Was kostet es, eine Simson Schwalbe vom durchgerittenen Schrotthaufen in »besser als neu« zu verwandeln? Deutlich mehr jedenfalls, als wir anfangs dachten …

Mit 15 Jahren schneller als 45 km/h zu fahren ist in Deutschland eigentlich nicht drin. Dank dem Einigungsvertrag zwischen Ost und West darf die Simson Schwalbe jedoch ganz legal 60 Sachen fahren. Die Nachfrage nach den Ostvögeln ist dementsprechend groß, die Preise happig. Für eine fahrbereite Schwalbe im mittelprächtigen Zustand sind 1.500 bis 2.000 Euro einzuplanen. Wer sie flott und fein machen will, muss natürlich deutlich tiefer in Tasche greifen. Anhand unseres ehemals saharagelben Exemplars zeigen wir, was der Spaß kostet.

Simson Schwalbe – ab 1980 ohne Gebläsekühlung

Als erstes Mitglied der sogenannten Vogelserie kam die Simson Schwalbe im Jahr 1964 auf den Markt. Da sich in den Fünfzigern gezeigt hatte, dass die Nachfrage nach Zweisitzern groß ist, war eine der höchsten Prioritäten in der Entwicklung der Soziusbetrieb. Um mit dem zusätzlichen Gewicht umgehen zu können, entwickelte Simson einen neuen 3,8 PS starken Motor, der mit einer Dreigang-Handschaltung kombiniert wurde. Die ältere Technik der frühen Schwalben lassen sie wirklich mehr wie Oldtimer wirken, sie hat weniger Drehmoment und klingt rauer. Mit den Jahren kamen eine Dreigang-Fußschaltung und weitere Komfortoptionen hinzu.

Unsere saharagelbe KR 51/2 wurde viel gefahren und wenig gepflegt. Kein Tacho, kein Licht, kaputter Blinker, undichter Auspuff, ein Asi-Vergaser und jede Menge Dreck. Die Schwalbe hatte eine Generalüberholung wirklich schwer nötig. Denn irgendwann ist eben Ende, dann hilft nur noch die Verlegung auf die Intensiv-Station

1968 ging die KR 51/1 in Produktion. Hier war nun erstmals ein Vierganggetriebe sowie ein überarbeiteter Motor im Einsatz. Die jüngsten Schwalben sind die ab 1980 gebauten KR 51/2-Modelle, mit dem 3,7 PS starken M541-Langhubmotor. Dieser kommt ohne Gebläsekühlung aus und ist dadurch leichter zu warten und zu zerlegen.
 Er fährt sich im Vergleich wesentlich moderner, ist sparsamer und hat den besserem Durchzug. Die olle 6V-Anlage sorgt hingegen bei allen Generationen für flackernde Funzeln und schwächlichen Saft in allen Adern.

Natürlich locken die 60 Sachen, die die Schwalbe legal fahren darf

Auch wenn die Schwalbe nicht zuletzt aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und einfachen Handhabung so beliebt war, sind die meisten unrestaurierten Schwalben mittlerweile in schwer marodem Zustand. Originale Modelle in sehr gutem Zustand sind kaum zu finden, daher gehen viele Vogelbesitzer den Weg eines kompletten Neuaufbaus. Da die Schwalbe einfach gebaut ist, ist eine Restauration kein Hexenwerk, wenngleich man natürlich schon wissen sollte, was man tut. Ein erfahrener Simson-Schrauber zerlegt das Möppchen in weniger als zwei Stunden.

Zunächst wird der Vogel komplett gerupft. Unterm Blechkleid findet sich jede Menge Gammel und eine arg verbastelte Elektrik, die komplett in die Tonne wandert. Ebenso wie der Gartenschlauch zur Luftansaugung. Das funktioniert zwar alles irgendwie, wird jetzt aber neu gemacht und sauber verlegt. Wenn schon, denn schon …

Der Vogel, um den es hier geht, ist uns wortwörtlich zugeflogen: Der Nachbar eines Kollegen hätte seit 15 Jahren ’ne ’86er Schwalbe im Keller stehen, ist sie nie gefahren und will sich trennen. 750 Euro? Gekauft! Der Nachwuchs ist ja im richtigen Alter fürs erste Moped und ein asiatischer Automatikroller kommt selbstredend nicht in Frage. Natürlich locken primär die 60 Sachen, die die Simson ganz legal fahren darf. Es ist noch nicht lange her, da war für 15-jährige beim Mofa und damit bei 25 km/h Schluss. Es wird nicht alles schlechter … Weitere Pluspunkte: Ein Versicherungskennzeichen kostet nur paar Euro im Jahr, und der TÜV hat bei ’nem Mokick (nennt man das heute überhaupt noch so?) nichts zu melden.

