Wer bei Udo Kohse ein Bike in Auftrag gibt, bekommt eine auf Fahrbarkeit ausgelegte Maschine auf die Räder gestellt. Denn mit seiner Firma Bike Project/Unikat Werk baut er für die Straße und nicht für die Galerie – so wie diesen S&S-Chopper.

Udo mag keine Kompromisse. Schon gar nicht, wenn es um seine zweirädrigen Kompositionen geht. Darüber sollte man sich im Klaren sein, wenn man den Weg ins hessische Nauheim auf sich nimmt, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Das musste auch der Besitzer der »Lucky 13« erfahren, der irgendwann bei Udo anrief. 

»Er wollte schon immer einen Starrrahmen fahren«

»Er kam mit seinem Custombike vorbei, das nicht rund lief und vor allem einen Schaden am Lenkkopf hatte«, so Udo über das erste Treffen. »Eigentlich wollte er es nur reparieren lassen, denn das Bike hatte noch andere Probleme. Doch im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass er schon immer einen Starrrahmen fahren wollte.«

Einen Starrrahmen ganz ohne Komfort gibt es bei Udo nicht. Dafür konstruierte er einen speziellen Sitz, freischwebend vor dem Heckfender, der dank zweier Zugfedern schmerzfreies Fahren auch über längere Strecken ermöglicht

Und so leistet Udo erst einmal Aufklärungsarbeit über die Fahrbarkeit von Starrrahmen und die Bedienung von Handschaltung und Fußkupplung sowie einem Kicker. Kurzfristig steht sogar ein Wiederaufbau mit den bereits vorhandenen Teilen des ursprünglichen Bikes zur Diskussion. Doch das ist nicht Udos Ding.

Der S&S-Chopper soll nicht nur gut aussehen

Stattdessen unterbreitet er ein Angebot über den Komplettaufbau mit einem Starrrahmen als Chassis inklusive aller benötigten Teile und der Arbeitsteilung. »Ich lege Wert auf die richtigen Komponenten, von denen ich weiß, dass sie gut zusammen funktionieren. Schließlich sollen meine Bikes nicht nur gut aussehen, sondern vor allem zuverlässig sein. Draufsetzen, fahren und höchsten zur Inspektion wieder zu mir in die Werkstatt kommen. Das ist mir am liebsten und für den Kunden am besten.«

Schlanke Linie: Der Tank wurde bewusst nicht breiter gebaut als die Springergabel

Den Aufbau startet er mit dem Rahmen, steckt Gabel und Räder rein, erstellt ein digitales Bild und zeichnet Teile wie Fender und Tank ein, um dem Kunden seine Vorstellung näherzubringen. Denn wie bei fast jedem Aufbau entwickelt sich auch bei der Lucky 13 eine wunderbare Eigendynamik, die ein Projekt beflügeln, aber auch in die Irre führen kann.

Der Tank  wird zu einer Herausforderung

Doch mit seiner Routine und Erfahrung lenkt Udo neue Ideen in die richtigen Bahnen und geht auf alle speziellen Anforderungen ein. Schon der Tank  wird zu einer Herausforderung. Einerseits soll er genügend Kapazität haben, damit bei einem Ausritt nicht alle hundert Kilometer die nächste Tanke gesucht werden muss, andererseits soll die Form dem Bike nicht die Linie versauen.

Für die Fußkupplung baute Udo eine spezielle Umlenkung. Jetzt kann auch mit der Ferse gekuppelt werden

»Form follows function, das geht nicht immer. Oft muss ich lange suchen, bis ich die richtige Lösung habe, denn Kompromisse funktionieren gut.« In diesem Fall baut Udo den Tank maximal so breit wie die Gabel, zieht ihn dafür aber bis an die Rockerboxen runter. Das sieht nicht nur gut aus, es sorgt auch für entsprechend Volumen und damit für Reichweite, wenn das Spritfass gefüllt ist.

