzte seine Beziehungen zu Doc Dytch von Dytch Sales, der sowohl Stroker-Zylinder als auch Big-Bore Zylinder (größerer Bohrungsdurchmesser) und passende Kolben fertigte. Dytch hatte diverse Kits im Programm. Er bot sowohl die eigenen, gegossenen Kolben, eine geschmiedete Version mit Aufpreis als auch die Forgedtrue genannten Kolben, die, zur Reibungsminimierung, im Kolbenhemd mit eingesetzten Molybdändisulfid-Nylon-Anlagepunkten versehen waren. Damit nahm Dytch in den Sechzigern die heute übliche Technik der Kolbenbeschichtung mit solchen Materialien vorweg.

Rezepte zur Leistungssteigerung waren vielfältig: Der Kalifornier Bob Hall, von U.S. Motorcycles and Engineering in Lynwood beispielsweise, galt eher als ein Verfechter des »milden« Tunings. Bob, der sich als Customizer, Tuner und Veranstalter von Customshows einen Namen gemacht hatte, predigte offene Auspuffrohre für freien Durchfluss der Gase, einen größeren S.U.-Vergaser, Zylinderkopfbearbeitung, exaktes Auswuchten der Kurbelwelle und die Feineinstellung von Zündung und Vergaser.
Dragrace-Einfluss
Sonny Raslawski, erfolgreicher Drag Racer und Betreiber von Sporter Motors im kalifornischen Canoga Park hingegen, wollte erst an Auspuff und Vergaser gehen, wenn der Motor besser atmen kann. Vorher, so empfahl Sonny, sollten als erster Schritt die Kanäle im Zylinderkopf geglättet und Ventilsitze für besseren »Gasflow« gerundet sein. Als Nockenwelle riet er, die Sifton PB zu nehmen, bevor auch er an die Spritzufuhr gehen wollte. Raslawski – »World`s Quickest Polak« – wie er damals genannt wurde, bot seinen Kunden den Service an, den Tillotson Vergaser entsprechend aufzubohren. Erst dann sollte man an höhere Kolben denken, wie beispielsweise die für eine Kompression von 10:1 guten M/C Supply Kolben, oder seine eigenen, aufgeschweißten Kreationen.

Eigentlich war Sonny aber ein Jünger der Hubraumerhöhung, der obige Empfehlungen nur zur Ergänzung vorsah. Auch sein heißestes Rezept: Mehr Stroke! Neue Schwungscheiben und Kolben und die Bearbeitung des Motorgehäuses – damit auch alles passt – kosteten bei ihm um die 600 Dollar und brachten einen Hubraum von knapp 1100 ccm (65 cui) zustande. Mit größeren und höheren 11,7:1 Dytch-Kolben und den speziellen, verstärkten Dytch-Zylindern, war bei ihm ein Hubraum von 1273 ccm (76 cui) machbar.
Sportster-Tuning
Die maschinelle Arbeit an den Dytch-Zylindern erledigten Shorty und Neva Axtell. Die beiden übernahmen 1972 Dytch Sales und die Firma wurde zu Axtell Sales. Der Name Axtell war ab sofort, sowohl im Sportster-Tuning als auch im Customizing, nicht mehr wegzudenken. Auf der Suche nach Leistung halfen große Ventile, Nockenwellen, wie Meister Sifton sie lieferte und aufgebohrte Vergaser.

