Shinya Kimura – Die Story des Zero-Designers und Star-Customizers



Shinya Kimura ist der Künstler unter den Ingenieuren. Und für nicht wenige ist er einer der besten Motorradbauer der Welt

Stille, absolute Stille. Dann das Schlagen eines Hammers auf Metall, ein kurzes Kratzen, Funkenschlag aus dem Schweißgerät, wieder Ruhe. Aus der dunklen Werkstatt kommt ein Mann auf uns zu, gibt freundlich die Hand. »Ihr kommt aus Deutschland?«“, fragt er in gebrochenem Englisch. »Ich mag Europa und die Motorräder von dort, seht ihr«, murmelt er und zeigt auf die schlichte Holzbühne inmitten des vielleicht 150 Quadratmeter großen Raumes. Auf den Brettern steht das neueste, noch nicht ganz vollendete Motorrad aus Shinya Kimuras Hand. Eine MV Agusta, Cafe Racer, pures Metall, fließende Form – eines von zwei, drei Motorrädern, die pro Jahr hier gefertigt werden. »Schaut euch ruhig um«, reißt uns Kimura aus der Faszination, die sein Werk auslöst. Wir stehen in der Werkstatt eines Künstlers, eines der einflussreichsten Männer der Customszene.

Shinya Kimura – Kindheit in der Werkstatt

»Ich bin groß geworden mit dem Geruch von Öl und Metall, das ewige Surren der Maschinen ist meine Erinnerung an die Kindheit«, Kimura wächst im alten Tokio auf, in der Fabrik seines Großvaters. Motorräder, Autos, Fahrräder, Werkzeuge, Maschinen – das sind die Dinge die ihn umgeben, die ihn interessieren, faszinieren. Mit 15 die erste Honda, später Suzuki OR50 Rebel. Der kleine Chopper wird ab 1979 in Japan produziert, trägt schon von Haus aus Custom-Anleihen. Kimura ändert trotzdem. Da seine Füße nicht auf den Boden reichen, legt er den Mini-Chopper flach, der Sitz wird kleiner, ein langer DT1-Tank montiert und tiefe Lenkergriffe für den Racerlook.

Zero pur: Kurze Springer an Gooseneck-Rahmen, winziger Tank, Bobber-Bereifung und Minimal-Sitz machen aus einer Shovel Kunst

Es wird früh sichtbar, was irgendwann sein Style werden wird. 1991 gründet Shinya eine kleine Firma in den Bergen von Aichi, nennt sie »Repairshop Chabo«. Chabo bezeichnet in Japan einen Kampfhahn, für Kimura bedeutet es Back to Basic. Während die Customizer weltweit das Dranschrauben für sich entdecken, konzentriert sich Kimura auf »das Weglassen des Bedeutungslosen«, inspiriert von japanischen Genres der Malerei und Druckgrafik. Erst repariert er in Aichi nur Motorräder japanischen Fabrikats, schließlich bringen die ersten Leute ihre Harleys. Kimura überredet sie, die Bikes zu choppen oder Serienteile gegen handgefertigte auszutauschen. Schon ein Jahr später hat sich sein Stil herumgesprochen und er bekommt eine einmalige Chance.

Die Geburt von Zero Engineering

Ein Konsortium aus Geldgebern will einen Motorrad-Shop eröffnen, Shinya Kimura ist vorgesehen, Chef-Designer, Mechaniker und Mastermind zu werden. Er greift zu, dreht seine Uhr auf Null: Zero Engineering ist geboren. Fünf Mechaniker werden angestellt und sollen eigentlich alte Motorräder restaurieren, sogar die komplette Fabrikation für BSA- und Triumph-Motoren ist angedacht. Doch Kimura gibt schnell eine andere Richtung vor, die bahnbrechenden Einfluss auf zahllose Schrauber weltweit haben wird. Zero Engineering wird zur Custom-Werkstatt.

Mit der 1950er WL-Flathead zeigt Kimura den Zero-Style 1995 das erste Mal einer breiten Masse. Das Bike baute er im Auftrag eines anderen berühmten Customizers: Chicara Nagata war früh überzeugt von den Künsten seines Landsmannes

Die Vorgabe beim Bau jedes Zero-Bikes ist zunächst die Verwendung eines Harley-Motors mit einem Baujahr vor 1985. Dazu kreiert Kimura eines seiner Markenzeichen, den Gooseneck-Rahmen – sehr lang, sehr flach. In der Front verbaut er Springergabeln, nutzt im Fahrwerk ausschließlich Speichenräder und stellt seine Motorräder oft auf Ballon-Reifen. Die Verwendung von Metall als Werkstoff genießt oberste Priorität, Plastik verabscheut der Meister. Das sind die technischen Fakten, und doch ist da noch mehr. Kimuras Bikes strahlen eine Faszination aus, der sich kaum einer entziehen kann. Handgedengelt, mal grazil und elegant bis ins Detail, mal unfertig erscheinend als gewollte Provisorien, krumme Linien, grobe Schweißnähte, fahrbereite Urgewalt.

