Diese Räumlichkeiten auf dem Gelände einer ehemaligen Pelzfabrik bloß als Garage zu bezeichnen, würde der Realität nicht gerecht werden
Messestadt Leipzig: seit 1190, und damit eine der ältesten der Welt. Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy, 600 Jahre alte Universität, seit Generationen bedeutender Buch- und Pelzhandel und mit dem modernen Interkontinentalflughafen einer der wichtigsten Frachtumschlagplätze im Zentrum Europas. Sinn für Kreativität und Weltoffenheit haben in der größten Stadt Neufünflands Tradition. Das war selbst zu DDR-Zeiten so, als sich hier das erste sozialistische Bordell für westliche Kapitalisten etablierte.
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Und von der Nikolaikirche gingen die berühmten Montagsdemonstrationen aus, die schließlich zur deutschen Wiedervereinigung führten. Man denkt hier also gern im großen Maßstab, und so darf man sich über nichts wundern.
»Du fährst die Straße am Maisfeld lang bis zum Ende. Dann durch das Tor bis zum großen Platz, dort hältst du dich links und fährst immer weiter, bis du uns siehst«, bekomme ich die Anfahrtsbeschreibung zur »Garage« südlich der sächsischen Metropole.

Vorbei an Lastzügen vor ausgedehnten Lagerhallen halte ich auf die Rauchsignale einer Menschenansammlung zu, die ein bisschen wie eine südländische Großfamilie wirkt: Spielende Kinder zwischen rangierenden Autos, die aufgestellten Tische werden gerade mit Selbstgemachtem überladen, der Qualm des angefachten Grills vermischt sich mit Zweitaktfahnen. Denn hier parken keine Fiat Familiare, sondern Wartburg Camping. Und sie werden rangiert, um vor allem den Blick auf die Motorräder frei zu geben. Deren Spalier eskortiert durch ein breites Tor zu einem zweigeschossigen Gebäude innerhalb der Halle, überm Eingang wie ein Pterosaurus das Modell einer Ju 52.
Garage in der alten Pelzfabrik
Könnte so vier Meter Spannweite haben, ist von unten schwer zu sagen. „Tja, das isses“, sagt Michael Pütz, dem wir die Einladung zu verdanken haben. »Hamwer alles selbst gebaut, als wir eingezogen sind.« Das geschah natürlich erst, als die Pelzverarbeitung der hier gezüchteten Zobel und Nerze Vergangenheit war.

»Da standen noch Nähmaschinen und jede Menge anderes Zeug rum«, erinnert sich Micha. »Irgendwie eine seltsame Atmosphäre.« Sechs Leute bilden den harten Kern, der diese voll ausgestattete Schrauberhöhle hochgezogen hat. Hier gibt’s alles, von der Drehbank bis zur Kaffeemaschine, vom Standbohrer bis zur Kronkorkenrutsche.
Allerlei Fundstücke
Mit so einem Spielgerät bundesweit aufgestellt, ließe sich der Wiederverwertungswille der Bevölkerung sicher motivieren. Über der Sitzecke mit Kühlschrank, Mikrowelle und Musikanlage prangt das Schild der Tivoli-Bar. Genau: Das ist das Original, das westlichen Managern den Weg in real existierende Feuchtgebiete leuchtete. »Da sind wir zufällig vorbei gekommen, als sie’s grade abmontierten und wegwerfen wollten«, erklärt Micha.

»Wir haben natürlich gefragt, ob wir’s mitnehmen können. Das ist doch ein Stück Zeitgeschichte, Mann!« Die Zeitgeschichte tropft hier geradezu von den Wänden. Ob Testberichte über Awo, Werbung für die neue Yamaha XS 650 oder korrekte Arbeitsanweisung für die werktätige Bevölkerung. Und die Werktätigen sind: Alex, der sich besonders für Caféracer und Ur-Krostitzer-Bier interessiert.
Garage mit Autos und Motorrädern
Neben einer Honda Clubman und Awo Sport mit Seitenwagen nennt er einen tiefer gelegten Wartburg 311 sein Eigen und ist sich bei allem Hot Rodding nicht zu fein, an 50er Mopeds zu schrauben. Da ist es nur konsequent, dass er auch ein echtes Awtovelo – ein Simson-Fahrrad – vorm Verschrotten gerettet hat. Wie er, ist auch Jens Ingenieur für Klima- und Lüftungstechnik. Der versucht jedoch, eine EMW 350 am Leben zu halten, nachdem seine BMW Rockster geklaut wurde, und hat als Ehemann und Papa auch andere Hobbies.