D. William Denish, heute Buchautor mit Spezialgebiet V-Twin-Tuning, über seine heißgemachte Jugendliebe: »Im Winter ‘64 warf ich die serienmäßigen Motorteile raus. Sie wurden ausgetauscht durch eine langhubige KH-Kurbelwelle, Doc Dytch Zwei-Ring Stroker-Kolben, Sifton Minus-Plus-Nocken, große XLR-Ventile, einen aufgebohrten Linkert DC-Vergaser mit Ansaugtrichter, ausgeräumte Schalldämpfer und einen enggestuften Getrieberadsatz. Der überarbeitete 65 cubic inch Motor brachte die Sportster auf dem Viertelmeile-Strip bei einer Gesamtzeit (E.T.) von 12.10 Sekunden auf 177 km/h.« Doch er hatte nun tierische Probleme, den 65-Incher anzutreten. »Es war eine Katastrophe, weil der Kickstarter grausam zurückschlug.«
Die Bestie schlug zurück
Seine Kumpane verrieten ihm Tricks, wie beispielsweise während des Kickens den Zündungs-Killschaltknopf gedrückt zu halten und ihn erst auf halber Abwärtsbewegung loszulassen. Doch einmal erwischte es ihn doch. Die Bestie schlug so hart zurück, dass er sich den Knöchel stauchte und die Bänder zerrte. Über einen Monat mussten seine Freunde für ihn das Gerät ankicken. Trotzdem, oder gerade deswegen baute er im Winter 1967 weiter um. Er rüstete auf 3-3/16” Big Bore Zylinder nebst dickeren Kolben von Dytch um, ersetzte die „Minus-Plus-Nockenwellen von Sifton gegen einen Minus-Minus-Kit, setzte stärkere, geschmiedete S&S-Kurbelwellenhubwangen mit 117.47 mm (4-5/8“) Hub ein und verstärkte das Kurbelgehäuse an empfindlichen Stellen.

Nun mit Big Twin gleichen 1200 ccm (74 ci) ausgestattet, schaffte er es auf dem Drag-Strip auf 188,3 km/h bei einer E.T. von 11.40 Sekunden. Die neuen Nocken von Sifton hatten das Kickstarten des Motors risikoloser gemacht. Im Winter 1968 wurde der aufgebohrte Linkert gegen einen brandneuen Vergaser gewechselt. Denish hatte eines der ersten 100 von S&S gebauten Exemplaren ergattern können. Schließlich blies er, mittels 3-7/16“ Zylindern von Trock, den Hubraum seines Sportster-Motors auf mächtige 1410 ccm (86 cui) auf. Nun war ein 2“-Vergaser von S.U. angeschraubt. Die Zylinderköpfe hatte D. William Denish bei Wes Baisley in Oregon entsprechend aufarbeiten lassen.
Harley Sportster – Von Null auf 195
Jetzt schaffte die Sportster es in 11.10 Sekunden auf fast 195 Stundenkilometer. Und das alles mit schmalen Straßenreifen und ohne Wheely-Bar. »Zu diesem Zeitpunkt hatte der Motor definitiv mehr Leistung als der serienmäßige Rahmen und der Hinterreifen verkraften konnten …« blickt Dehnish zurück. Die Drag Race Szene lebte mit Namen wie dem Tuning Spezialisten Tom Sifton, der von 1933 bis in die späten fünfziger Jahre eine Harley Vertretung in San Jose in Kalifornien betrieb. Er war der Mann, der für Harley-Davidson die Werks-Rennnockenwellen herstellte und nach dem Verkauf seiner Vertretung sich weiter seinen Tuning-Fähigkeiten widmete. Während Denish auf Baisley vertraute, bauten andere Sportster-Fahrer auf die Fähigkeiten von »Mr. Flowbench« Jerry Branch.