Shinya Kimura – Fingerabdrücke des Meisters

Die »Fehler« an seinen Motorrädern sind wie Unterschriften, wie Fingerabdrücke des Meisters. An einem Bike verchromte Schutzblechstreben an den Fender geschmiegt, am nächsten derbe angeschraubte Flacheisen als Halterung. Mal handgedrehtes Messing für ein Lampengehäuse, mal ein aufgeschraubter, mit rot eingefärbtem Glas versehener Blinker als Rücklicht. Und noch ein absolutes NoGo in den 90ern. Sichtbar verlegte Leitungen und offene Zurschaustellung jeder noch so winzigen, technischen Lösung. Der krasse Gegensatz zum cleanen High End-Customizing der damaligen Zeit. Und doch steigt Zero Engineering in den 14 Jahren unter Kimuras Führung und mit etwa 300 gebauten Motorrädern zur absoluten Größe im japanischen und weltweiten Customizing auf.

Die Springer-Gabeln stellt Kimura gerne sehr flach an seine Goosenecks, wie bei dieser Shovel

Nur ganz wenigen Schraubern gelingt es, eine völlig eigene Kategorie von Custombikes zu etablieren, der Zero-Style ist eine von ihnen. »Das wollte ich nie, es war nie mein Ziel. Ich war nur ein Customizer«, sagt Shinya heute fast entschuldigend. Mit seinem Stil aber hat er die Maßstäbe gesetzt, denen vor allem japanische Umbauer immer noch folgen. Schaut euch die Bikes von Bratstyle, Radical, Hide Motorcycles oder anderen japanischen Manufakturen an – sie alle tragen Kimuras Geist in sich. Oder auch Umbauten wie Stellan Egelands berühmte »Esox Lucius«-Flathead, um nur einen von hunderten zu nennen. Und war nicht Zero die erste Firma, die den »Steampunk« schon in den 90ern pflegte?

Mit der Sonne nach Westen

Auf dem Höhepunkt der Firmengeschichte entschließen sich die Zero-Eigner 2002 zum nächsten großen Schritt. In Las Vegas eröffnen sie eine zweite Dependance, Shinya Kimura geht den Weg in die USA mit. Der Erfolg mit seinen Kreationen gelingt auch in den Staaten, Kimura wird zum Custom-Star und in die Öffentlichkeit gezerrt. Eine Rolle, die den stillen, demütigen, konzentrierten Handwerker mehr und mehr überfordert.

Alle Motorräder haben eines gemeinsam: Jedes Teil handgefertigt, Metall als einzigen Werkstoff und eine Bauzeit von ein bis zwei Jahren

Während er 2005 am Biker Build Off teilnimmt und zur »Legend of the Motorcyle« eingeladen wird – eine riesige Ehre – tüfteln die Geldgeber hinter Zero schon an der Serienproduktion ihrer Motorräder. Als Kimura mit dem Vorhaben konfrontiert wird, zieht er die für einen Künstler einzig logische Konsequenz: Er kündigt. Zero Engineering macht ohne ihn weiter, baut Serienbikes auf Basis von Shovel-, Evolution- und Sportster-Motoren und  vertreibt Motorradparts.

Shinya Kimura und Chabott Engineering

Shinya Kimura dagegen schließt seinen Kreis. In Azusa/Kalifornien gründet er 2006 seinen Shop »Chabott Engineering«, ähnlich dem Namen seines ersten Ladens. Hier umgibt er sich mit alten Motorrädern, Werkzeugen und Maschinen. Und baut nach wie vor Bikes, für eine ausgewählte Kundschaft, denen die Dauer eines Aufbaus egal ist, die Kimura einfach machen lässt.

2009 entstand der Ducati Racer »Flash«, der von Brad Pitt in Auftrag gegeben wurde

Ihn, der noch nie eine Studie gezeichnet hat, bevor er mit der Arbeit beginnt, der sich vom Metall leiten lässt, wie er sagt. Der nach wie vor jedes einzelne Teil handfertigt, der hofft, dass einzigartige Motorräder irgendwann als Kunst verstanden werden, der Serienproduktion ablehnt und nicht mehr gerne Customizer genannt wird, sondern sich als »Coachbuilder« bezeichnet. Und der seinen Frieden findet, wenn er seine Kreationen auf den unendlichen Salzseen fährt.

Der still gelebte Traum

So entstehen bei Chabott kraftvolle, handgemachte Motorräder auf Basis von Excelsior, Triumph, Indian, Honda, Harley, Ducati oder eben MV Agusta. Was ein Motorrad aus seiner Manufaktur kostet, darüber schweigt der Handwerker. Dass er Kunden wie Brad Pitt zu seinen Bewunderern zählt, darüber schmunzelt er. Wir erzählen ihm hier in seinem Laden, wie bekannt er da draußen ist. »Wirklich?«, fragt er lächelnd. Er weiß es, aber er will nicht drüber reden. Irgendwann wurde Shinya in einem Interview mal gefragt, was Gott zu ihm sagen soll, würde es ihn denn wirklich geben. Er überlegte nur kurz und antwortete »Tue, was du willst.« Shinya Kimura wäre auch spannend, würde er keine Motorräder bauen. Weil er einer ist, der seinen Traum lebt, ganz still.

Info | Shinya Kimura

 


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