Was ihr schon immer über Kunststoff am Motorrad wissen wolltet. Ein kleiner Leitfaden durch die Welt von Plastik und Co

Wie man heute schon vielfach im Automobilbau beobachten kann, werden Kunststoffe immer mehr zum Konstruktionswerkstoff Nummer eins. Auch im Zweiradbereich ist ein zunehmender Einsatz von Kunststoffen aller Art zu beobachten. Hier macht man sich die positiven Eigenschaften und die Vielfältigkeit des Werkstoffes zu Nutze, um Designideen auszuleben.

Kunststoff kennt viele Formen

Kunststoffe können in nahezu allen Formen und Farben hergestellt werden, außerdem rosten sie nicht. Die Bedeutung der Kunststoffe wird oft unterschätzt, denn wenn man ein Motorrad betrachtet, fallen zunächst nur augenscheinliche Dinge wie Verkleidungsteile oder Windshields auf. Wirft man jedoch einen Blick in das Innerste, so stellt man schnell fest, dass die meisten Motoren ohne Kunststoff gar nicht erst starten würden. Kraftstoffschläuche, Zündkabel oder Dichtungen aus Kunststoffen sind für die Funktionstüchtigkeit unverzichtbar. Hier werden Elastomerbauteile eingesetzt.

Dauerelastisch: Benzinschläuche bestehen aus sogenannten Elastomeren. Sie kehren nach dem Verformen in ihre Ausgangsform zurück

Oftmals werden Kunststoffe immer noch als Wegwerfartikel angesehen. Erfährt man allerdings mehr über diesen Werkstoff, wird schnell deutlich, dass Kunststoff ein durchaus gutmütiger Werkstoff ist, der je nach Kunststoff- und Schadensart auch gut repariert werden kann. Bevor wir jedoch an das Reparieren gehen, sollten einige Grundlagen bekannt sein.

Was ist eigentlich Kunststoff?

Die Bezeichnung »Kunststoff« steht nicht für ein einziges Material, sondern ist der Oberbegriff für viele individuelle Stoffe, die sich in Aufbau, Eigenschaften und Zusammensetzung unterscheiden. Das farbliche Aussehen lässt keine Schlüsse auf den Kunststofftyp zu, da fast alle Kunststoffe beliebig eingefärbt werden können. Kunststoffe sind leicht, beständig gegen viele Chemikalien, häufig wiederverwertbar und zeichnen sich je nach Kunststofftyp durch viele weitere positive Eigenschaften, wie z. B. leichte Verarbeitungsfähigkeit oder Schlagzähigkeit, aus. Hier liegt der große Vorteil des Werkstoffs: Kunststoffe lassen sich gezielt in ihren Eigenschaften optimieren und auf den gewünschten Einsatzbereich einstellen.

Thermoplaste verändern ihre Konsistenz durch Erwärmen. Sie können daher geschweißt werden

Kunststoffe lassen sich in Thermoplaste, Elastomere und Duroplaste einteilen. Thermoplaste sind Kunststoffe, die durch Wärmeeinwirkung verformbar sind. Durch diese Eigenschaft ist eine fast grenzenlose Formgebung möglich. Charakteristisch für Thermoplaste ist, dass die zwischenmolekularen Kräfte, die den Werkstoff zusammenhalten und bei Erwärmung schwächer werden, bei Wärmeentzug wieder wirksam werden. Durch diesen Effekt werden die Thermoplaste durch Abkühlen wieder fest. Im Motorradbereich findet man Thermoplaste als Verkleidungen, Tanks, Spoiler u. v. m. Thermoplaste können geschweißt und geklebt werden.

Elastisch bis zum Abwinken

Elastomere sind bei Raumtemperatur elastisch verformbar und nicht schmelzbar. Im Gegensatz zu thermoplastischen oder duroplastischen Kunststoffen verfügen sie über die Fähigkeit, auch nach großen Verformungen von außen wieder vollständig in ihre alte Form zurückzukehren. Anwendungsbeispiele hierfür sind Reifen, Schläuche oder Kabelisolierungen. Elastomere können geklebt werden.