Neunundzwanzig Jahre hatte er für Harley-Davidson mit Rennmotorrädern gearbeitet, bis er sich selbständig machte. Branch Flowmetrics wurde zur Adresse Nummer 1. Hier hatte sich einer wirklich erfolgreich mit der Zylinderkopf-Atmung beschäftigt. Ach ja, und dann war da noch ein gewisser George Smith und seine Firma S&S. Mister Smith hatte schon 1961 eine ganze Reihe an Stroker Kits und größere Ventile für die Sportster im Programm. Sieben Jahre später kam der erste eigene S&S Vergaser in den Verkauf. Stroker-Wellen waren mit bis zu 5“ Hub (127 mm!!) zu haben, 1971 gab’s Big Bore-Zylinder mit 87,3 mm Bohrung und 1975 kam der legendäre Tränen-Luftfilter ins S&S-Programm.
Die Geburtsstunde von Drag Specialties
Eine der schillerndsten Figuren der Sportster-Szene war Tom Rudd. Rudd hatte es vom nebenberuflichen Wochenend-Reparaturdienst in den Fahrerlagern, zum erfolgreichen Dragracer und schließlich zum Millionär geschafft. In der Lake Street in Minneapolis, Minnesota, startete er mit zwei Freunden die Firma Drag Specialties und belieferte zunächst Rennfahrer und andere Leistungshungrige … und wir stoßen bei unserer Recherche auf eine Szene, die die Rennveranstaltungen besucht und sich dort aber auch Anregungen für den Umbau ihrer Custombikes besorgt. Diese Bewegung, bei der die Ausstattungsmerkmale von Hillclimb-, Geländesport-, Dirttrack- und Straßenrennmaschinen als optische Aufwertung der eigenen Motorräder genutzt wurden, hatte schon in den dreißiger und vierziger Jahren Anhänger gefunden.

In den Fünfzigern wurde daraus ein regelrechter Trend: Kleinere Tanks und minimalisiertes Zubehör zur Verminderung des Fahrzeuggewichts, hohe Lenker und ein klein wenig längere Gabeln für mehr Bodenfreiheit. In den sechziger Jahren waren aus den knapp geschnittenen Bobbern, richtig wild aussehende Chopper geworden. Es war cool aufzufallen. Chrom und Lack akzentuierten die Bikes. Show rules …
Mixing and matching
Randy Smith war einer, der den Brückenschlag zwischen Racebike und Custombike relativ früh schaffte. Seine »45 Magnum« ist legendär. Das war eine WL Flattie, deren Motor mit Sportster-Zylindern und -Köpfen aufgebaut war, und die mit italienischer Telegabel und viel leichtem Aluzubehör ausgestattet »for show and go« taugte. Randy gründete schließlich 1967 die Aftermarket Company »Custom Cycle Engineering«. Seit den frühen Sechzigern hatte auf den Straßen Kaliforniens eine kleine Revolution stattgefunden. Gabeln waren immer länger, Lenker-Formen verrückter geworden. Und ein Chopper war erst einer, wenn der Rahmen zersägt und für die langen Gabeln abgeändert war. Auch Tom Rudd sah bei diesen Leuten ungeheures Potenzial, kreierte fortan Zubehör für Chopper und lieferte in die ganzen Staaten. Oft standen die Labels anderer großen Firmen auf den Packungen – seine Firma Drag Specialties trat dabei nicht immer in Erscheinung.

Gegen Ende des Jahrzehnts fungierte schließlich der Film Easy Rider als Eisbrecher. Sogar hier diesseits des großen Teiches. In den USA nahm nun eine breitere Masse Notiz von dieser Subkultur. Die Chopperfahrer unter sich waren sich allerdings selbst nicht einig, was denn nun ein Chopper sein durfte. Viele waren der Meinung, dass nur Hogs, also die Big Twins von Harley, echte Chopper abgeben durften. Doch gleich Anfang der Siebziger, bekamen diese Leute heftigen Wiederspruch. Nach Erscheinen diverser Magazine, die es nun speziell für Chopper-Fans gab, hatte Amerika neue Idole bekommen: Schrauber, wie Barry Cooney und Arlen Ness beispielsweise, wurden zu Stars der Szene. Und diese Stars bauten ihre Showbikes bevorzugt mit Sportster-Motoren auf. Dabei verwendeten Ness und Co, oft selbstgebaute Rahmen und Springer-Gabeln. Arlen selbst war mit dem Vertrieb einbaufertiger, verchromter Gabeln und Lenker ins Custom Business eingestiegen.
Harley Sportster, nun mit Extrem-Gabeln
Es war eine Zeit des Umbruchs. Mitte bis Ende der Siebziger verschwanden die extremen, langgabeligen Chopper mit meterhohen Rückenlehnen fast ganz aus den Magazinen. Auf den Straßen der USA hingegen sah es anders aus. Chopper mit Girder- und Springer-Gabeln aus verdrehtem, verchromtem Vierkantstahl, wie sie beispielsweise A.E.E, D&D, Ron Finch oder Smith Brothers & Fetrow hergestellt und vertrieben hatten, waren immer noch in Aktion zu sehen. Aber sie wichen zunehmend kürzeren und vor allem glattflächigeren Versionen. Die Low Rider der Bay Area von San Francisco und Oakland eroberten zumindest die Showbike- und Magazinwelt. Das wachsende Imperium des Arlen Ness war dabei, sich immer weiter zu vergrößern.

