Auf BMW entwickeln Europas erste »Easy Rider«-Jünger in den 70er Jahren ihre eigenen Chopper-Ideale. Nur wenige können sich damals eine Harley leisten
Noch immer sind Zeitschriften die Ideengeber für den eigenen Umbau. Aber auch das Internet. Blogs und Foren werden schnell zu Spielplätzen selbsternannter Gurus und Schiedsrichter. Das gilt auch, wenn es um Bobber und Chopper geht! Sie bestimmen, dass rechts von der Richtschnur nur die Bikes der Marke Harley-Davidson parken dürfen. Links der Markierung, so meinen die Gralshüter, werden – und das auch erst wieder seit die Old School-Welle schwappt – gerade noch alte Engländer geduldet. Trotzdem kommt in einem amerikanischen Internet Board ein BMW Chopper-Thread“auf.
»Mach aus einem hässlichen Bike einen coolen Bobber. Das ist eine Herausforderung.«
Unglaublich! Fast ein Sakrileg … wie kann man nur? Die Meinungen bleiben kontrovers. Nicht wenige Amis nennen die BMW-Aggregate ab der /5 Generation wegen ihrer »Samsonite«-Form auch »Suitcase Engines«. Die meisten der Board-Member schreiben unter Pseudonym. Auch ein gewisser Dr. Frankensickle gibt seinen Senf dazu »… habe mich schon oft gewundert, warum du nicht mehr BMW-Chopper siehst. Es ist ein großartig aussehender Motor. Der Kardan stört mich überhaupt nicht. Ich denke, das sieht genial aus!« Danny Franssen aus Belgien ist einer der Honoratioren in diesem Forum. Seine Harleys und vor allem seine Old School-Softails sind stilistisch von keiner Seite angreifbar.

Danny hält sich lange zurück, lässt dann aber Luft ab: »Außer Mark van der Kwaaks weiß-grüner BMW – das ist meine persönliche Meinung – gehören alle diese BMW-Customs in einen anderen Thread … beim Customizing bin ich der erste, wenn es darum geht über den Tellerrand zu schauen. Aber ein BMW-Boxer ist das allerletzte. So, jetzt fühle ich mich besser!« Richard aus Berlin nimmt Dannys Worte persönlich und bricht seinerseits eine Lanze für die Flat Twins, egal ob sie von BMW, oder von Nachbauten aus Russland oder China stammen: »… ja, aber ein gut aussehendes Bike mit dem Boxer-Motor zu bauen ist nicht einfach. Nimm einen Starrrahmen und einen V-Twin und du hast 50 Prozent Coolness – aber das kann jeder machen. Mach aus diesem hässlich aussehenden Bike einen coolen Bobber – das ist eine Herausforderung!«
Warum eigentlich BMW?
Springen wir in der Zeit zurück: Vor vierzig Jahren spielen gechoppte Harleys auch schon die Hauptrolle. Zumindest im Film »Easy Rider«. Aber hier in Deutschland sind die amerikanischen V-Twins noch rar. Trotzdem üben gerade solche Motorräder, wie in diesem Film gezeigt, auf uns eine unerklärliche Faszination aus! Auch der Mannheimer »Vio« Fiedler ist kaum zu halten. Anfang der Siebziger Jahre gibt ihm das in Hamburg spielende Szenario »Rocker« von Klaus Lemke endgültig den Anstoß: Er wird Mitglied eines jungen Motorrad-Clubs in Mannheim und ist bald auch mit den Bikern aus dem Film in Kontakt. Chopper, Frauen und der Club bestimmen sein Leben.

Vio orientiert sich zunächst an den BMWs, wie er sie aus dem »Rocker«-Film und von den Hamburgern kennt. Die kamen zwar chromglänzend und mit bis zu sechs Auspuffrohren daher, hatten hohe Westernlenker von Magura angebaut, aber meistens noch dicke fette »Heinrich«-Tanks, verchromte Sturzbügel und zusätzlich angebrachte Lampen. Diese BMWs, meist 500er und 600er Modelle mit hinterer Geradewegfederung und Telegabel, oder das seit 1955 existierende Vollschwingen Modell, sind mit käuflichem Touring- und Sport-Zubehör aufgetakelt. Die 1969 vorgestellten /5-Modelle (die mit dem Koffer ähnlichen Motorgehäuse) kommen langsam mit ins Spiel.
Chopper, in Deutschland geächtet
Im Club lernt Vio den Amerikaner Gene Thoms kennen, und dieser hat Ahnung, wie ein richtiger Chopper auszusehen hat und wo die Schleifhexe anzusetzen ist! Die beiden bauen Chopper, die ihrem Namen gerecht werden. Allerdings – sie nehmen sich keine unbezahlbaren Harley-Davidsons vor – sie suchen sich BMWs als Umbaubasis aus. Dicke Deutsche Motorräder, die in der ganzen Welt von der Polizei gefahren werden und als Statussymbol gelten.