Bis zur Fahrbereitschaft kommt unsere KR 51/2 auf 1.250 Euro

Obendrein eilt der Schwalbe der Ruf von Robustheit und Zuverlässigkeit voraus. Im Falle unseres saharagelben Exemplars ist es damit nicht so schrecklich weit her. Reichlich angegammelt und ziemlich verbastelt rollt sie auf unseren Hof. Aber bei dem Preis verbietet sich jegliches Gemecker. Da der Junior ohnehin nicht gerade pfleglich mit Dingen umgeht, liegt das Hauptaugenmerk zunächst mal nur auf Fahrbereitschaft. Also neue Reifen, neuer Kettensatz und den siffenden Vergaser ersetzen. Bon, das Ding springt an und läuft. Aber nicht lange, denn sobald das Motörchen warmgefahren ist, stellt es den Dienst wieder ein. Die 6-Volt-Zündanlage ist durch. Eine gute Gelegenheit für Nägel mit Köpfen: Eine kompletter 12-Volt Vape-Umrüstsatz inklusive Batterie und sogar Glühbirnchen kostet um die 300 Euro und ist in jeder Hinsicht eine gute Investition. Bis zur Fahrbereitschaft kommt unsere KR 51/2 auf 1.250 Euro. Das ist immer noch ein veritables Schnäppchen.

Typische Problemstellen: Ausgeschlagene Ständeraufnahme kurz vor dem aus­reißen. Erstmal entlacken und dann eine neue Hülse einschweißen

Mehr als zwei Jahre, zwei Stürze, zwei Blinkersätze, vier Tachowellen über 10000 Kilometer sowie viele schöne Erinnerungen später ist der Vogel kaum noch flugfähig. Der Zweitakter pfeift aus dem letzten Loch, leidet unter Inkontinenz und will kaum noch Gasbefehle annehmen. Mit verdellertem Panzer, reichlich Rostansatz, übelst verbastelter Elektrik, kaputtgestürzten Blinkern, ranzigem Abblas-Auspuff und komplett verdreckt bekomme ich das Teil vom Junior zurück. Immerhin, die Trittbretter sind noch dran und mit Bindfaden festgezurrt, da alle Schrauben abgefallen sind. Kein Kabelbinder, Bindfaden! Wo hat der Junge solche Ideen her?

Der Vogel wird einmal komplett gerupft und neu gefedert

Wie auch immer, die Zeit der Kompromisse ist vorbei, jetzt gibt’s das große Programm. Der Vogel wird einmal komplett gerupft und neu gefedert. Daniel vom Simsonhof steht uns zur Seite. Er hat schon unzähligen Ost-Mopeds neues Leben geschenkt, kennt die typischen Schwachstellen und weiß, was bei einer kompletten Restauration zu beachten ist. Und er hat einen Maschinenpark, von dem wir nur träumen können.

Nach dem Entlacken des Heckpanzers zeigt sich, dass er kaum mehr zu retten ist. Beim Schweißen tauchen immer neue Löcher auf, die beim Ausgasen der irgendwann mal eingeschweißten Bleche entstehen. Einfach zuspachteln ist da keine Option

Glücklicherweise ist die Ersatzteillage für den Schwalben erstklassig. Es gibt wirklich alles, und die Preise sind bezahlbar, längst nicht so abgehoben wie die für Gebrauchtfahrzeuge. Die Ostoase aus der Nähe von Zwickau hat alles im Programm, was das Schwalbenherz begehrt. Wir bestellen Neuteile für knapp 1.500 Euro. Abgesehen von Rahmen, Schwinge, den Verkleidungsteilen, der Sitzbank und dem Lenker wird quasi alles neu verbaut. Dabei sind auch Kleinigkeiten wie das Sicherungsblech für den Ansauggeräuschdämpfer, die Auflagescheibe für den Schwingenträger und vieles mehr. Aber auch Elementares wie schwarze Alu-Speichenfelgen.