Mit Kreationen wie der »Two Bad«, mit zwei gekoppelten Sportster-Motoren, oder Nesstique, einer optisch auf zwanziger Jahre gemachten Sporty, zog Arlen alle Register der damaligen Profis. Vergoldungen und Gravuren waren nur übliches Beiwerk. Ness fügte Serien von Gabeln, Rahmen, Lenker, Prismen-Tanks und Schutzbleche ins Programm ein und er adaptierte wohl als erster die Kettenblattbremse vom Go-Cart ans Custombike. Arlens Ideen waren prägend und fanden weltweit Nachahmer. OK, in Deutschland war dem ein erst kurz zuvor geschmiedeter Riegel, TÜV genannt, vorgeschoben. Anfang der siebziger Jahre war noch so vieles erlaubt gewesen. Doch irgendein TÜV-Oberschläuling hatte dann die Idee, nur noch Zubehör mit Prüfzertifikat am Fahrzeug zu dulden. Die ersten TÜV-geprüften Lenker und Gabeln kamen zwar bald, jedoch wollte hierzulande kaum ein TÜV-Ingenieur Rahmenänderungen zulassen.
Why wait for Milwaukee?
1978 bewarb Alan Sputhe seinen neu entwickelten Bausatz für die 1000 ccm-Sportster. Sputhe-Zylinderköpfe waren aus leichtem, besser die Wärme abführenden Aluminiumguss anstatt aus Gusseisen. Und sie waren für den Anbau zweier Vergaser vorbereitet. Auf dem El Mirage Dry Lake in Südkalifornien ging eine solche Sputhe-Sportster mit 157 mph (252,66 km/h) durch die Messstrecke. 1979 begann Sputhe Engineering komplette Sportster-Motoren mit etwas über 1300 ccm Hubraum zu bauen. Massive Verbesserungen steckten im Detail. Der augenfällige Doppelvergasermotor mit Alu-Zylindern und –Köpfen, hatte die Auspuffanlage auf der linken Seite. Es war der erste komplette einbaufertige Motor des Zubehörmarktes. Es war überhaupt der erste für die Straße gebaute Zubehörmotor für Harleys, der erste mit Aluzylindern und -Köpfen und der erste mit 100 Pferdestärken.

Dave Strociek nannte man »den verrückten Russen« aus Illinois. Und er war es deswegen, weil er mittels modernster Maschinen aus massiven Blöcken hochfesten Aluminiums Zylinder, Zylinderköpfe, Kipphebel, Kolben und Vergaser fräste und drehte. Strocieks Big Bore-Zylinder für Sportster waren in Größen bis 3,75’’ (95.25 mm) Bohrung erhältlich, brachten also schon mächtige 84 cui Hubraum, ohne dass man mit einer Stroker-Kurbelwelle hätte den Hub vergrößern müssen. Allerdings war eine Aufweitung des Kurbelgehäuses nötig. Drei Jahre später bot Dave Strociek gar Sportster Umbau Kits auf 102 cui (1672 ccm) an.
Effektive Vergaser
Sein X-10 »Street Performance«-Vergaser mit 44,45mm Durchlass hatte eine einstellbare Hauptdüse, so dass nach einer Motoroptimierung über Nockenwellen, Hubraumerhöhung oder offener Auspuffanlage, nur durch einfaches Verdrehen der Einstellschraube die Korrektur am Vergaser vorgenommen werden konnte, also keine Düsen zu wechseln waren. Doch das eckig gefräste Teil war teuer. Zu teuer im Vergleich zur Konkurrenz. Die hieß vor allem S&S und hatte mit ihrem »S&S Super Carb« schon lange ein erprobtes Tuningteil am Markt. Noch günstiger war es, wenn man sich vom Schrottplatz einen italienischen »Weber«-Doppelvergaser oder einen britischen »S.U.«-Vergaser holte.

