Diese Norton wurde in Japan zur Skulptur geadelt – dabei landen für gewöhnlich nur wenige der englischen Einzylinder bei Customizern

Kann ein Custom-Motorrad Kunst sein? Und wenn ja, welche Kriterien muss es erfüllen, um nicht mehr nur als schickes Fortbewegungsmittel, als zubehörbehangenes Schaustück, sondern als Skulptur anerkannt zu werden. Sicher spielt die Gesamterscheinung eine wichtige Rolle bei der Einstufung.

Ein ausgezeichnetes Motorrad

Die handwerkliche Umsetzung und der »Witz« bei der Ausführung. Auch wenn die hier gezeigte Norton sich als das bildhauerische Werk einer japanischen Künstlerkolonie anbieten würde, so ist sie unterm Strich zum Glück ein Exponat, das nicht zum Stillstehen verdammt sein will. Denn dieses Model 50 mit dem Namen »Gentleman« kann genau das, wofür sie als Motorrad konstruiert wurde: ausgezeichnet fahren.

Keck sitzt das Rücklicht auf dem Heckfender

Bevor Bert Hopwood den Zweizylinder-Motor für die Dominator entwickelt hatte, stand der Name Norton für kräftige Einzylinder-Modelle. Je nachdem, ob sich der Kunde für einen Seitenventiler, ein ohv-Modell oder ein Modell mit obenliegender Nockenwelle entschied, erhielt er ein zähes Arbeitstier, eine sportliche Straßenmaschine oder ein chancenreiches Rennfahrzeug.

Norton mit 350-ccm-Einzylinder

Standard-Hubraum der Singles waren 500 ccm, doch bot Norton von manchen Modellen auch kräftige 600er oder verkleinerte Versionen mit 350 ccm an. Um so eine 350er mit ohv-Ventilsteuerung handelt es sich bei dem Model 50, das die japanischen Customizer von Heiwa Motorcycle zu einem schlanken Einzelstück verwandelt haben. In ihrer Garage in Hiroshima bogen die Schrauber einen Rahmen mit Gooseneck-Lenkkopf in Form, der den stattlichen Motor eng umschließt.

Der formschlüssige Solosattel punktet mit einer flauschigen Velour-Sitzfläche

Schwinge, Tank und Solositz bauten die Japaner ebenfalls selbst, Gabel und Räder entnahmen sie der großen Schwester Commando, wobei die gelochten Gabelcover an ein Browning-Maschinengewehr erinnern sollen. Klassisches Reifenprofil garantieren die Avon-Mk-II-Gummis der Dimension 350-19 vorne wie hinten. Der Gedanke an ein Kunstwerk kommt spätestens beim Betrachten der Befestigung des Lenkers an der oberen Gabelbrücke – einfach atemberaubend gelöst.

Alles schwingt im Gleichklang

Bremspedal und Rahmenheck schwingen im Gleichklang, parallele Linien wohin das Auge schaut. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen. Das Heiwa-Motorcycle-Team baute eine hochgelegte Auspuffanlage, montierte einen kurzen Heckfender und arrangierte sämtliche Teile so gekonnt, dass das Bike sowohl an die glorreiche Vergangenheit der Marke Norton erinnert als auch unzweifelhaft als ein Fahrzeug aus dem Hier und Jetzt zu erkennen ist.

Formschön: Die zentrale Lenkkopfmutter bildet eine Einheit mit dem mittigen Lenkerhalter

Diesen Spagat und einen unverwechselbaren Stil haben vor allem die Bikebuilder aus Japan perfektioniert. Auf uns Langnasen mag so ein Motorrad vielleicht wie ein Museumsstück wirken. In Japan grinst man bei diesem Thema freundlich. Kunst? Nein, fahren!

Info | heiwa-mc.jp

 

Dirk Mangartz