Ein Rollstuhl in seiner Werkstatt und seine Harley-Davidson Panhead erinnern Michael Barragan an die härteste Zeit seines Lebens
Die langen Haare, die Tattoos, die Hinterhofbude, die Vergangenheit als Musiker in einer Punkband, der intensive, durchdringende Blick – Michael Barragan ist Customizer mit eigenwilligem Star-Appeal, sein Laden Evil Spirit Engineering im kalifornischen Burbank eine Enklave der Bike- und HotRod-Szene Califs. Früher baute er Autos und Motorräder, um seine Musikerkarriere zu finanzieren, später machte er sich mit dem Umbauen selbständig. Eine Gitarre lehnt trotzdem einsatzbereit an der Werkstattwand.
„Sex, Drugs and Rock’n’Roll, nach diesem Motto habe ich gelebt. Ich hatte wenig Zeit für meine zwei Kinder und meine Frau, Evil Spirit – böser Geist. Den Namen hatte ich nicht umsonst gewählt“, erzählt uns Michael ruhig. Ein Tag im Jahr 2009 veränderte alles. Michael Barragan war mit seinen Garage Build-Choppern erfolgreich, seine Motherfucker-Einstellung hatte ihn bis ins Fernsehen gebracht, er war gerne gesehener Gast auf einschlägigen Events und er hatte eine Einladung zur „Artistry in Iron“-Show in der Tasche – der Ritterschlag für Customizer in den USA.
Harley-Davidson Panhead – Recovery
Zwei Wochen, bevor er seine metallene Panhead in Las Vegas präsentieren sollte traf das Unglück. Eine 18-jährige in einem Geländewagen nahm ihm die Vorfahrt, begrub Michael und sein Bike unter dem Auto. Der Customizer brach sich unzählige Knochen, lag wochenlang im Koma. Seine Crew brachte die schwer demolierte Panhead nach Las Vegas, wo sie ihren vorgesehenen Show-Standplatz einnahm. Mit einer Spendenbox davor, Krankenversicherungen sind in den USA ein seltenes Gut. Als Michael aus dem Koma erwachte, prophezeiten ihm seine Ärzte ein Leben im Rollstuhl und forderten Geduld von ihm. Der Customizer fand sich damit nicht ab, er kämpfte und schrieb seinerzeit in seinem Blog: „Fuck patience, i’m gonna go kill something …“.
Ein paar Monate nach dem Unfall begann er mit dem Wiederaufbau seiner Pan, sitzend im Rollstuhl, später an Krücken. Bei seinen Aufbauten geht Michael immer gleich vor, der pure Rahmen steht vor ihm auf der Werkbank, dann gehts los. „Der Rahmen gibt mir vor, was ich zu tun habe. Das Bike designt sich quasi von allein, ich führe die Arbeiten nur aus.“ Seine Leidenschaft für alte Militärflugzeuge erkennen wir trotzdem. So steht seine Panhead in purem Metall mit groben Schweißnähten und sichtbaren Nieten vor uns.
Raw und Simpel
Flügelschrauben, unversteckte Leitungen, Streben und Gewinde, Muttern – alles zeugt von Handwerk in seiner reinen Form und entwickelt so eine eigene Optik – Modern Steampunk könnte man es nennen. Ebenfalls auffällig die Lochbohrungen am Rahmen, den selbstgebauten Fendern und dem hauseigenen Split T-Bar-Lenker, der 10 Zoll überm Riser thront. Selbst die Bremsscheiben sind gelocht. Dem Motor verschaffte Michael mittels Aufbohrung ein paar PS mehr, auf Dinge wie Handschaltungen verzichtet er meistens, ein Kicker ist dagegen Pflicht. „Aber meine Motorräder sollen trotz optischer Besonderheiten einfach im Handling bleiben.“ Und zumindest verbaute Barragan an seiner Telegabel einen Lenkungsdämpfer, um die Pendelneigung beim strammen Angasen zu reduzieren.
Während Michael in der Urversion seiner Pan lediglich eine dünne Metallplatte als Sitzmöglichkeit verwendete, spendierte er dem Upgrade einen Lederbezug. Auch, um eine Punzierung unterzubringen: „Patience“ – Geduld – schließlich sollte sein Bike in seinem neuen Leben auch einen ernsthaften Namen tragen. Michael fährt seine Pan jeden Tag: „Mein Leben war so weit weg von mir, ich konnte monatelang nicht Motorrad fahren. Jetzt brauche ich es ständig, um mich zu spüren.“
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.