Es gibt Motorräder, die hat niemand auf dem Schirm, wenn es um Customizing geht. Und dann kam diese Honda ST 1100

»Warum?«, ist unsere einzige Frage an Csaba Nádasi. »Warum nicht«, antwortet der Ungar ebenso knapp und ergänzt: »Lässt man alles Optische mal außer Acht, dann ist es ein perfektes Motorrad.« Noch immer stehen wir verwundert vor seiner Kreation, schütteln immer wieder den Kopf.

Honda ST 1100 – Mission verstanden

Möglicherweise ist Csaba sogar der erste Customizer, der sich getraut hat, eine Honda ST 1100 Pan European radikal umzubauen. Zumindest ist uns nicht bekannt, dass jemand vor ihm sich an diesen Prototypen eines Tourenmotorrades rangetraut hat. Dabei erfüllt Csabas Umbau genau das, was wir immer fordern: »Traut euch, macht was Komisches, seid kreativ« – es scheint, als hätte der Mann aus Szeged unsere Mission verstanden.

»Der Benzintank sitzt im Heckbürzel. Da konnte ich nur schwer noch eine Underseat-Auspuffanlage dazupacken.«

Eigentlich betreibt er mit seiner Firma »Mad Fighters Performance« nur einen kleinen Motorradshop für Servicearbeiten und kleinere Umbauten. Aber ein, zweimal im Jahr juckt es Csaba richtig. Dann wagt er sich an einen kompletten Umbau. Niemals 08/15, sondern definitiv immer etwas, was polarisiert und elektrisiert. Seine Honda ist ein Paradebeispiel, zwei Jahre baute er an dem Bike. Kunde László hatte sich was total Durchgeknalltes gewünscht, ließ seinem Customizer aber ansonsten freie Hand. Und der gab richtig Gas.

Koffer und Windshield weg!

»Es lag durchaus ein gewisser Reiz darin, ein so hässliches Motorrad für das Madness-Projekt auszuwählen. Es sollte ja gerade der Sinn von Customizing sein, die Grenzen zu überschreiten. Und ehrlich, ich hatte selten mehr Spaß, ein Motorrad zu strippen«, schmunzelt der Ungar, der die Pan European erstmal komplett zerpflückte. Gar nicht so wenig Arbeit, wenn man bedenkt, dass kaum ein Bike mehr Verkleidungsteile zu bieten hat als dieses – von den Koffern und dem Windschild mal ganz zu schweigen.

Handarbeiten: Zündschalter wie im Flugzeugcockpit

Wenn man die Prozedur aber durchhält, hat man am Ende einen Wahnsinnsmotor, der mit voller Kraft punktet. Klar, dass Csaba den unverändert lässt. Wichtiger ist dem Mann aus Szeged da die optische Veränderung. »Ich komme aus der Fighterszene, sieht man ja. Trotzdem sprechen mich natürlich auch die Cafe Racer an. Klar, dass ich da auf einen sportlichen Nenner kommen wollte«, erzählt er.

Monocoque aus Fiberglas

So entwirft Csaba für die European eine einzigartige Frontverkleidung, die mit der Sitzbank und dem Heckbürzel ein Teil bildet und aus leichtem Fiberglas konstruiert wird. Anders als bei klassischen Fightern verlegt der Ungar die selbstgebaute Auspuffanlage nicht nach oben gereckt, sondern mit den Endtöpfen unter dem Motorblock. Das hat seinen Grund. »Zum einen sieht es einfach stimmiger aus, zum anderen habe ich im Heck den Tank eingefasst, da kann ich schwer noch eine Underseat-Anlage dazupacken«, grinst er.

Versenkter Tankdeckel …

Um die Optik der Maschine auch am Frontend clean zu erhalten, baut Csaba zudem ein neues Wasserkühlsystem für die Honda, das er von außen nahezu unsichtbar unter den Motorblock, nahe an den Asphalt verlegte. Der größte Brocken war das aber noch nicht, schließlich entschied er sich außerdem, eine völlig neue Schwinge zu konstruieren, in deren Armen die Harley-Dämpfer liegen. Auch Teile wie Gabel, Bremsen und Räder wurden sorgfältig ausgewählt, schließlich sollte das Bike neben seiner Optik durch beste Fahreigenschaften glänzen.

Viel Ehre für den abgedrehten Fighter

Nachdem das Projekt abgeschlossen war, regnete es Pokale auf Bikeshows. Auch wir würdigten die verrückte Arbeit des Ungarn seinerzeit auf unserer Custombike-Show mit dem Titel »Best Streetfighter«.

… und Sichtfenster zum Zahnriemen

 

EXTRA: Honda ST 1100 Pan European

Normalerweise verzichten wir darauf, euch das Basisbike eines Umbaus zu zeigen. In diesem Fall konnten wir aber gar nicht anders, denn es ist einfach zu abstrus. Hohes Gewicht und eine gewaltige Verschalung – schon bei ihrer Präsentation 1990 löste die Pan European bei den Honda-Händlern Bedenken aus. Das 300 Kilo-Motorrad ließ sich anfangs wahrlich weniger mit guten Argumenten, sondern eher mit hoher Überzeugungskraft verkaufen. Besonders die Verkleidung entlockte dem Gros der Biker nur ein Wort: »Hässlich«. Nur, wer eine Probefahrt unternommen hatte, relativierte seine Meinung. Unter dem allzu üppigen Kleid versteckte sich nämlich ein hervorragendes Motorrad, das bei Highspeed zwar zum Pendeln neigte, aber vor allem bei Langstreckentests punktete. Insider halten die Pan European gar für das beste Tourenmotorrad aller Zeiten. Dafür spricht auch die große Nachfrage an gebrauchten Modellen, die erstaunlicherweise kaum an Wert verloren haben. Bis 2002 war die ST 1100 im Modellprogramm von Honda, bevor sie durch die 1300er Pan European abgelöst wurde, die sich nach Startschwierigkeiten zwar etablierte, aber nie den Kultstatus des Vorgängers erreichte.

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.