Ist eine Norton mit 750 ccm-Gus Kuhn-Motor und im Seeley-Trimm eigentlich ein Cafe Racer? CUSTOMBIKE sucht Antworten
Beim Gedanken an einen englischen Cafe Racer sieht man vor seinem geistigen Auge meist einen Norton-Federbettrahmen mit Triumph-Paralleltwin. Zusammengeschraubt wird, was irgendwie passt. Erlaubt ist, was gefällt, und so manchem Puristen stellen sich beim Anblick diverser Apparate die Nackenhaare. Doch um einen Cafe Racer im eigentlichen Sinne geht es hier nicht, obwohl die Maschine auf den ersten Blick genau so wirkt.
Seeley-Fahrwerke für Norton
Colin Seeley war ein britischer Rennfahrer, der Fahrwerke für Rennmotorräder entwickelte und baute. Zunächst für englische Einzylinder der Marken AJS und Matchless, später auch für Norton-Zweizylinder. Seine Fahrwerke waren so erfolgreich, dass er sogar für Ducati und Suzuki die Rahmen für die Werksrennmaschinen fertigte.

Als Colin Seeley Mitte der sechziger Jahre in seiner kleinen Manufaktur begann, ahnte er wohl kaum, dass seine genialen Konstruktionen bis zum heutigen Tag nachgefertigt werden würden. Bei Klassikveranstaltungen tummeln sich heute mehr Replicas als »echte« Seeleys auf der Rennstrecke. Jürgen ergatterte vor Jahren einen absolut originalen Seeley MK III Rahmen und es war ihm sofort klar: Wenn er daraus eine Rennmaschine baut, dann soll diese nicht nur auf der Rennstrecke zu Hause sein, sondern jeden Tag zur Verfügung stehen.
Rennmaschine von 1970
Wie sich herausstellte, wurde der Rahmen am 8. Dezember 1970 als Rolling-Chassis an die Fa. Gus Kuhn in England ausgeliefert. Dort wurde aus den Chassis eine Rennmaschine gebaut und zu Straßenrennen eingesetzt. Jürgens Ziel war es also, wieder eine Rennmaschine – so nah wie möglich am Original – auf die Straße zu bringen.

Da der Rahmen von Colin Seeley für einen Norton Commando Motor vorgesehen war, mußte natürlich auch solch ein Aggregat eingepflanzt werden. 750 Kubik waren Ende der sechziger Jahre das Maß der Dinge in England. Im Prinzip passen natürlich auch die späteren 850er, konsequenterweise entschied sich Jürgen aber für den kleineren Hubraum, diese Motoren sind zudem drehfreudiger als die 850er.
Norton Commando – für starren EInbau ungeeignet
Zunächst wurden Kolben und Pleuel penibel ausgewogen und Meistergewichte angefertigt. Die Kurbelwelle dann mit einem Faktor von 70% ausgewuchtet. Commando Motoren sind normalerweise in einer Isolastic-Gummi Konstruktion gelagert und verfügen über einen Wuchtfaktor von 54%, der aber für den starren Einbau nicht geeignet ist.

Der Zylinderkopf verfügt nach einer sorgfältigen Bearbeitung über 32 mm Einlasskanäle, eine 4S-Nockenwelle aus der ehemaligen Norton-Rennsportabteilung sorgt für zusätzliche Drehfreude. Der bleischwere, gußeiserne Zylinderblock wurde durch ein Aluminium-Teil ersetzt. Um längere Touren zu ermöglichen, mußte eine Lichtmaschine eingebaut werden. Aber wohin?
Offener Primär
Zur Erinnerung: Bei der Straßenversion sitzt die Lima auf dem linken Kurbelwellenstumpf ganz außen. Geht bei einem offenen Primärtrieb natürlich überhaupt nicht! Die Lösung bot sich in Form eines Generators von einem Aufsitzrasenmäher an. Jürgen hat den kompakten aber leistungsstarken Stromerzeuger wirklich gut versteckt. Angetrieben wird er von einem kleinen Keilriemen, der zugehörige Regler wurde gleich mit verbaut und funktioniert tadellos.

Auch die Räder sind original Seeley, mit Magnesium-Bremstrommeln. Hinten versuchen zwei NJB-Gasdruckdämpfer die gröbsten Schläge zu mildern. Sie wurden von Norman Blakemore in England gefertigt und sind auf das Fahrergewicht von Jürgen eingestellt. Alle Arbeiten an Motor, Getriebe, Primärtrieb und Fahrwerk erledigte Jürgen in seiner kleinen Werkstatt selbst.
Doch ein Cafe Racer?
Achsen, Schrauben, Lagerbuchsen usw., auch die Ansaugtrichter für die Vergaser, fertigte er auf seiner Drehmaschine. Wenn Jürgen nach einer Ausfahrt in einem kleinen Straßencafe im Odenwald sitzt und andere Zweiradkollegen die englische Lady bestaunen, ist sie dann nicht etwa doch ein Cafe Racer?