PVC-Bruch: Polyvinylchlorid lässt sich am Weißbruch erkennen

Duroplastische Kunststoffe sind bei Raumtemperatur sehr hart und fest. Sie sind weder quellbar noch aufschmelzbar. Bei den im Zweiradbereich eingesetzten Duroplasten handelt es sich vor allem um faserverstärkte Kunststoffe, z. B. Kohlenstofffaserverstärkte-Kunststoffe (CFK), die vor allem wegen ihres hohen Leichtbaupotentials genutzt werden. Ebenso werden vernetzte Polyurethane (PUR) verwendet, die so eingestellt sind, dass sie duroplastische Eigenschaften aufweisen. Anwendungsbeispiele für faserverstärkte Duroplaste am Motorrad sind Verkleidungsteile und Kotflügel, Beispiele für PUR sind Sitzbänke, Fahrradsättel oder Dichtungen. Duroplaste können laminiert und geklebt werden.

Vor dem Reparieren kommt das Erkennen

Kunststoffe können durch Schweißen, Kleben und Laminieren repariert werden. Die Grundlage für eine fachgerechte Reparatur ist jedoch das Erkennen des vorliegenden Kunststoffes. Denn nur nach einer zweifelsfreien Zuordnung kann man das geeignete Reparaturverfahren auswählen. Im Normalfall sind alle Kunststoffbauteile an einem Motorrad gekennzeichnet, somit lässt sich ein aufwendiges Prozedere zur Erkennung vermeiden. Sollten Teile jedoch nicht gekennzeichnet sein, gibt es für die Zuordnung ein klares Schema, dem man nachgehen kann. Da alle Kunststoffe unterschiedliche Eigenschaften besitzen, kann man den Werkstoff auf diese Art und Weise erkennen.

Oftmals sind Kunststoffteile an Motorrädern gekennzeichnet. Die Art des Kunststoffes wird damit erkennbar – etwa Polypropylen (PP) bei dieser Honda-Verschalung

Neben einer visuellen Prüfung kann die Haptik oder der Klang beim Klopfen ein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal sein. Außerdem hat man die Möglichkeit, ein kleines Probestück rückseitig abzuschneiden und dieses einer Schwimm- oder Brennprobe zu unterziehen. Bei Kunststoffarten, die in Wasser schwimmen, handelt es sich in der Regel um polyolefine Kunststoffe wie Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP). Eine Reparatur mittels Kleben ist bei diesen Werkstoffen nur bedingt möglich.

Wie identifizieren wir Kunststoff?

Hier bedarf es einer besonderen Oberflächenvorbehandlung. Eine Brennprobe gibt aufgrund der unterschiedlichen Flammen bzw. Rauchbildungen und dem Geruch Aufschluss über den vorliegenden Kunststoff. Das Bruchbild genauer zu betrachten ist eine weitere Möglichkeit, einen Kunststoff zu identifizieren. Einige Kunststoffe neigen zu Sprödbruch oder sind fast unzerbrechlich. Andere Kunststoffe, wie z. B. das Polyvinylchlorid (PVC), kann man eindeutig am Weißbruch erkennen.

Leitfaden »Kunststoffanwendungen im Zweiradmechaniker-Handwerk«

Passend zum Thema hat das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen schon vor längerer Zeit einen Leitfaden herausgebracht. Der gibt Aufschluss über Kunststoffe am Zweirad und deren wichtigste Eigenschaften. Der erste Teil des Leitfadens gibt grundlegende Informationen zu Kunststoffen und über Möglichkeiten, die verschiedenen Kunststoffarten zu erkennen. Schaut mal, ob ihr den noch irgendwo bekommt, kann durchaus nützlich sein.

 

 

Adam Vreydal