Anlässlich der Anfang September wieder stattfindenden Achtelmeile Sprintrennen am Glemseck blicken wir zurück: Wie fing das eigentlich an mit den schnellen Duellen, Mann gegen Mann, Maschine gegen Maschine?
Das normale Leben hat nicht auf sie gewartet. Und als die amerikanischen GIs 1945 aus dem blutigsten und verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte heimkehren, haben sie dieses Leben ohnehin verlernt. Jahrelang haben sie, vollgepumpt mit Adrenalin, dem Tod getrotzt. Jetzt sollen sie Kinderwagen schieben und am Fließband stehen. Machbar vielleicht, doch auf den Adrenalinkick zu verzichten, ist ungleich schwerer, und so suchen sie ihren Nervenkitzel im Kräftemessen auf Rädern.
Schneller machen geht am einfachsten durch Abschrauben
Aufbruchsstimmung herrscht in den USA, altes bewegtes Blech ist ebenso leicht zu haben wie runtergeschrubbte Militärmotorräder, viele der Männer haben europäische Fabrikate aus dem Krieg mitgebracht. Schneller machen geht am einfachsten durch Abschrauben überflüssigen Gewichts, erste Bobber (der vordere Kotflügel wurde abmontiert, der hintere ein ganzes Stück abgeschnitten, bekam also einen Bob-Job) und Chopper (to chop: abhacken) tauchen auf, meist auf Harley-Basis, denn die amerikanischen Maschinen sind langsamer und schwerer als ihre englischen Pendants. Die langen Gabeln der Chopper stabilisieren über den größeren Radstand den Geradeauslauf, die Nummer mit dem Born-to-be-wild-Lifestyle soll erst viel später kommen.

Als Rennbahn dient den Jungs erstmal ihre natürliche Umgebung. Sie starten von der Ampel weg, die nächste ist meist einen oder zwei Blocks weiter. Für die Länge dieser Straßenblocks in den US-amerikanischen Städten gibt’s sogar eine Maßeinheit, den City Block. Im Mittleren Westen hat er 330 Fuß, zwei Blocks sind 660 Fuß oder eine Achtelmeile. Et voilà, da ist sie, die klassische Sprintdistanz: 201,17 Meter.
Die Achtelmeile Sprintrennen müssen weg von der Straße
Wie die schon in den 30er Jahren in Mode gekommenen Car-Sprints auf den trockenen Seen Kaliforniens sind diese Straßensprints gefährlich – und illegal. Unfälle, Verletzungen, Tote bleiben nicht aus. Und so verlagern sich die Wettbewerbe unter dem Druck des Gesetzes zunehmend auf abgesperrte Strecken, beispielsweise auf die Start- und Landebahnen ehemaliger Flugplätze und werden zum Sport. 1947 wird die Southern California Timing Association (SCTA) gegründet, 1951 die National Hot Rod Association.

Man verpasst seinen Wettbewerben ein Reglement. 1953 organisiert die American Motorcycle Association (AMA) das erste legal organisierte Motorrad-Drag-Race in Pomona/Kalifornien. Spezialisierung greift um sich, es wird hochgerüstet, diese Art des Motorsports verschwindet aus der öffentlichen Wahrnehmung mehr und mehr hinter die Betonmauern steriler Highspeed-Rennkurse. Über ein halbes Jahrhundert später. Nach Dekaden des Leistungswahns und einem Jahrzehnt des wirtschaftlichen Niedergangs steckt das Motorrad in der Krise. »Schneller, höher, weiter« hat seine Faszination verloren.
Metall gewordene Schaustücke der Individualität
Die Szene besinnt sich, entdeckt zusammen mit den Jungen das Motorrad als Ausdrucksmöglichkeit, als Mittel der Abgrenzung, als Bindeglied unter Gleichgesinnten wieder. Das klassische, technisch überschaubare, aufs Wesentliche konzentrierte Krad wird zum Anker am Grunde der realen Welt. Zum Notausgang aus dem verdichteten, informationsgefluteten und datenvermüllten Alltag, »back to the roots« ist die Devise. Den meist glattgelutschten, persönlichkeitsarmen, perfektionierten Industrieprodukten auf zwei Rädern setzt eine schraubfreudige Szene persönliche Umbauten auf Old- und Youngtimer-Basis entgegen, Metall gewordene Schaustücke der Individualität, der Kreativität und des Könnens.

Die Szene trifft sich, in kürzester Zeit werden Events wie das Glemseck 101 in Leonberg bei Stuttgart oder das Wheels and Waves im französischen Biarritz zum Kult. Und plötzlich lockt sie wieder: die alte und ewige Herausforderung, die Symbiose aus Mensch und Maschine zu gemeinsamem Ruhm, der Wettbewerb auf zwei Rädern – willkommenes Gegenmittel zum allgegenwärtigen Sicherheitswahn und zur gängigen Vollkaskomentalität. Man misst sich wieder: in Sprints Mann gegen Mann auf der Achtelmeile. Es wird wieder geschraubt, hochgerüstet, gepokert, gewonnen, mitgefiebert, gelitten und verloren. Neue Treffen und neue Sprints sprießen wie Pilze aus dem Boden, ein Ende ist nicht absehbar.
Achtelmeile Sprintrennen – Ein Spiel mit enormer Spannung
So ein Sprint ist ein Spiel, klar, und doch baut sich da eine enorme Spannung und ein hoher Druck auf. Sein Bestes geben, die Technik beherrschen, sich mit anderen messen, sich bewähren statt zu blamieren – gewinnen, nicht verlieren. Auf diesen 201 Metern geradeaus spiegeln sich all die Themen wider, die seit jeher die Faszination des Rennsports ausmachen. Themen, die Sinnbild fürs ganze Leben sein können. »Racing is life. Anything before or after is just waiting«, sagte einst Steve McQueen.

Guido Kupper
Guido Kupper, fährt praktisch seit seiner Geburt in grauer Vorzeit Motorrad, hat mit dem Schreiben aber erst angefangen, als er schon sprechen konnte. Motorisierte Zweiräder hat er nur acht Stück zur Zeit, Keller und Garagen sind trotzdem voll. Sein letztes Ziel im Leben: Motorrad fahren und mal nicht drüber schreiben