S&S-Chopper mit reichlich individuellen Anfertigungen

Solche Arbeiten sind natürlich Zeitfresser, weil es individuelle Anfertigungen und keine Standardlösungen sind. Genau wie beim Sitz, über dem Udo auch eine Weile brütet, bis er den besten Ansatz für eine entsprechende Federung findet. Er konstruiert eine Sitzaufnahme mit Umlenkung, die mit zwei Zugfedern verbunden ist. Der optische Effekt: der Sattel scheint über Rahmen und Heckfender zu schweben. Der praktische: »Der Sitz funktioniert so gut, dass der Komfort dem einer Softail gleichkommt«, schmunzelt Udo.

Von wegen Solositzer. Mit einer simplen wie genialen Konstruktion lässt sich mit wenigen Handgriffen und gerade mal zwei Schrauben ein gefederter Soziussitz montieren

Und weil das so gut aussieht und funktioniert, konfrontiert ihn sein Kunde gleich mit dem nächsten Wunsch – einem Soziussitz. Was mit einem unbequemen und hässlichen »Brötchen« auf dem Fender schnell gelöst wäre, kommt allerdings nicht in Frage. »Das hätte nicht nur scheiße ausgesehen, der Kunde wollte es seiner Frau auch nicht zumuten.

Der Soziussattel kann in minutenschnelle montiert werden

Sie sollte den gleichen Komfort bekommen.« Nach reichlichem Hin- und Herüberlegen baut Udo ein passendes Gestell, das den gefederten Sattel trägt, bestens mit dem Fahrersitz harmoniert und zudem in wenigen Minuten mit ein paar Handgriffen und zwei Schrauben befestigt werden kann.

Die Linienführung des Tanks setzt sich auch am Heckfender fort

»Das hat mich zusätzliche Stunden gekostet, hat sich aber voll gelohnt. Alles passt und vor allem ist der Sitz mit seinem Schwerpunkt gut ausbalanciert.« Auch beim Öltank greift Udo auf seine eigene Lösung zurück, platziert ihn relativ unauffällig vor dem Hinterrad und kann somit Platz unter der Sitzbank freilassen, was dem Bike ein leichtere Optik gibt.

Durch einen Teil der Ölleitungen sind Teile der Elektrik verlegt

Als Ölleitungen verwendet er Kupferleitungen, die er selbst biegt und verzichtet dafür auf die sonst üblichen Stahlflexleitungen. Durch einen Teil der Ölleitungen verlegt er gar Teile der Elektrik, denn alle wichtigen Komponenten für den reibungslosen Stromfluss, wie das Steuergerät von Motogadget, werden in einer unauffälligen Box zwischen den hinteren Rahmenzügen unterm Sitz versteckt. 

Liebe zum Detail: Kupferleitungen statt Stahlflexschläuche. Die hinteren dienen sogar der Kabelführung zur M-Unit unterm Sitz

Für den richtigen Sound des hubraumgewaltigen Triebwerks von S&S sorgt eine selbstgebaute Krümmeranlage, die Udo mit einem klappengesteuerten Endtopf versieht. »Die Klappe lässt sich sogar per Fernbedienung steuern«, grinst der Nauheimer Customizer. Nach rund vierhundert Stunden Arbeitszeit ist der Retro-Chopper bereit für die Straße.

S&S-Chopper – Seit Juni schon 3000 Kilometer auf der Uhr

»Das Schöne an diesem Projekt war, dass ich bei der Gestaltung weitgehend freie Hand hatte und technisch hochwertige Individuallösungen einsetzen konnte. Auch wenn Handschaltung nicht so mein Ding ist, der Kunde kommt damit gut zurecht und hat seit der Übergabe im Juni inzwischen mehr als 3000 Kilometer mit dem Bike zurückgelegt.« Wie gesagt, Udo legt großen Wert auf die vielzitierte Fahrbarkeit seiner Kreationen.

Info | bike-project.com

 

Christian Heim