Jüngst gewann Customizer und Indian-Händler USM den European Biker Build Off – die Geschichte der Firma reicht allerdings fast 45 Jahre zurück, und begann mit Harley

Ja, es gab sie schon immer, diese deutsche Chopperszene. Auch wenn Chopperfahrer in den Anfängerjahren in ihrer Gesamtheit kaum ins Gewicht fielen, und Harley-Davidson-Besitzer noch viel weniger. Und trotzdem, schon in den Siebzigern entstanden an verschiedenen Fronten wenige kleine Chop-Shops. Die taten ihr Bestes, willigen Käufern nötige Anbauteile für ihre Bikes zu besorgen. Es war eine Zeit des »kalten Krieges« – in der Weltpolitik wie auch in unserem Mikrokosmos, und wir trugen ihn mit TÜV und Polizei aus. 

Ein Bild aus den Anfängen und zwei Urgesteine der deutschen Customszene unter sich: Steve Schneiderbanger (SSCycle) und Claus Günther (USM)

Gegen Ende der 1970er mussten schließlich auch die Graukittel zunehmend einsehen, dass sie die Besitzer von Custombikes nicht einfach mit einem Kopfschütteln wieder davonjagen konnten. Schließlich hatten nun ja auch alle großen japanischen Motorradfirmen »Custom«-Modelle im Angebot. Die sogenannten Softchopper galten allerdings als halbherzig und – verglichen mit den Harleys – als nicht zu Ende gedacht. Das Original aus Milwaukee stand auf der Wunschliste der Chopperjünger ganz, ganz vorn. Schon 1973 hatte in Köln ein »Harley-Davidson Riders Club« von sich Reden gemacht, der sich schnell deutschlandweit ausbreitete.

Partner und Freunde

Fühlte sich anfangs Eysel-Motor-Sport im hessischen Langenselbold für den Import von Harley-Davidsons nach Deutschland zuständig, dauerte es noch eine ganze Weile, bis es eine offizielle deutsche Harley-Niederlassung gab. Noch wurden keine hundert Neumaschinen pro Jahr in Deutschland verkauft. Doch durch den Import gebrauchter Maschinen stieg die Zahl der Harley-Davidson-Besitzer trotzdem zusehends. Claus Günther und Ronald Thoke bewiesen in dieser Zeit Weitblick: 1981 gründeten die beiden in Hannover-Stöcken die Firma »US Motorcycle Store«, um in ihrem Shop Ersatz- und Zubehörteile für Motorräder der Marke Harley-Davidson zu verkaufen.

Überhaupt ließ es sich Claus nie nehmen, seine Bikes mit hübschen Damen abzulichten, aber hey, in den 90ern war das eben so …

Weil aber Ronald Thoke schon ein Jahr später wieder ausstieg, nahm Harley-Enthusiast Dietmar Speck die Gelegenheit wahr, den Aussteiger zu ersetzen. Nennen wir sie getrost ein Dreamteam; hatten doch Claus und Dietmar ihr beider Hobby zum Beruf gemacht. Und sie lebten ihre Berufung, beobachteten natürlich auch ganz genau, was drüben in den USA so vor sich ging. Dort gab’s ja längst eine gefestigte Customszene. Deren Protagonisten, Customizer wie Barry Cooney, Smith Brothers & Fetrow, Dave Perewitz und allen voran Arlen Ness, fanden sich mit ihren zweirädrigen Kreationen in jedem Chopper- und Custommagazin.

USM und die legendären Police-Harleys

Für deren jeweils neuesten Teile wurden Anzeigen in Magazinen geschaltet, Anbauteile über eigene Kataloge verkauft. Der Weg war aufgezeigt, die Weichen gestellt: Die amerikanischen Customizer – zunächst noch Vorbilder – wurden Geschäftspartner und Freunde. 1986 importierte die USM-Crew containerweise alte Police-Harleys aus Südkorea, zeigte zu diesem Zeitpunkt sogar schon TV-Präsenz. Werbung wurde in Fachzeitschriften geschaltet, USM-Kunden bestellten die Teile über Kataloge oder kauften direkt an der Theke.

Man mag es kaum glauben, wenn man es liest. Aber es war Realität, Mitte der 80er-Jahre kam die erste Ladung koreanischer Harleys in Deutschland an

Dadurch, dass Dietmar und Claus solche Kataloge drucken ließen, konnten sie bald erfolgreich Ersatz- und Zubehörteile in ganz Europa verkaufen. »Wir hatten zu dieser Zeit noch kein Internet, das Handy wurde gerade erfunden …«, Claus Günther erinnert sich gut an diese Zeit, als der neue Evo-Motor das Negativimage der Harleys als unzuverlässige Schrauberböcke langsam ins Vergessen geraten ließ. »Wir hatten stets ausschließlich bei namhaften Herstellern in den USA eingekauft«, gibt rückblickend ein Geschäftsführer zu denken, der immer auf die Qualität der Waren achtete. USM galt zu diesem Zeitpunkt als einer der großen Kataloganbieter im Groß- und Einzelhandel in Europa.

