Diese Harley-Davidson ist Recycling in bester Tradition. Andy Gemperle choppte seine Panhead als schlanke Schönheit ins Hier und Jetzt

Bei unserem blauen Engel geht’s weniger um den Roman von Heinrich Mann, dessen Verfilmung Marlene Dietrich weltberühmt machte. Oder gar um das älteste Umweltzeichen der Welt, denn dieser „Blue Angel” hier ist jung und in der Schweiz geboren. Doch schlank und strahlend wie einst Marlene, ist er voll retro und befindet sich ganz in der Tradition der Weiter- und Wiederverwertung, wie sie Customizer schon Jahrzehnte vor der grünen Welle pflegten.

Frühe Wurzeln und aktueller Trend

Basierend auf einer Harley-Davidson FL von 1950 hat Andy Gemperle im schweizerischen Oetwil am See mit seiner Hände Arbeit einen Old-School-Chopper auf die schmalen Räder gestellt, der die frühen Wurzeln mit dem aktuellen Trend verknüpft. »In meiner Arbeit versuche ich, nach den Gesetzen der 1940er und mit der Technik von heute, einzigartige Bikes zu bauen.«

Viele Details an der Panhead erinnern an die 2004 verstorbene Custom-Legende Indian Larry

Mit der FL und ihrem starken 1200er-Panhead wählte Andy einen legendären Feuerstuhl, dessen Herz gern als echter Männermotor gefeiert wird: Be a man, ride a pan. Ein Image, das der damalige Hollywood-Macho, Frauenschwarm und Panhead-Fahrer Clark Gable sicher genauso prägte, wie zwanzig Jahre später der Mann, der Amerika suchte und nicht mehr finden konnte: Peter Fonda und Männerfreund Dennis Hopper ritten in Easy Rider auf umgebauten Polizei-Motorrädern des gleichen Baujahres wie Andys blauer Engel.

Harley-Davidson und die Chopper-Gene

Insgesamt von 1948 bis 1966 gebaut, formte also die Harley-Panhead die Gene des Choppers wie kaum eine andere Maschine. Darauf setzte auch der als »Chopper-Schamane« titulierte New Yorker Larry Desmedt. Er war in den drogengeschwängerten Sixties befreundet mit Pop-Ikone Andy Warhol und bis in die 1980er fest verbunden mit der US-Künstlerszene, bevor er 1991 in Brooklyn einen Bikeshop aufmachte.

Nicht nur schön: Die über 60 Jahre alte Panhead eignet sich noch heute für schwungvolle Ausflüge durch die Bergwelt der Alpen

Leider stürzte Larry 2004 tödlich mit dem Motorrad, doch Andy fühlt sich unvermindert mit ihm verbunden und bezieht von Indian Larry’s Motorcycles viele seiner verbauten Teile. Hier beispielsweise das Rücklicht-Kreuz unter der spitzen Sissi-Bar oder die markanten Scheibenbremsen. »Meine Inspiration habe ich von Customizern wie Ed Roth, Van Dutch oder Indian Larry«, erklärt der 1975 geborene Schweizer seine Vorliebe für alte Harleys.

Springer statt Tele

Und es darf ruhig noch etwas älter wirken. Hatte die Pan ab 1949 nämlich schon die hydraulisch gedämpfte Telegabel, so wählte Andy statt des Hydra-Glide lieber die Springergabel für den Starrrahmen. Passt deutlich besser zum Chopper, zumal mit dem 12“-Apehanger. Auf den Stahlfelgen der Speichenräder sorgen Weißwandreifen für nostalgischen Schick, den auch Details wie die Todd’s Fußrasten zelebrieren.

Archaisch-technischer Look der Hutmuttern auf der offen laufenden Kupplung

Die hochwertige Lackierung dagegen orientiert sich mit Metalflake an den 1970ern und wiederholt zum Teil die Ornamentik der Bremsscheiben. Und wie diese, gemäß Andys Credo, noch moderner ist die technische Ausrüstung, beispielsweise die Stahlflex-Schläuche für den Ölkreislauf. Der Öltank ist wie der Benzinbehälter ein hauseigenes Produkt, auch die Modifizierung des Heckfenders von Chica Cycles und natürlich die Elektrik hat der Erbauer selbst erledigt.

Harley-Davidson als blauer Engel

Neben dem glänzenden Metall der Technik schafft Leder eine maskuline Western-Atmosphäre – als Werkzeugtasche, als Sitz oder an den Griffen. Und ein »real Man« auf ’ner Pan hätte wohl auch dem Blauen Engel Marlene gefallen, die schließlich einst in Hollywood neben John Wayne ritt. Jenseits des großen Teichs sind die blauen Berge in den Rocky Mountains nicht viel anders als diesseits die Berge in den Schweizer Alpen.

 

Stephan H. Schneider