Schon 1968 meinte Ed »Big Daddy« Roth in seiner Zeitschrift »Choppers Magazin«, der Anbau eines S.U. wäre effektiver und einfacher, als die Modifizierung der Köpfe auf den Anbau von doppelten Amal- oder Linkert-Vergasern. Solche Änderungen waren natürlich immer in Einzelanfertigung durchzuführen. Erst 1973 gab’s eine Anbauanleitung mit dem Hinweis, dass anbaufertige Manifolds (Ansaugstutzen) von Cycle Reseach and Development Co zu beziehen wären. S.U. Vergaser-Kits gelten heute als Bolt On Parts. In der richtigen Größe und voreingestellt, sind sie in verchromter Ausführung von Rivera erhältlich.
Show & Drag
Teilweise wurden diese monströs abstehenden Vergasergebilde nur noch durch noch massigere Kompressoren oder Turbolader getoppt. Was auf dem Dragstrip taugte, konnte an einem Showbike nur zusätzliche Punkte bringen. Auf der Straße beeinträchtigten solche abstehende Gewächse die Fahrbarkeit allerdings dann doch zu sehr. Eher schlicht aussehende Stroker Kreationen brachten da schon mehr Alltagstauglichkeit. William »Smitty« Smith, Member des Galloping Gooses MC, hatte es von Los Angeles nach Chicago verschlagen. In seinem Laden »Cycle Creations« baute er schon Mitte der sechziger Jahre 20 bis 30 Chopper jährlich.

Seine ersten Versuche im Drag Racing unternahm er mit einer Harley Sportster, der er die Zylinder, Kolben und Köpfe einer Panhead aufgepflanzt hatte. Solche Umbauten, die dann entsprechend der Herkunft der Köpfe Panster, Shovster oder Knuckster genannt wurden, waren die Spezialität der Gegend um Chicago. Erst sehr spät gab es für solche Kreationen auch Komplettumbausätze. Was anfangs ihre Exklusivität sicherte und auch die Edelschrauber von den Bastlern schied. Noch in den späten achtziger Jahren kamen Star-Customizer wie Dave Perewitz mit solchen Geräten auf die Bikeshows.
Harley Sportster Sondermodell
Harley selbst, brachte vier Jahre vor dem 30. Jubiläum das Sondermodell XR 1000. Dafür hatte man Anleihen beim Flat Track Renner XR 750 genommen. Auf gusseisernen Zylindern mit durchgehenden Zugankern, saßen, von Jerry Branch getunte, leichte Aluminiumzylinderköpfe. Zwei 36er Dell`Orto Vergaser mit zylindrischen K&N Luftfiltern, hingen an der rechten Seite des Motors. Die Auspuffanlage war halbhoch linksseitig verlegt. Mit ihren 71 PS und unbändigem Drehmoment gab man ihr schnell den Spitznamen, den auch die aktuelle Straßenrennmaschine trug: »Lucifers Hammer«!

In einem Zeitraum von dreißig Jahren hatten unabhängige Tuner die Konstruktion der Harley Sportster immer wieder weiter über die hoch gesteckten Grenzen getrieben. Doch 1986, bei Einführung der EVO Sportster (zunächst mit 883 und 1100 cm), war Harley immer noch nicht gewillt dem amerikanischen »bigger is better« Ruf zu folgen. Erst 1988 kam der 1200er Motor. Nach 65 Jahren Bauzeit verschwand die Sportster 2022 aus dem Harley-Modellprogramm – wir sind darüber immer noch traurig!


Horst Heiler
Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.