Internationale Anerkennung

Die Firma genoss internationale Anerkennung im Custombike-Bau, schuf Customharleys, die im Vergleich jetzt auch mit US-Kreationen standhielten. Im europäischen Raum sahen sich die Langenhagener auf einer Stufe mit Top-Customizern wie Bertrand Dubet oder Battistinis. Schönheiten wie die Schauspielerin Bettina Zimmermann oder auch der damalige Erotikstar Teresa Orlowski dekorierten die USM-Bikes und somit die Titelseiten der Custommagazine. Ein Neubau mit großer Lagerhalle, geräumiger Werkstatt, Showroom und Büros wurde 1998 bezogen. »Unsere riesigen Mengen an Ersatz- und Zubehörteilen, die wir mittlerweile aus den USA importierten, machte die Firma Custom Chrome Inc. aus Kalifornien auf USM aufmerksam. In den 1990er Jahren statteten sie uns einen Besuch ab, um zu sehen, woher der neue Goldrausch kam. Wir gehörten zu den Auserkorenen, die für eine Europa-Filiale von CCI infrage kamen«, denkt Claus wehmütig an eine verpasste Chance zurück.

Eine verpasste Chance

Er und Dietmar saßen zu dieser Zeit sehr fest im Sattel. Sie hatten gerade den Katalog Nr. 7 gedruckt, das Lager war voll, die IFMA in Köln stand vor der Tür und … USM lehnte dieses – wie sich später herausstellte – einmalige Angebot ab. Einer der Mitbewerber nahm die Offerte von CCI an, gründete Custom Chrome Europe und USM wurde damit wortwörtlich die Butter vom Brot genommen. Den Kampf, den sie dem neuen Konkurrenten angesagt hatten, verloren die beiden Enthusiasten. Sie mussten ihre Halle wieder verkaufen und zogen abermals um, in einen nahe gelegenen Neubau, der extra für USM und die neuen Aufgaben gebaut wurde.

Die Erschaffung der Luxor war Höhepunkt und Ernüch­terung zugleich

Durch die Geschichte mit dem neuen übermächtigen Mitbewerber war es schnell eng um USM geworden. Der Zahn der Zeit hatte genagt, verlangte nach Veränderung, vom Teileversandhändler zum Customizer. Die Veredelung von Harleys war in vorherigen Jahren nur Nebengeschäft und eigentlich aus Spaß an der Freude geschehen. Jetzt sollte Customizing zum neuen Hauptaufgabengebiet von USM werden. Die Umorientierung brachte eine geräumigere Werkstatt. Die neue Ausstellungsfläche umfasste nun das Dreifache des alten Showrooms. Das Lager hingegen konnte schrumpfen. Im Jahre 2005 verstarb Dietmar unerwartet. Die ganze Last lag nun auf den Schultern von Claus Günther … und dem kam eine geniale Idee: Schrott wird flott – Unfallfahrzeuge als Basis für eine Custom-Harley.

USM – Unfallmotorräder als Basis

Du kaufst ein verunfalltes Motorrad, benutzt dieses als Grundstein für einen neuen Aufbau und musst kein neues oder fahrtüchtiges Motorrad dafür zerstören. Es war für USM die richtige Entscheidung, denn durch die Euro-3-Abgasbestimmungen war es immer schwieriger geworden, Custombikes zu produzieren, geschweige denn eine Straßenzulassung dafür zu bekommen. Auf Basis von originalen Harley-Davidson-Fahrzeugen hingegen lassen sich – auf absolut legalem Wege – sehr werthaltige Bikes aufbauen und veredeln. 

Zehn Jahre zogen ins Land. USM hat heute die angemietete Immobilie in der Nürnberger Straße verlassen, wirkt wieder in einer eigenen Halle, nur ein Grundstück weiter. Die Räumlichkeiten wurden den jeweiligen Bedürfnissen erneut angepasst. Zusätzlich fand ein kleines Museum unter dem Dach der Halle Platz: Hier sind die zweirädrigen Glanzlichter der letzten 40 Jahre zu finden und auch jede Menge Zeitschriftenseiten mit USM-Bikes haben ihren Platz an den Wänden gefunden.

 

Nach 38 Jahren am Markt, wurde es trotzdem Zeit für eine Veränderung. 2019 übergab Claus USM an Florian Pfante und dessen Frau Bianca. Während Claus sich in der Folge vor allem dem Schreiben seiner Biographie »Mit Leidenschaft am Limit« widmete, strampelte sich Florian vollends frei, wurde Indian Vertragshändler, blieb aber ebenso erfolgreicher Customizer. Seine Krönung erfuhr er mit dem Sieg beim European Biker Build Off 2024 … aber das ist eine neue deutsche Customgeschichte.

Info |  usm-motorcycles.de

 

Horst Heiler
Freier Mitarbeiter bei CUSTOMBIKE Magazin

Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.