A long strange Trip on the Evo stick – Eine BMW R 69 S steht unter dem Einfluss krasser US-Showbikes

In den 70er und frühen 80er Jahren war das Customizing in Deutschland noch eine sehr überschaubare Geschichte. Prägende Einflüsse dazu kamen vor allem aus den USA. Im Internationalen Zeitschriftenhandel beispielsweise, gab es Magazine wie Iron Horse, Easyriders, Choppers Magazine, Custom Chopper, Big Bike oder Street Chopper. Hauptsächlich basierten die darin vorgestellten Bikes auf Harley-Davidsons. Harry Lutz war einer von vielen, die in dieser Zeit einfach nicht das Geld für eine Harley aufbringen konnten.

BMW R 69, clean sollte es werden

Diese zwar noch kleine aber stetig wachsende Gruppe musste trotzdem nicht auf ein Custombike verzichten. Im Europa der 30er und 50er Jahre hatten – ohne es zu beabsichtigen – Hersteller wie Triumph, NSU, BSA, Horex und auch BMW durchaus geeignete Grundlagen für das Customizing erschaffen. Ihre simplen, aber sauberen Starrrahmen oder Geradewegfederungs-Konstrukte boten – wenn ein ungefederter Konturensitz angebaut wurde – die gesuchte tiefe Sitzposition.

Zweitverwertung: Der kleine Acht-Liter-Tank zierte einst eine Harley Sportster

Und zwar ohne Rahmenänderung. Solche Bikes besaßen üblicherweise Motoren von 250 bis 650 ccm und eine Leistung von circa 8 bis 50 PS. So wurde in unseren Gefilden oftmals auf geeignete europäische Alternativen ausgewichen, um sich den Traum eines cleanen Umbaus zu realisieren.

Die Honky Tonk Crew

Für den Schwaben Harry waren zunächst und vor allem die Bikes von Arlen Ness, Ron Finch, Dave Perewitz und Donnie Smith aus USA prägend. Aus England bekam er Einflüsse durch John Reed, Mick Watts und Ian »Odgie« Hodges hinzu. Und im Stuttgarter Großraum, wo Harry lebte, hatte sich die Honky Tonk Crew gebildet. Er selbst zählte zu den treibenden Kräften in dieser losen Schrauber-Gemeinschaft, die sich schnell über Baden-Württembergs Grenzen ausweitete.

Die Hebeleien hingegen stammen aus Norditalien

Basis-Motorräder wurden noch nicht zu den heutigen Mondpreisen gehandelt. Mit etwas Glück konnten sie zum Preis von 500 bis 3000 Deutschen Mark erworben werden. Viele dieser Bikes kamen auch aus den europäischen Nachbarländern und wurden von ihren neuen Besitzern teils auf abenteuerliche Weise hierher nach Deutschland gebracht.

Die Christbaum-Chopper

Auch konnte in so mancher Scheune noch der eine oder andere außergewöhnliche Fund gemacht werden. Dieser wurde dann im Freundeskreis in vielen Stunden bearbeitet, um anschließend als cleaner Umbau wieder das Tageslicht zu erblicken. »Die Anhänger der mit Lametta behängten Christbaum Chopper-Fraktion wurden zwar von der breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, aber unsere überzeugte Schraubergemeinde belächelte solche glitzernden und oftmals blinkenden und mit Fransen behängten Endresultate nur müde«, erzählt Harry.

Lenkstange: Die T-Bar von CPO nimmt die Form der Gabelstandrohre auf. Dazwischen lugt der unverzichtbare Minitacho hervor

Generell galt, dass für die breite Masse der Motorradfahrer ein Chopper immer Anlass zum Spott gab. Die machten dabei keinen Unterschied zwischen einem Hein-Polo-Christbaum-Chopper und einem in unserer Szene aufgebauten Bike. Harrys eigene, hier vorgestellte BMW war zuvor noch schwer unter dem Einfluss diverser US-Showbikes entstanden.

Von der BMW R 69 stammt der Motor

Basis dafür war ein Mix aus BMW R 68- und R 51-Teilen mit einem R 69 S-Motor. Um- und Aufbau wurden Anfang 1980 durchgeführt. Seitdem hatte Harry seine Beemer in dieser Form belassen. »Auswahl und Anfertigung der verwendeten Teile folgten dabei dem Prinzip weniger ist mehr. Daher kann der interessierte Betrachter den Detailierungsgrad unschwer erkennen«, ist sich der Schrauber sicher.

Von der Seite betrachtet fügt sich der BMW-Boxer stimmig in die Chopper-Linie ein. Leider verhindern die abstehenden Zylinder eine vorverlegte Rastenanlage

Eine der Besonderheit war sicherlich, der damals hierzulande ungewöhnlicher Ansatz, die gesamten Elektrikkabel ins Innere der Rahmenrohre zu verlegen. Harrys Bruder Ralf, der eigentlich nur »Ralflinger« genannt wird, durfte dem Ganzen ein sehr aufwändiges »Moulding« verpassen, wobei mittels Zinn- und Spachtelmasse Rahmen und Kotflügel geglättet werden. Eine einzigartige Ralflinger-Lackierung gab Harrys BMW-Chopper ein unverkennbares Gesicht und letztendlich auch den Nahmen »Rote Wahrheit«.

 

Heiler/Lutz