Wenn wir Motorräder testen, dann richtig – so wie damals mit der Harley-Davidson Softail Deuce. Ein Einblick in unseren Redaktionsalltag.
Donnerstagmorgen halb elf, Industriegebiet Grolsheim. Es ist kühl und neblig wie die Sau, als wir vorm Firmengebäude von Custom Chrome Europe parken. Wir, das sind Heinz Christmann, Chefredakteur unseres Schwestermagazines DREAM-MACHINES, Tobias, unser damaliger Fotograf und Ralf, Layouter unserer CUSTOMBIKE. Er muss als Fahrer für mich einspringen, da ich derzeit einen Hinkefuß vor mir herschiebe, Mopedfahren ausgeschlossen.
Harley-Davidson Softail Deuce – Unrivalled!
Mitgenommen haben die Jungs mich trotzdem, einer muss die Bande ja zusammenhalten. Bereits zweimal hatten wir den Termin bei CCE verschoben. Aber heute sollte alles passen, wir sind bereit, ein paar der Bolt-on-and-Ride-Bikes des Aftermarket-Riesen unter die Lupe zu nehmen. Die CCE-Crew zeigt uns die Motorräder, die unter dem Motto »Unrivalled« gebaut wurden. Wir dürfen uns je eine der Kisten aussuchen, fast wie Weihnachten.
Die Tradition der Bolt-on-Bikes führt CCE schon einige Zeit. Jeweils in Zusammenarbeit mit einem Customizer entstanden schon viele unterschiedliche Bike-Konzepte – auf V-2-Basis, ohne Änderungen am Rahmen, sondern nachvollziehbar und legal gebaut mit Teilen, die jeder über seinen CCE-Händler beziehen kann. Bei unserem Besuch stehen zwei sportliche Sportster zur Wahl, außerdem ein Harley-Bagger, dazu ein Indian-Cruiser und ein klassischer Bobber.
Alle bereit, kann losgehen!
Letzteren nehmen wir dann auch direkt für unser Magazin. Heinz entscheidet sich dagegen für die Stollen-Sporty, Kollege Tilmann bekommt die Indian. Den Bagger wird ein CCE-Member selbst fahren, der braucht eine erfahrene Hand beim Rangieren. Alle bereit, kann losgehen.
Noch trauen wir der Suppe aus Nebel und Dunst nicht, CCE-Mann Axel beruhigt uns. »Wir fahren auf meine Hausstrecke, da ist Sonne.« Und so geht es die ersten 30 Kilometer hoch in die Hügel über Nahe und Rhein, in Falkenstein schlagen wir unsere Homebase auf, es ist halb eins und wir haben noch kein einziges Foto gemacht. Erstmal eine rauchen und »unseren« Bobber genau unter die Lupe nehmen. Heinz und Tobi machen sich derzeit auf die Suche nach der perfekten Fotokurve.
Harley-Davidson Softail Deuce – Made by Zassel
Die Harley Deuce, Baujahr 2003, wurde von dem alten Haudegen Zassel umgebaut. Der entschied sich beim Aufbau für klaren Retro-Style, angelehnt an die Zeit um 1947, in der das kalifornische Städtchen Hollister zweifelhafte Berühmtheit in der Bikerszene erlangte. So ist auch der Name des Bikes konsequent: The Hollister!
Der frühe Twin-Cam-Motor wird mit neuem Vergaserkit, Dyna-2000-Zündung, neuem Luftfilter, Choke und einer bollernden Supertrapp-Anlage aufgewertet. Dazu gibt es Minimal-Elektronik. So sind zum Beispiel die winzigen Edelstahl-Drucktaster so weit minimiert, dass der Startknopf an eine neue Stelle wanderte. Ralf muss erstmal suchen, bevor er loslegen kann, das Knöpfchen liegt direkt neben den Zündspulen.
Ein bisschen Wärme im Santee-Öltank
»Wird auch ordentlich heiß«, bescheinigt der Layouter. Klar, denn Edelstahl überträgt Wärme ziemlich gut. Warm wird auch der Santee-Öltank, in dessen Rundungen sich die moderne Batterie versteckt, also aufpassen. Aber alles nix gegen Heinz, der sich einen Teil seiner Schuhsohle gerade am Auspuff der Sportster weggeschmolzen hat, »da brauchst du eigentlich mehr Hitzeschutz«, brockelt er vor sich hin.
Unser Ralf bescheinigt dem Bobber dafür bestes Fahrgefühl. Klar, der Flat-Bar-Lenker garantiert stiltypische entspannte Sitzhaltung. Dazu gibt‘s Trittbretter, optisch nicht jedermanns Sache, aber weitaus besser zu händeln als winzige Rasten. Zwar federt eine tiefergelegte Softail trotz neuer Chromfedern sicher nicht wie das Original, aber Ralf fällt das nicht auf. Im echten Leben fährt er nämlich Starrrahmen.
Ab in die Fotokurve
Die Fotokurve ist gefunden, es kann losgehen. Wie an einer Perlenschnur fahren die Jungs an Tobi vorbei, immer im Abstand von etwa fünfzehn Sekunden, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Wer glaubt, dass Fahraufnahmen in Mopedmagazinen ein Minutending sind, der irrt gewaltig. Es ist halb vier, als die Aufnahmen endlich im Kasten sind, und Ralf hat Schmerzen, »guck dir mal meinen Finger an.«
Ich gucke und sehe eine fette Blase. Als ich selbst versuche, den Kupplungszug zu betätigen, wird mir klar warum. Ich bekomme das Ding nicht durchgezogen, da hat Zassel es brutal heftig angehen lassen. Auch Kollege Ralf sehnt sich eine Easy Clutch herbei, vor allem mit dem Gedanken an die dreißig Kilometer, die er über kleine Dorfstrecken noch zurückfahren muss. Aber erstmal gibt‘s Wurst, Kraut und ein Alkoholfreies im Ausflugslokal, wir haben seit Stunden nix gegessen.
Und draußen wächst die Gore-Tex-Traube
Während wir hastig schlingen, bildet sich draußen eine Gore-Tex-Traube um die Bikes. Ja, da staunt der GS-Fahrer schon mal, wenn er vorm Bagger steht und fragt: »Custom Chrome? Was soll das sein? Nie gehört!« Es gibt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, aber für heute scheuchen wir die Normalos weg. Immerhin brauchen wir noch Standfotos von den Bikes und die Sonne verschwindet gnadenlos schnell hinter den Weinbergen.
Tobias gibt alles, bis auch das letzte Bild im Kasten ist. Aufsitzen, zurück durch den dichten Feierabend-Verkehr, die Polizei im Nacken, Tilmann lässt den Bagger knallen. Das Polizeiauto biegt hinter uns ab, Glück gehabt. Zurück bei CCE gibt es noch einen schnellen Kaffee, ich begutachte Ralfs Hand erneut. Seine Blase ist zu einer Art zweitem Daumen gewachsen, ob das je wieder weg geht? Das fette Grinsen hat der Layouter trotzdem im Gesicht, Testfahren macht Laune.
Info | custom-chrome-europe.com | zassel.de
Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.