Vorlagen – auch BMWs – kennt Gene aus diversen US-Magazinen, wie beispielsweise BIG BIKE. Im Jahr 1971 ist da schon der R 67/2 BMW Chopper von Marvin Jants zu sehen. Unsere heimische Motorrad-Presse allerdings boykottiert diese Chopper-Umbauten, macht sie mit giftigen Randbemerkungen nieder. Dazu muss man wissen, dass die deutsche Motorradindustrie am Boden liegt. Einzig BMW baut noch große Bikes. Gerade denen haftet einerseits der Geruch des Altmännermotorrades an, andererseits haben sie auch einen hervorragenden Ruf, was Zuverlässigkeit angeht. Eine BMW im Seriendress wirkt in den Augen der Jugend zu bieder! Aber umgebaut?
BMW erfüllt die Vorgaben an einen echten Chopper
Gechoppt wird, was schon angeschafft ist oder einem günstig unter die Finger kommt. Und obwohl auch Mopeds und hubraumschwache Zweitaktmotorräder dran glauben müssen, ist das Ideal klar: Ein Chopper muss viertaktend und hubraumstark sein. Die Fahrer sind auch die Erbauer. Wer so einen Umbau auf die Straße bringt, ist in der Szene jemand. Und der TÜV? Der kontrolliert ob das Lenkschloss geht, ob Bremsen und Beleuchtung funktionieren, sonst eigentlich nichts. 1973 und `74 kippt die Situation. Jetzt werden alle Veränderungen am Fahrzeug strikt abgelehnt, sofern nicht eine Unbedenklichkeitserklärung vom Hersteller oder ein Teilegutachten für das bestimmte Modell vorliegt.

Viele Teile wurden zuvor von Hand angefertigt. Käuflich ist nur Universal- oder Touring-Zubehör zu haben. Und Gutachten? Die existieren nicht – aber für überhaupt nichts! Teile von renommierten Herstellern wie Magura werden vielleicht noch per Einzelabnahme eingetragen. So etwas wie eine TÜV geprüfte vorverlegte Fußrastenanlage oder gar eine zertifizierte längere Gabel ist undenkbar.
Deutsche Bikes gelten in den USA als Statussymbol
Die wenigen auf Chopper spezialisierten Läden kaufen in Übersee und manche schaffen es auch – mit viel Enthusiasmus oder Handgeld – die Teile in Einzelabnahme durch den TÜV zu schleusen. Okay, an einer BMW ist für Vorverlegte gar kein Platz und die Gabel muss eben selbstgemacht werden. Vio, dessen BMW-Chopper-Version mittlerweile sogar einen gereckten Lenkkopf aufweist, ist mit den Prüfern schon lange per Du.

Er baut seinen Lenker aus gelöteten Rohrstücken individuell, macht die Basis für die Sitzbank selbst und entwirft seine eigene Rückenlehne. Mit Knotenblechen verstärkt, nimmt sein geänderter BMW-Rahmen eine lange Gabel auf und alles bekommt er vom TÜV abgesegnet. Ständig wird umlackiert und verändert. Der Sattler hat jährlich einen farblich passenden Bezug für den Sitz zu schneidern. Doch nicht jeder hat Beziehungen wie Vio.
BMW: Eingemottet im Partykeller
Im Saarland geht 1973 »Manni« Niehren den Chopper-Bau an. Seine Basis, ein komplettes BMW R 50-Gespann, hat ihn gerade mal 250 Mark gekostet. Die erste Fahrt endet in einer Hecke. Irgendwie will er einfach kein Gefühl fürs Gespannfahren entwickeln. Bis sich dann die Schnapsidee mit dem Chopper in seinem Hirn einnistet, haben er und sein Bruder das Ding auf dem Truppenübungsplatz Steinbach schon ziemlich herunter geritten. Beiwagenrahmen, Boot und die entsprechende Hinterradübersetzung vertickt er an einen seiner Kumpel. Dafür kauft er die Giuliari Stufensitzbank und die ebenfalls italienischen Decibel Auspufftöpfe. Die gibt’s aus dem Katalog. Adapter dafür werden selbst gemacht. Auch der Lenker ist käuflich, aber sonst ist Chopper-Zubehör für ihn nicht greifbar.

