Warum Carlos Rodrigues einfach nicht damit aufhören kann, die radikalsten Streetfighter der Welt zu bauen. Wie die »Infernal chaos« mit dem Four einer Suzuki GSF 600 Bandit.

Mortágua, ein kleiner Ort in Zentralportugal, nicht mal 3000 Einwohner. Einer von ihnen komplett von Sinnen – zumindest was Motorräder angeht. Carlos Rodrigues ist Hobbyschrauber und hat auch nicht vor, das zu änderen. »Stellt euch mal vor, ich müsste machen, was Kunden wollen. Wie soll das denn gehen?«

Die Mortágua-Fighter sind alle mehr oder weniger durchgeknallt

Ähm, ja, das klingt logisch, vor allem wenn man sich seine bisher gebauten Custombikes anschaut. Alle nicht mehr oder weniger durchgeknallt als »Mortagua Fighter Nummer neun«, den wir hier vor der Linse haben. Zwei Jahre hat Carlos für diesen Wahnsinn gebraucht. »Ich mach das ja nur nebenbei, da dauert das«, entschuldigt sich Carlos.

Unterm krassen Bodywork schlummert der Motor einer Suzuki GSF 600 Bandit. Die Motoren sind bei den Mortágua-Fightern dann auch so ziemlich das Einzige, was irgendwie original ist – abgesehen vom Auspuff, der extrem kurz unter der Verkleidung sitzt

Da ist es wieder, dieses Nebenbei, das in diesem Zusammenhang so unfassbar wie verrückt klingt. Denn wer Carlos’ Kreationen sieht, setzt mindestens eine ordentlich ausgestattete Metallwerkstatt mit besten Maschinen voraus. Die der Portugiese allerdings eben nicht besitzt – stattdessen formt er seine Motorräder in Handarbeit. 

Suzuki GSF 600 Bandit a là Mortágua – Death Metal auf zwei Rädern

Seinem Tagesjob geht Carlos in der Glasindustrie nach, so können wir ihm zumindest eine Ahnung und Erfahrung mit Materialien und Formen unterstellen. Den Rest scheinen die brennende Sonne Portugals und die Vorliebe für Death Metal auf dem Plattenteller zumindest teilweise zu erklären. Denn offensichtlich läuft im Gehirn des Fighterjungen irgendwas nicht ganz so wie bei anderen, denen ein hohes Heck und eine krude Lampenmaske zur Definition eines echten Streetfighters genügen.

Der Schwingendrehpunkt liegt unterhalb der Ausgangswelle, deutlich erkennt man die Schaltungsumlenkung und die Fußraste, weit hinten für eine fast liegende Sitzposition. Wie alles andere auch, ist diese Konstruktion selbst erdacht und gebaut

»Aber ich mag auch melodischen Metal, nicht nur den ganzen harten«, beeilt sich Carlos zu erklären. Aha, kombinieren wir, deshalb ergibt sein Design trotz aller Brutalität einen Sinn, folgt einer Linie und wird von Bike zu Bike ausgefeilter. Genauso wie die Technik seiner Kreationen.

Den Reihenvierer steuerte eine Suzuki GSF 600 Bandit bei

So folgt der 44 Jährige zwar auch bei Nummer neun seiner Vorliebe für Suzuki-Motoren, der aus einer 600er Bandit ist es diesmal, hat aber einige technische Raffinessen unter die kantig-massive Verkleidung gepackt. Rahmen und Schwinge sind natürlich selbst erschaffen, der Schwingendrehpunkt liegt dabei weit unterhalb der Ausgangswelle.

Sichtbare Federn oben, keine Riser, moderne Clip-ons, unten ein »hängender« Bremssattel – auch die extreme Gabel entstand komplett in Eigenregie. Fahrbar ist das Ganze natürlich auch – wenn auch nicht zulassungs-fähig. Aber das hat keine Priorität

Wir erkennen eine eigens gebaute Schaltungsumlenkung, von außen angelenkte Handhebel, die horizontale Wippe für die Ansteuerung der Fußbremse. Dazu eine eigens gebaute Rastenaufnahme weit hinten ums Hinterrad konstruiert und viele kleine Details mehr.

Die radikale Formensprache lenkt von der technischen Raffinesse ab

Man muss genau hinschauen, um diese technischen Raffinessen zu lobpreisen. Fast scheint das massive Bodywork mit den zwei ausufernden Heckspoilern alles andere zunichtezumachen, alle Blicke auf die Formensprache zu konzentrieren.

Man kann das Rad nicht neu erfinden? Doch, kann man, Carlos Rodrigues tut es, ständig und immer wieder. Egal, wer den Typen von der Leine gelassen hat – wir sind ihm dankbar, denn was, wenn nicht das, ist Customizing in seiner reinsten Form?

Da verliert auch die Eigenbau-Gabel fast schon an der Aufmerksamkeit, die ihr zusteht und die anderen Customizern allein reichen würde, ihr Können zu beweisen. Der »hängende« Bremssattel unten, die sichtbaren Federn oben, die ohne klassische Riser in zwei extrem modern interpretierte Clip-ons münden.

Carlos baut ausschließlich fahrbare Bikes

Dazu auch hier Verkleidungskunstwerk ohne Ende und eine nach vorn und unten gerichtete Lampenmaske, die mit dem selbstgeformten Tank zu einem Teil zu verschmelzen scheint. In 26 Jahren, in denen Carlos nun Motorräder baut, hat er seine Designs stetig verfeinert und, das ist ihm ganz wichtig, ausschließlich fahrbare Bikes gebaut.

Von hinten betrachtet wirkt der Mortágua-Fighter fast wie ein normales Motorrad. Na ja, die Flügel … aber sonst

Was natürlich nichts daran ändert, dass dieser Wahnsinn auf zwei Rädern niemals eine öffentliche Straße unter die Räder bekommen wird. Denn zulassungsfähig sind die Rodrigues-Fighter nicht. »Warum auch«, sagt Carlos, »es ist ja nur ein Hobby, das ich da betreibe. Da muss ich darauf keine Rücksicht nehmen.« Und damit verschwindet der rebellische Schrauber wieder in seine Garage, »Mortagua Fighter Nummer zehn soll noch in diesem Jahr fertig werden.«

Info | mortagua.fighter

 

 

Arbeitet seit 1996 für den Mannheimer Huber Verlag, gehört seit 2005 zum festen CUSTOMBIKE-Magazin-Team und steuert seit 2013 das ansonsten männerbevölkerte CUSTOMBIKE-Schiff als Chefredakteurin. Beruflich hat sie jeden großen und kleinen Customtrend der letzten zwanzig Jahre mitgemacht, glaubt aber letztlich an den Erfolg von Bodenständigkeit und Konstanz – auch die Maxime für die Arbeit an Deutschlands ältestetem Magazin für umgebaute Motorräder. Sie selbst pflegt beste Kontakte in die Umbau- und Schrauberszene, nicht nur in Deutschland, weiß meistens genau, wer gerade an was baut, und berichtet mit Vorliebe über die Geschichten hinter den Motorrädern und über echte Petrolheads, die das Customizing von ganzem Herzen leben. Fürs private Zweiradglück genügt ihr eine Honda CB 400 Four, mit Baujahr 1977 gerade mal ein Jahr älter als die Chefin. Aktuell steht die Honda allerdings auf der heimischen Hebebühne und soll bald in neuem Glanz erstrahlen – a bikers work is never done.