Simson Schwalbe mit Motogadget-Blinkern

Als Kontrast zur mintfarbenen Pulverbeschichtung wird ohnehin fast alles, was vorher fade in matt-verwitterter Metalloptik vor sich hin gammelte, satt geschwärzt. Das matcht! Diese Schwarz-Mint-Kombination ist der einzige Custom-Einfluss unseres Restomöpps – neben dem Wegfall der originalen Eier-Blinker. Mögen diese noch so kultig sein, die Lenkerenden-Blinker von Motogadget sind für uns die klar bessere Wahl. Völlig unauffällig, aber strahlend hell bei der Fahrtrichtungsanzeige sorgen sie für einen Hauch Moderne.

Neue, geprüfte und gerichtete Kurbelwelle, Venandi-Kolben, neue Zahnräder

Ebenso wie der Antrieb. Unsere KR 51/2 ist mit dem flotten M541-Aggregat bestückt. Der äußerst einfach aufgebauter Zweitakter braucht wirklich nicht viel, um zuverlässig von A nach B zu flitzen. Trotzdem sollte man bedenken, dass nach etwa 30.000 Kilometern eine Überholung ansteht, was angesichts der einfachen Technik aber kein Hexenwerk ist. Unser 50 Kubik Zweitakt-Motörchen bekommt komplett neue Innereien, der Zylinder wird entgratet, geschliffen und gehont. Eine fein justierte Kurbelwelle, Premium-Kolben von Venandi und neue Getriebezahnräder sorgen dafür, dass sich unsere Schwalbe nach dem 500-Kilometer- Einfahrmarathon traumhaft schalten lässt und rennt wie verrückt. 60 läuft sie jederzeit locker, auch bei Gegenwind und sogar die Brücken hoch.

Ein Umbauset auf Duplex-Stopper kostet um die 300 Euro

Die Verzögerung am Vorderrad bleibt hingegen mies. Trotz neuer Premium-EBC-Beläge will sie auch bei heftigem Reinlangen kaum langsamer werden. Das wurde zwar während des Einfahrens nach und nach etwas besser, aber ein giftiger Stopper wird diese Anlage nicht mehr. Eine bessere Anlage wäre keine schlechte Idee, ein Umbauset auf Duplex-Bremsen kostet um die 300 Euro. Oder gleich auf Scheibenbremsen umrüsten. Das wäre aber bei unserem Restomod-Projekt zu viel des Guten gewesen und immerhin packt die Trommel im Heck sehr anständig zu. Mal schauen, ob wir uns irgendwann noch auf die Duplex-Nummer einlassen …

Bei der Restauration war der Custom-Aspekt nebensächlich, nur Farbgebung und die Motogadget-Blinker sorgen für Individualität. Das reicht für das alte Federvieh, das auch so voll in unser Zweitakt-Herz sticht

Fast alles gut also. Bis auf den Rückspiegel, da muss noch einer in klassischer Optik dran. Und die Sitzbank wird noch gegen eine straffere, flach und hart gepolsterte Version getauscht. Auch die rechte Beifahrerfußraste braucht noch eine Modifikation. Der neue Auspuffhalter lässt nämlich die leicht nach vorne gerichtete Montage der Raste aktuell nicht zu. Alles Peanuts im Vergleich zu dem, was wir schon hinter uns haben. Dass am Ende knapp 4.500 Euro auf dem Zettel stehen, lässt uns zwar schlucken, aber wenn man sieht, was für Preise mittlerweile für echt abgefuckte Böcke aufgerufen werden, passt das dann doch.

Info | ostoase.de

 

Redaktion
Custombike bei Custombike | Website

Seit 1992 präsentiert CUSTOMBIKE umgebaute Motorräder aus aller Welt und aller Stilrichtungen. Vom Lowbudget-Bike des Privatschraubers bis hin zum High-End-Custom vom Profi zeigen wir alles, was sich auf zwei Rädern bauen lässt. Dazu gibt es praxisnahe Techniktipps, Informationen über Zulassungsbestimmungen, Fahrtests, Garagenstorys, Eventberichte, Interviews und vieles mehr rund um umgebaute Motorräder.

Nicht zuletzt richten wir jährlich den größten Umbauwettbewerb Europas und veranstalten mit der CUSTOMBIKE-SHOW in Bad Salzuflen die weltweit größte Messe für individualisierte Motorräder.

Marken- und stilunabhängig ist CUSTOMBIKE niemandem außer seinen Lesern verpflichtet.

Die Printausgabe der CUSTOMBIKE gibt’s jeden Monat neu am Kiosk.