er Metallbauer nimmt Gabelbrücken einer Horex Regina 4, die Tauchrohre der Horex Resident und passt selbstgefertigte lange Standrohre ein. Eine kräftig ausgelegte Brücke unter dem Yamaha Schutzblech verbindet und verstärkt beide Tauchrohre. Nebel und Fernscheinwerfer eines Ford Escort 1 kommen auf selbstgemachte Alu-Halter. Manni beschränkt sich bei der Hinterradbreite auf vier Zoll. Der Chopper, der immer nur in der beschützenden Menge der Kumpels gefahren wird, kriegt nie die offizielle TÜV-Weihe. Familie und Hausbau drängen Mitte des Jahrzehnts das Motorrad zur Seite. Es überlebt als immer funktionsbereite Deko im Partykeller des Bruders.
Erstmals deutsche Teile von AME
Die Szene wurstelt sich so durch. Hier und da hört man, gibt es einen TÜV, der dies und jenes einträgt. Kein TÜV agiert wie der Andere. Ein dickeres Hinterrad? BMW schreibt für Reifen bis 4.00 Zoll Breite Unbedenklichkeitserklärungen aus. Ein dickeres, in Harley Größe 5.00“, braucht Einzelabnahme. Und es passt nur, wenn das Rad außermittig eingespeicht ist, wenn es durch eine in die Kardanverzahnung eingelegte Distanzscheibe zur Seite gerückt wird oder wenn am Kardanwellenhüllrohr der Hinterradschwinge Platz geschaffen wurde. Bei Kassel macht eine Firma von sich reden, die sogar einen Teilekatalog hat und TÜV-Eintragungen möglich machen soll – AME.

»Vier Jahre nachdem Peter Fonda und Dennis Hopper in Easy Rider als Wyatt und Billy ihren Traum von Freiheit und Abenteuer nachgegangen waren, sind die Ideale der Flowerpower-Generation out, nicht jedoch der Wunsch einen Chopper fahren zu wollen …,«, AME-Chef Walter F. Cuntze will nicht verstehen, dass Motorradfahren nur Kilometerfressen und Höchstgeschwindigkeitswahn sein soll. BMWs sind ihm wohlvertraut. Seine eigene, weiß lackierte und umgebaute BMW, ist ihm noch gut in Erinnerung. Bald hat Cuntze für die BMW Vollschwingenmodelle entsprechendes geprüftes Zubehör im Katalog. Ältere BMW-Modelle mit Geradweghinterradfederung profitierten zwar auch von dem mannigfaltigen AME Zubehör, bleiben sonst allerdings im Regen stehen.
Schon eine weiß lackierte BMW erzürnte die alten Hasen
Ich kann das beurteilen: Ende der Siebzigerjahre ergattere ich nämlich selbst so eine R67/2 mit Geradwegfederung! Ich krame meine gesammelten US-Chopper Magazine hervor und einzelne Seiten, aus deutschen Zeitschriften herausgerissen. Viel ist nicht dabei zum Thema legaler BMW Chopper: Ingo Kruse mit seiner »Surrealism« aus der Musikzeitschrift »Rocky« und Christian Petzold, der 1977 den »Motorrad«-Wettbewerb gewinnt. Beides sind Schwingenmodelle. Trotzdem: Mein Geradweghinterradfederungsbmwchopper gedeiht und soll legal werden. Doch es muss ein steiniger Pfad beschritten werden, bis die R75/5 Gabelrohre, der NSU-Quick Tank, eine Stufensitzbank und das geänderte Hinterrad eingetragen sind.

Das Spiel heißt: Suche deinen willigen TÜV in Eigenregie. Jedoch … seit das Wissen um die Chopper-Baufirma AME und deren BMW-Umbauten einsickerte, wird nicht überall unerbittlich abgewimmelt. Meine Beharrlichkeit zahlt sich aus: Alles wird eingetragen. Aber ich werde nicht glücklich damit. Meine langen Beine, die durch die nun tiefere Sitzposition ungünstig geknickt sind, sind kaum hinter den Zylindern auf den Fußrasten zu verankern. Mein getüvter BMW Chopper bekommt bald einen neuen Besitzer: Erich Krinke gefällt die BMW, doch er kann sie nicht lange in dem Outfit belassen. Wo er auch hinkommt, immer wird er auf »meinen« Chopper angesprochen. Erich und die BMW sind viel auf Achse.
»Strich 5-Motor im Vollschwingenfahrwerk? Wenn der TÜV mitspielte kein Problem.«
Auf einem »Special Bike«-Treffen im badischen St. Leon-Rot trifft Erich auf den schwäbischen BMW-Chopper Fahrer Harry Lutz und seine Freunde. Biene, die Frau von CPO-Mann Jogi Ruider ist mit ihrer 250er Lowrider BMW da, Michael »Mimi« Schneiderbanger mit seiner gechoppten R69. Mimi und sein Zwillingsbruder, der Harley-Schrauber und -Fahrer SSC-Steve, kommen den weiten Weg aus Oberfranken. Und Hans Joachim Maier hatte Erich eine Woche vorher bei einem Harley-Treffen in Heilbronn kennengelernt und zu diesem Treffen eingeladen. Eine bedeutungsvolle Zusammenkunft. Durch neue Ideen beeinflusst, entwickelt Erich die BMW weiter. Sie wird zum Showwinner.