Dagegen ist Jörn noch zu haben. Also aufgemerkt, die Damen, der Platz im Stoye-Seitenwagen seiner Awo ist frei, und der kultige Wartburg 312 Camping ist voll familienkompatibel. Außerdem ist der Kfz-Ingenieur ein echter Versteher: Respektvoll »The Brain« genannt, weiß er alles über alles, und zwar in Theorie und Praxis. Der versteht sogar Aufbauanleitungen von Ikea-Schränken.
Man weiß ja nie …
Und ist ein begnadeter Tänzer. Nach Preisgabe dieser Intimitäten bekommen wir zwar vermutlich Garagenverbot, aber böten 20 Jahre deutsche Wiedervereinigung nicht Anlass für eine staatstragende Romanze? In die Geheimnisse eingeweiht hat uns eh Gastgeber Micha, ein Ossi aus Leidenschaft, wie er sagt. So sammelt der gelernte Schlosser erstmal alles, denn »man weiß ja nie, wie’s noch kommt.«

Dennoch sieht er sich Anfeindungen von ganz Ostalgischen ausgesetzt, hat er doch zwei IWL-Roller Berlin heftig customized, die würden sogar ZZ Top gefallen. Außerdem fährt er sein umgebautes Zeug nie, sondern verkauft’s gleich wieder. Dazwischen flucht er. Dann entspannt er gelegentlich bei der Fahrt auf einer Suzi VX 800, und den Wiesel-Roller für seine Frau darf er später sowieso nicht hergeben.
Neun zylinder begrüßen die Gäste
Eine Motorolla liebt auch Marcel, sie fährt einen weiteren IWL Berlin. Und eine Simson Schwalbe. Der Hobbymodellbauer selbst zweitaktet seinerseits mit 150er MZ und pflegt mit einem Awo-Gespann seinen Bootsfetischismus zu Lande wie zu Wasser. Ein Awo-Gespann chauffiert schließlich auch Tobi, der Sechste im inneren Kreis.

Sein Beiwagen ist jedoch kompletter Eigenbau und samt Maschine sehr oldschrullig patiniert. Da er die Suhler Geräte mit geschlossenen Augen zerlegen kann, ist natürlich beides technisch top. Außerdem hat er trotz seiner Vorliebe für alte Hot Rods einen eleganten Alfa Romeo Bertone und tüftelt gerade an einem original NVA-Trabant Kübel. An seinem 9-Zylinder im Eingangsbereich kommen wir nochmals auf dem Weg ins Obergeschoss vorbei.
Garage mit großem Materialfundus
Dort lagert der umfangreiche Materialfundus, von einem Regal voller Schalldämpfer, über zerlegte und komplette Motoren bis zu fertig restaurierten Seitenwagen. Ein eigens gebauter Aufzug in der Garage kann bei Bedarf ganze Fahrzeuge vertikal transportieren. Und die technischen Möglichkeiten im Erdgeschoss komplettieren hier nun eine Sandstrahl- und eine Lackierkabine. Natürlich mit ausgeklügeltem Absaug- und Belüftungssystem, bei zwei Klimatechnikern im Kombinat.

Tief beeindruckt verlasse ich diese Privatmanufaktur, und lass mich vor der Abfahrt mit Steak, Salat und anderen Leckereien zuwerfen. Denn Grillgrößen und Partylöwen sind sie eh alle, die Sechs von der Pelzfabrik.






















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