Die bisher nicht »offiziell« eingeschraubten Standrohrverlängerungen, weichen unter anderem langen einteiligen Standrohren, die von CPO beigesteuert und legalisiert werden. Die emsigen Schwaben machen ihm auch einen ganz speziell angepassten T-Lenker, der ebenfalls in Einzelabnahme getüvt wird. Chopper Treffen und Ausstellungen, wie die legendären »Honky Tonk Bike Shows«, werden angefahren. Erichs BMW-Chopper – der dunkelroten Farbe wegen, nun »Lambrusco Sled« getauft – schafft es 1992 in die zweite Ausgabe des noch ganz jungen Magazins »BIKERS live!« (heute unsere CUSTOMBIKE).
BMW selbst mag Erichs Chopper
Die Firma BMW schickt danach selbst einen Fotografen, um Erichs BMW-Chopper in allen Details abzulichten. Gerüchten zufolge wird 1993 in der BMW Chefetage der Bau eines Choppers besprochen. Veränderte Kundenwünsche verlangen nach Reaktion. Die Zulassungszahlen der nun Cruiser getauften Softchopper steigen beständig und überflügeln sogar die Sportmodelle.

Es kommen immer mehr Harleys und japanische Harley-Lookalikes ins Land, die eine hervorragende Custombike-Basis darstellen. Und BMWs? Die baut eigentlich keiner mehr um! Erst im Herbst 1997 stellt BMW mit der R 1200 C endlich ein Bike vor, das diese Nische besetzen soll. Doch barocke Formen und eigenständige technische Lösungen, wie Einarmschwinge oder die abnorme Telelever-Vorderradführung, wirken den eingefahrenen Bikern zu befremdlich.
Neuschwanstein on Wheels
Und wer braucht ABS? Hardcore Customizer nennen den BMW Cruiser gar frotzelnd »Neuschwanstein on Wheels«. Gerade als sich eine umbauwillige Fangemeinde zu festigen beginnt, wird 2004 das Modell wieder vom Markt genommen. Im Zuge der Old School Welle jedoch sind alte BMW-Chopper gerngesehene Relikte aus der ersten Blütezeit der deutschen Chopper.

Horst Heiler
Jahrgang 1957, ist nach eigenen Angaben ein vom Easy-Rider-Film angestoßener Choppaholic. Er bezeichnet sich als nichtkommerziellen Customizer und Restaurator, ist Mitbegründer eines Odtimer-Clubs sowie Freund und Fahrer großer NSU-Einzylindermotorräder, gerne auch gechoppter. Als Veranstalter zeichnete er verantwortlich für das »Special Bike Meetings« (1980er Jahre) und die Ausstellung »Custom and Classic Motoräder« in St. Leon-Rot (1990er Jahre). Darüber hinaus war er Aushängeschild des Treffens »Custom and Classic Fest«, zunächst in Kirrlach, seit 2004 in Huttenheim. Horst Heiler ist freier Mitarbeiter des Huber Verlags und war schon für die Redaktion der CUSTOMBIKE tätig, als das Magazin noch »BIKERS live!« hieß. Seine bevorzugten Fachgebiete sind Technik und die Custom-Historie. Zudem ist er Buchautor von »Custom-Harley selbst gebaut«, das bei Motorbuch Stuttgart erschienen ist, und vom Szene-Standardwerk »Save The Choppers!«, aufgelegt vom Huber Verlag Mannheim.
Ich kann mich noch gut an eine CB 450 erinnern die mit ihrer langen Vordergabel und der „breiten“ Hinterradpelle das absolute Traumbike war. Ist 50 Jahren her.
Hallo, sehr schöner Artikel, der mich sofort in meine wilden Jahre zurückversetzt hat. Easy Rider war allgegenwärtig. Harley damals unbezahlbar und somit wurde alles andere auf Chopper umgebaut. Der Artikel trifft die damalige Sachlage genau. Hier meine damaligen Bauten. Meine 1000/7 in rot christallic, 1979 war noch relativ einfach, hatte für damals gut Power mit 70 PS, 4-Gang Getriebe und kurzer Übersetzung von der 600er. Beschleunigung war damals in West-Berlin wichtig. Es gab nichts schöneres, wenn jemand sein Ampelrace, gegen einen vermeintlichen lahmarschigen Chopper verloren hat. Aber sie stand einfach zu hoch. Sie wurde nach einem Jahr auf einen R… Weiterlesen »
Ist das nicht Vio vom Bones MC Mannheim?